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Frankreichs Regierung reicht Rücktritt ein: „Die Nerven liegen blank“

Der französische Premier muss nach der verlorenen Vertrauensfrage zurücktreten. Schon wieder ist in Frankreich eine Regierung gescheitert. Im Interview spricht Adrienne Woltersdorf, Leiterin des Pariser Büro der Friedrich-Erbert-Stiftung, über die Optionen für Macron und die politische Instabilität im Land.

von Philipp Kauppert · 9. September 2025
Frankreichs Premier François Bayrou wollte Unterstützung für seine Sparpolitik, scheiterte dann aber krachend.

Frankreichs Premier François Bayrou wollte Unterstützung für seine Sparpolitik, scheiterte dann aber krachend.

Was bedeutet der neuerliche Sturz einer französischen Regierung für das Land?

Der selbstverschuldete Sturz der Regierung von François Bayrou kommt ja nicht überraschend. Verwundert hat allerdings die Methode. Nämlich, dass Bayrou am Tiefpunkt seiner glücklosen Regentschaft ausgerechnet die Vertrauensfrage stellt, anstatt in den Monaten davor den Dialog mit der Opposition zu suchen. Schon sein ebenso erfolgloser Vorgänger, Michel Barnier, war am Haushalt gescheitert. Das sind aber nur Symptome einer Krankheit, von der Frankreichs Institutionen und seine Politik befallen sind. Verantwortlich dafür ist Präsident Emmanuel Macron. Seit er 2024, nach dem schlechten Abschneiden seiner Partei bei den Europa-Wahlen das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angeordnet hat, sind im Parlament drei fast gleich starke Blöcke vertreten. Und Macrons Lager ist davon das schwächste.

Trotzdem beansprucht er für sein Lager die Regierungsmacht, anstatt zu akzeptieren, dass er die Opposition regieren lassen müsste. Diese sogenannte „Cohabitation“ will er um jeden Preis verhindern, damit sein neoliberales Regierungsprojekt fortgeführt wird. Mit dieser Weigerung, nach den Grundregeln der Demokratie zu spielen, hat Macron aber schlicht den Weg für eine permanente Krise geebnet. Deren Symptome sehen wir als endlosen Reigen aus Neuernennungen von minoritären Regierungen, Misstrauensvoten und einem wachsenden Stapel nicht angepackter Reformen.

Welche Strategie verfolgt Präsident Macron? Warum hat er bisher Neuwahlen ausgeschlossen?

Wieder einmal blickt das ganze Land bangend auf den Élysée-Palast. Im Grunde genommen weiß niemand, welche Strategie Macron genau verfolgt. Ein Programm für seine zweite Amtszeit hat er nie vorgelegt – was also nahelegt, dass es ihm eher um Taktik und nicht um Strategie geht. Neueste Umfragen legen nahe, dass Neuwahlen die Zusammensetzung des Parlaments nicht wesentlich verändern würden, aber der „Rassemblement National“ (RN) wahrscheinlich leicht zulegen könnte.

Adrienne Woltersdorf

Macron hat angekündigt, in den nächsten Tagen einen neuen Premier zu ernennen.

Damit könnte Macron also keine klareren Verhältnisse schaffen. Zumal der Präsident die schon seit Jahren in Aussicht gestellte Reform des Wahlsystems nie angepackt hat. Es wird ihm also darum gehen müssen, in erster Linie die Exekutive handlungsfähig zu halten, da Frankreich dringend ein Budget braucht und dies bis Jahresende beschlossen sein muss. Macron hat nun per Schreiben angekündigt, in den nächsten Tagen einen neuen Premier zu ernennen. Der oder die müsste dann so weitermachen und sich eben punktuell Mehrheiten organisieren.

Welche Optionen hat Macron bei seiner Suche nach einer Person, die dann eine neue Regierung bilden soll? Gibt es schon Namen?

Theoretisch hat Macron vier Optionen: Er kann die Nationalversammlung auflösen und hoffen, dass es nach den Wahlen klare Mehrheiten gibt. Macron selbst hat das mit Hinweis auf die kritische Reaktion der internationalen Märkte jedoch abgelehnt. Er könnte eine Expertenregierung benennen, also ein Technokraten- oder Haushaltskabinett bilden, das ein klar umrissenes Spar- und Reformpaket abarbeitet. Natürlich kann er auch nochmals einen Premier aus seinem Mitte-rechts-Lager ernennen. Da kursieren auch schon Namen wie der des Verteidigungsministers und Vertrauten Sébastien Lecornu oder der des amtierenden Justizministers, Gérald Darmanin. Die Opposition hat aber bereits angekündigt, diese Ernennung sofort mit einem Misstrauensvotum zu begrüßen. Oder, und das wäre die vermutlich konstruktivste Option, er bietet den Sozialisten den Job an. Die „Parti Socialiste“ (PS) ist demonstrativ kompromissbereit und versteht sich als Vermittler zwischen Zentristen und Linken.

