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Was bedeutet die instabile Lage in Frankreich für Deutschland und Europa?

Während Premierminister Lecornu versucht, den Haushalt des Landes wieder ins Lot zu bringen, ist der rechtsextreme „Rassemblement National“ unverändert stark. Die Turbulenzen haben Folgen: Frankreich hat in der EU an politischem Gewicht verloren.

von Albrecht Meier · 15. Oktober 2025
Frankreichs Präsident Macron an einem Rednerpult, neben ihm steht der Premierminister Lecornu

Der Französische Präsident Emmanuel Macron (links) und der Premierminister Sébastien Lecornu (rechts).

Frankreichs neuer Regierungschef ist der alte: Nachdem Präsident Emmanuel Macron den zwischenzeitlich zurückgetretenen Sébastien Lecornu erneut zum Premierminister nominierte, geht es für dessen Regierung vor allem darum, fristgemäß bis Ende des Jahres einen Haushalt für 2026 durchs Parlament zu bringen.

Denn Frankreich muss sparen. Die Staatsschulden betragen 3,3 Billionen Euro. Lecornus Vorgänger François Bayrou war mit dem Vorhaben gescheitert, Kürzungen von rund 44 Milliarden Euro im nächsten Haushalt 2026 durchzusetzen. Am Zwang, schmerzhafte Einschnitte vorzunehmen, hat sich auch für die Regierung von „Lecornu II“ nichts geändert. Damit bleibt aber das Risiko hoch, dass er an der mangelnden Zustimmung im Parlament scheitert und wie der im September gestürzte Regierungschef Bayrou aus dem Amt scheiden muss. Für die gesamte EU und für Deutschland hat das Regierungschaos in Frankreich gravierende Folgen. 

Wie sehr steht Lecornu politisch unter Druck?

Die Ausgangslage für den Premierminister ist kompliziert: Die konservativen Republikaner, die noch die Regierung des gescheiterten Bayrou stützten, wollen dessen Nachfolger Lecornu keinen Blankoscheck mehr ausstellen. Andererseits versucht der Regierungschef die oppositionellen Sozialisten damit zu ködern, dass die umstrittene Rentenreform erst einmal ausgesetzt wird. Wie Lecornu in seiner Regierungserklärung ankündigte, soll die allmähliche Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre bis Januar 2028 auf Eis gelegt werden.

Für Macron ist das vorübergehende Aussetzen der Rentenreform eine bittere Pille, denn die Reform galt schließlich als sein Prestigeprojekt. Er wird sie wohl schlucken müssen, wenn es bis zur nächsten Präsidentschaftswahl 2027 nicht noch zu weiteren Turbulenzen – inklusive einer möglichen Neuwahl des Parlaments - kommen soll.

Gleichzeitig verfolgt Premierminister Lecornu den Plan, mit wechselnden Mehrheiten im Parlament zu regieren. Dort hat seine Regierung keine eigene Mehrheit. Um sich nicht im Parteienstreit zu verfangen, hat er sein Kabinett auch mit Personen besetzt, die in erster Linie als Experten und weniger als Polit-Strategen gelten – wie etwa den bisherigen Chef der Staatsbahn SNCF, Jean-Pierre Farandou, der zum Arbeitsminister wurde.

Könnte der rechtsextreme „Rassemblement National“ die Präsidentschaftswahl 2027 für sich entscheiden?

Trotz der Manöver Lecornus bleiben die Umfragewerte für den rechtsextremen „Rassemblement National“ (RN) um Marine Le Pen unverändert hoch. 

Nach derzeitigem Stand ist Le Pen nach einer Verurteilung wegen der Veruntreuung von EU-Geldern nicht wählbar. Falls es dabei bleibt und eine Berufung Le Pens keinen Erfolg hat, könnte die 57-Jährige bei der Präsidentschaftswahl nicht antreten. Deshalb sieht der Frankreich-Experte Klaus-Peter Sick vom Berliner Forschungszentrum „Centre Marc Bloch“ einen Durchmarsch des RN bei der alles entscheidenden Wahl in Frankreich keineswegs als gegeben an.

