Wie der 7. Oktober 2023 den Nahen Osten verändert hat
Vor zwei Jahren überfiel die Hamas Israel und tötete mehr als 1000 Menschen. Wie der Angriff und Israels Reaktion die Region verändert haben und welche Folgen das auch für uns in Deutschland hat, beschreibt die Nahostexpertin Muriel Asseburg in ihrem neuen Buch.
IMAGO/Anadolu Agency
Kaum Hoffnung auf Frieden: Auch kurz vor dem Jahrestag des Massakers der Hamas am 7. Oktober gingen die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen weiter.
Erst beschossen sie Israel mit Raketen. Dann überwanden sie Sperranlagen und drangen bis tief in israelisches Gebiet ein. Am Ende hatten die Kämpfer der Hamas mehr als 1100 Menschen getötet und mehr als 5400 verletzt. Rund 250 wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Zum Teil übertrug die Hamas ihre Taten live ins Internet. „Der Angriff der Hamas und anderer bewaffneter Gruppierungen auf Israel am 7. Oktober 2023 war für Israels Staat und Gesellschaft eine Zäsur“, schreibt die Nahost-Expertin Muriel Asseburg in ihrem Buch „Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza“.
Der größte Mord an Juden seit dem Holocaust
Asseburg, die bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu Nordafrika und dem Mittleren Osten forscht, beschreibt darin, wie es zum größten Mord an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust kam – vor allem aber, was daraus folgte. „Tatsächlich trafen die Attacken Israel völlig unvorbereitet“, schreibt Asseburg und: „Eine Aufarbeitung der Ursachen und Verantwortlichkeiten für das Versagen der Sicherheitsdienste, des Militärs und der Regierung Israels steht nach wie vor aus.“
Umso deutlicher fiel die Reaktion der Regierung von Benjamin Netanjahu aus. Bereits am 8. Oktober verhängte sie den Kriegszustand. Drei Tage später wurde ein „Kriegskabinett“ gebildet und der Gazastreifen abgeriegelt. Ende Oktober begann vom Norden aus die Bodenoffensive der israelischen Armee, die bis heute andauert.
Große Teile des Gazastreifens wurden unbewohnbar
Asseburgs Zwischenfazit des Einsatzes fällt durchwachsen aus. „Zwar gelang es der israelischen Armee nach eigenen Angaben im ersten Kriegsjahr, die militärischen Kapazitäten der Hamas und anderer bewaffneter Gruppierungen deutlich zu reduzieren, das Gros ihrer Kampfeinheiten zu zerschlagen und rund 17.000 Kämpfer zu töten. (…) Dennoch konnte Israel seine Kriegsziele nur eingeschränkt erreichen.“ So befinden sich noch immer israelische Geiseln in den Händen der Hamas.
Schnell habe sich gezeigt, „dass der Kampf gegen die Hamas allein militärisch nicht zu gewinnen war“. Dagegen habe der Einsatz großes Leid über die Zivilbevölkerung in Gaza gebracht. „Innerhalb kurzer Zeit kam es im Gazastreifen zu einer humanitären Katastrophe, die der UNO-Generalsekretär als ‚moralischen Schandfleck für uns alle‘ bezeichnete“, schreibt Asseburg und bilanziert: „Große Teile des Gazastreifens wurden infolge der Verwüstungen auf absehbare Zeit unbewohnbar.“
Die „Achse des Widerstands“ um den Iran wurde geschwächt
Doch die Nahostexpertin weitet den Blick auch über Gaza und Israel hinaus. So beschreibt sie, wie der Angriff vom 7. Oktober und die anschließende Militäroperation Israels das Machtgefüge im gesamten Nahen Osten in den vergangenen zwei Jahren verschoben haben. Mit den gezielten Tötungen von Hamas-Anführern und den Angriffen Israels auf die Hisbollah im Libanon und den Iran wurde die selbsternannte „Achse des Widerstands“ deutlich geschwächt. Eine erweiterte Folge war der Sturz des Assad-Regimes in Syrien im Dezember 2024.
In ihrem Buch beleuchtet Muriel Asseburg jedoch auch, welche Auswirkungen der anhaltende Nahostkonflikt auf die internationalen Beziehungen weltweit hatte und hat. Während sich Regierungschefs wie Joe Biden in den USA, Olaf Scholz in Deutschland und Rishi Sunak in Großbritannien auf die Seite Israels stellten, sympathisierten die Regierungen von Spanien, Südafrika oder Brasilien eher mit den Palästinensern. Mehr und mehr Staaten erkannten Palästina seither als Staat an. „Die Palästina-Frage wurde zu einer Bruchlinie in den globalen Nord-Süd-Beziehungen“, bilanziert Asseburg.
Wenig Hoffnung auf Frieden durch Trump-Plan
Die entscheidende Frage dieser Tage klammert sie in ihrem im Frühjahr erschienen Buch logischerweise aus: Kann der kurz vor dem zweiten Jahrestag des Hamas-Massakers von US-Präsident Donald Trump vorgelegte Plan wirklich Frieden bringen? Einen skeptischen Fingerzeig bietet die Lektüre aber doch, da Assenburg sehr deutlich beschreibt, dass eine friedliche Koexistenz von zwei Staaten – Israel und Palästina – weder im Interesse der Hamas, noch der Regierung von Benjamin Netanjahu liegt. Zwar habe sich letzterer mehrfach „nicht zuletzt unter amerikanischem Druck zu einer Zweistaatenlösung bekannt, in der Praxis war seine Politik jedoch darauf ausgerichtet, einen souveränen palästinensischen Staat zu verhindern“.
Entsprechend pessimistisch fällt der Ausblick der Nahostexpertin aus – für das Verhältnis zwischen Israel und Palästina, aber auch für die Situation in Deutschland, wo der Nahostkonflikt etwa mit Demonstrationen an Universitäten und Kundgebungen wie zuletzt mit rund 60.000 Menschen in Berlin seinen Niederschlag findet. „Es zeichnet sich ab, dass sich mit dem Andauern der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region auch die Spannungen in den Gesellschaften Europas und der USA verschärfen werden“, schreibt Asseburg. Der Nahe Osten liegt buchstäblich längst vor der Haustür.
Muriel Asseburg: Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza. Hintergrund, Eskalation, Folgen, C.H.Beck 2025, ISBN: 978-3-406-82892-8, 20 Euro
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.