Kann Macron einer kleinen Partei mit einer Stärke von rund zwölf Prozent tatsächlich die Aufgabe der Regierungsbildung übertragen? Welche Positionen vertritt die PS mit Blick auf den Haushalt und die Schuldenquote?

Es ist nicht unrealistisch, und die Sozialisten könnten tatsächlich eine Lösung darstellen. Ihre Koalition mit Grünen, Kommunisten und in 2024 noch den „Insoumises“, die zusammen als „Nouveau Front Populaire“ angetreten waren, hatte die Neuwahlen knapp gewonnen. Inzwischen sind die radikalen Linken um Jean-Luc Mélenchon, der stark polarisiert, nicht mehr Teil dieser Koalition. Das ist für die Akzeptanz der PS bei den Zentristen eigentlich ein großer Vorteil.

Adrienne Woltersdorf

Die Sozialisten bieten sich als Brückenkraft links der Mitte an und positionieren sich klar gegen harte Austerität.

Die Sozialisten bieten sich entsprechend seit Monaten als Brückenkraft links der Mitte an und positionieren sich klar gegen Barniers und Bayrous harte Austerität. Statt eines jährlichen Sparpakets von 44 Milliarden Euro setzen sie auf einen ausgewogeneren und verträglicheren Kurs: gezielte Steuermehreinnahmen, etwa durch die Wiederbelebung einer Vermögensbesteuerung ab 100 Millionen Euro, kombiniert mit moderaten Einsparungen. Damit würden sie das Haushaltsdefizit zwar langsamer, aber sozial verträglicher zurückführen. Ihr Ziel liegt bei etwa fünf Prozent bis 2026 und dann Schritt für Schritt in Richtung drei Prozent bis 2032.

Was bedeutet das mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2027? Sehen wir nun eine neue Protestbewegung und müssen wir uns auf politische Instabilität in unserem wichtigen Nachbarland einstellen?

Wenn es den Sozialisten gelingt, als verlässliche, regierungsfähige Kraft aufzutreten, könnten sie vor 2027 als glaubwürdige Mitte-links-Option reüssieren und damit wieder Boden gutmachen. Gleichzeitig erhöht jeder neue Haushaltsstreit das Risiko von Protesten und sozialen Bewegungen. Die Gewerkschaften, Sozialverbände und andere Organisationen bereiten sich bereits auf Widerstand gegen weitere mögliche Sparrunden vor. Frankreich muss sich also trotzdem auf fortgesetzte politische Instabilität einstellen, denn die Nerven liegen blank.

Wie verhalten sich in dieser Gemengelage die Rechtspopulisten? Profitiert der RN weiterhin davon, dass die anderen Parteien ihr Vertrauen verspielen?

Der „Rassemblement National“ fordert natürlich lautstark Neuwahlen, denn er würde daraus laut Prognosen als Einzelpartei mit rund 33 Prozent der Stimmen gestärkt hervorgehen. Von der Krise profitiert insgesamt vor allem der RN, weil der Vertrauensverlust in die etablierten Parteien und die Politik insgesamt sehr tiefgreifend ist. Marine Le Pen hat aber bisher nicht verraten, wie der RN die multiplen Krisen des Landes lösen wollen würde. Zum Beispiel wie das Haushaltsdefizit zu senken wäre. Die Partei setzt einfach weiter auf simple Botschaften wie Einsparungen bei Migranten und bei Zahlungen an die EU. Das reicht in der gegenwärtigen Lage schon aus, um vielen Wählenden wie Lichtgestalten zu erscheinen. Von daher hat die aktuelle Krise langfristig eine noch viel größere Krise im Schlepptau.

Dieser Beitrag erschien zuerst im ipg-journal.

Autor*in
Philipp Kauppert

ist seit 2025 Redakteur beim IPG-Journal. Zuvor arbeitete er im Referat Demokratie, Gesellschaft und Innovation der Friedrich-Ebert-Stiftung, außerdem leitete er die FES-Büros in Bolivien und Pakistan.

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