Im Fall einer Wahlsperre für Le Pen würde nämlich der RN-Vorsitzende Jordan Bardella antreten. „Der junge Jordan Bardella ist eine Parteikreatur, der sonst nicht viel vorweisen kann. Der Aufstieg des ‚Rassemblement National‘ hat nichts daran geändert, dass sich die Franzosen in der Breite ihr Misstrauen gegenüber Parteikreaturen bewahrt haben“, sagte Sick dem „vorwärts“.

Wie stehen die Chancen, dass Frankreich fristgemäß noch in diesem Jahr einen Sparhaushalt für 2026 verabschiedet bekommt?

„Ich halte es nicht für unmöglich, dass Lecornu bis Ende des Jahres den Haushalt durchs Parlament bringt“, lautet die Einschätzung von Sick in diesem Punkt. Trotz der lautstarken Opposition der extremen Linken und des rechtsextremen „Rassemblement National“ werde das operative Regierungsgeschäft faktisch in Frankreich immer noch von der Mitte ausgeübt, sagte er zur Begründung.

Diesmal könnte Lecornu nach der Ansicht von Sick mit dem Haushalt mehr Erfolg haben als sein Vorgänger Bayrou, wenn er wankelmütigen Abgeordneten aus der Opposition, die darüber hinaus keine Lust auf einen baldigen Wahlkampf haben, nur genügend politische Angebote mache. „Die Parlamentarier sind in Frankreich viel mehr ihrem Gewissen und weniger den Fraktionszwängen unterworfen als in Deutschland“, gab Sick zu bedenken.

Welche Folgen hat die Krise in Frankreich für Europa?

Beim bevorstehenden EU-Gipfel am 23. und 24. Oktober in Brüssel wird es auch wieder um Fragen der europäischen Verteidigung und Sicherheit angesichts der zunehmenden hybriden Bedrohung durch Russland gehen. Bereits beim Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) Anfang Oktober in Kopenhagen hatte Macron mit markigen Worten den Abschuss von russischen Drohnen gefordert. 

Allerdings ist Macrons Einfluss in der EU geschwunden. „Es steht außer Frage, dass Frankreich wegen der politischen Krise und der Schwäche der Volkswirtschaft in der EU an Gewicht verloren hat“, meinte der Experte Sick. In der französischen Innenpolitik habe Macron hingegen auf dem außenpolitischen Feld gerade wegen der instabilen Lage gegenüber seinen politischen Gegnern leichtes Spiel, weil die Regierungsmehrheiten im Parlament derzeit ständig wechselten. „Damit bleibt die Außenpolitik in Frankreich immer noch in erster Linie die Domäne Macrons“, so Sick. 

Was bedeutet die Krise in Frankreich für die Zusammenarbeit mit Deutschland?

Frankreich droht in der Nahost-Politik als Akteur auszufallen – ausgerechnet in der Phase, in der es um den Wiederaufbau im Gazastreifen geht. Damit wird es vor allem für die Bundesregierung darum gehen, im Kreis der Europäer bei der humanitären Hilfe Verantwortung zu übernehmen. Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn Ägypten im November in Kairo eine Wiederaufbaukonferenz ausrichtet – zusammen mit Deutschland. 

Und auch mit Blick auf den Digitalgipfel im kommenden November, zu dem Deutschland und Frankreich nach Berlin eingeladen haben, könnte es kompliziert werden. Hier war ein großer Aufschlag für mehr digitale Souveränität Europas geplant, doch angesichts der innenpolitischen Krise Frankreichs droht dieser zu verpuffen. 

Autor*in
Albrecht Meier

arbeitet als freier Journalist in Berlin und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den politischen Entwicklungen in Frankreich.

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