Tschechien-Wahl: „Babiš ist kein Kulturkämpfer und kein Russland-Freund“
Nach dem Sieg seiner ANO-Partei wird der Unternehmer Andrej Babiš sehr wahrscheinlich neuer Ministerpräsident von Tschechien. Jörg Bergstermann, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Prag, sagt, was von Babiš zu erwarten ist.
IMAGO/Anadolu Agency
Hat nach seinem Sieg bei der tschechischen Parlamentswahl gut lachen: Ex- und Bald-wieder-Ministerpräsident Andrej Babiš
Tschechiens ehemaliger Ministerpräsident Andrej Babiš hat mit seiner „Unternehmerpartei“ ANO die Parlamentswahl in Tschechien deutlich gewonnen. Was hat dabei den Ausschlag gegeben?
Der Wahlkampf von Babiš war ganz klar auf soziale Themen fokussiert – die hohen Energiekosten, die Mängel im Gesundheitssystem, hohe Mieten und niedrige Renten waren die Themen, die die Menschen bewegt haben. Da haben Babiš und seine Partei offenbar den richtigen Ton getroffen und viele Tschechinnen und Tschechen angesprochen. Bemerkenswert ist, dass Babiš in nahezu allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen als Sieger aus dieser Wahl hervorgegangen ist – und das bei einer deutlich höheren Wahlbeteiligung als bei den vorangegangenen Wahlen. Babiš hat also auch viele Nichtwähler angesprochen sowie bisherige Wähler kleinerer Parteien, auch aus dem linken Lager.
ANO gilt als Protestpartei, wirkt nach Ihrer Beschreibung aber eher wie eine Volkspartei.
Wenn man sich die Verteilung der Stimmen ansieht, wird schnell deutlich, dass periphere oder marginalisierte Bevölkerungsgruppen und Regionen viel, viel stärker für Babiš und ANO gestimmt haben als für andere Parteien. In den wohlhabenden Regionen hat das bisherige Regierungsbündnis dagegen ein doppelt so starkes Wahlergebnis eingefahren wie in den ärmeren Regionen. Babiš dagegen war in den ärmeren Regionen und Schichten ungefähr anderthalbmal so stark wie in den reicheren. Das Bündnis um den bisherigen Ministerpräsidenten Petr Fiala hat zudem viele mit seiner Wahlkampagne vor den Kopf gestoßen, in der sie plakatiert hat, Tschechien gehe es super. Diese Aussage passt nicht zur Alltagsrealität vieler Tschechinnen und Tschechen.
Jörg
Bergstermann
Babiš ist ein ungeduldiger Typ und hat kein Interesse an möglicherweise langwierigen Koalitionsverhandlungen.
Obwohl ANO keine Mehrheit im Parlament hat, hat Babiš angekündigt, ohne Koalitionspartner regieren zu wollen, also eine Minderheitsregierung zu bilden. Wird das funktionieren?
Babiš ist ein ungeduldiger Typ und hat kein Interesse an möglicherweise langwierigen Koalitionsverhandlungen. Zudem hat er schon einmal eine Minderheitsregierung geführt, hat hier also eine gewisse Erfahrung. Höchstwahrscheinlich wird es aber jetzt nicht funktionieren. Für wahrscheinlicher halte ich, dass er eine Koalition mit der „Autofahrerpartei“ und möglicherweise auch mit der rechtsextremen SPD bildet. Auf beide würde Babiš gerne zurückgreifen, um eine Minderheitsregierung dulden zu lassen, doch sie haben direkt am Tag nach der Wahl deutlich gemacht, dass sie dazu nicht bereit sind, sondern mit am Kabinettstisch sitzen wollen.
Gäbe es für Babiš denn auch andere Möglichkeiten?
Ja, denn es gibt nach der Wahl sechs Blöcke im tschechischen Parlament, hinter denen sich 13 Parteien verbergen. Die Partei von Noch-Ministerpräsident Fiala ist bei der Wahl abgestraft worden, aber die mitregierenden Christdemokraten haben sogar zugelegt. Sie haben in der Vergangenheit auch schon mit Babiš koaliert. Es ist auch nicht auszuschließen, dass noch Abgeordnete aus ihren Fraktionen austreten und sich Babiš anschließen. Diskutiert wird auch, dass sich Babiš selbst zurückziehen und seinem Stellvertreter den Posten des Ministerpräsidenten überlassen könnte. Das halte ich aber angesichts dieses überwältigenden Wahlerfolgs nur noch für ein Gerücht.
Andrej Babiš ist nicht nur der drittreichste Mensch in Tschechien, sondern war auch zwischen 2017 und 2021 bereits tschechischer Ministerpräsident. Was wäre von einer zweiten Amtszeit zu erwarten?
Entgegen vieler Behauptungen, die auch in deutschen Medien verbreitet werden, ist Babiš kein rechter Wirrkopf, sondern mit vielen seiner Positionen eigentlich politischer Mainstream in Tschechien. Nicht nur ist er gegen das Verbrenner-Aus, gegen die Einführung des Euro, gegen die irreguläre Migration. Was die EU angeht, ist Babiš wie das Gros der Politiker in Tschechien gegen Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit und gegen eine Reduzierung der bisherigen Struktur- und Kohäsionszahlungen. Bei ihm spielen dabei auch eigene wirtschaftliche Interessen eine Rolle, da er mit seinem Unternehmen „Agrofert“ stark von den europäischen Zahlungen profitiert. Insofern wird er die EU-Mitgliedschaft Tschechiens nicht in Frage stellen. Gleiches gilt für die Mitgliedschaft in der NATO.
Jörg
Bergstermann
Die Parlamentswahl hat gezeigt, dass den Sozialdemokraten die Kernkompetenz im Bereich soziale Verantwortung und soziale Sicherung abgenommen wurde.
Deutsche Medien haben Babiš bereits mit Victor Orban in Ungarn verglichen oder ihn als „Trump-Verschnitt“ beschrieben. Teilen Sie diese Beschreibungen?
Nein. Andrej Babiš glaubt nicht an bestimmte große Werte oder Ideologien. Er ist kein Kulturkämpfer und kein Russland-Freund, wie gerne behauptet wird. Was ein wenig an Trump erinnert, ist seine Art, Politik zu machen. Babiš sagt: Leg mir einen Deal auf den Tisch, der sich für mein Land und für mich rechnet. Da ist er ganz Unternehmer. Wie Babiš künftig auftritt, wird auch davon abhängen, mit wem er und unter welchen Bedingungen er eine Koalition eingehen muss. Generell muss man damit rechnen, dass er mit einer härteren, manchmal vielleicht auch unbedachteren Sprache auftritt. Ich kann mir auch vorstellen, dass er viel stärker die Souveränität Tschechiens innerhalb der EU herausstreichen wird. Auch an dieser Stelle ist er vielleicht ein bisschen wie Trump, aber abzüglich des Gefallens an der Disruption.
Wird Tschechien mit einem Ministerpräsidenten Babiš auch weiterhin die Ukraine unterstützen?
Wir werden bei der tschechischen Ukraine-Hilfe auf jeden Fall eine andere Tonalität sehen. Babiš hat sich mehrfach deutlich gegen die Munitionsinitiative ausgesprochen. Eine Rolle spielt dabei wohl auch, dass von der jetzigen Regelung ein tschechischer Oligarch profitiert, den Babiš schon seit Jahren gefressen hat. An der NATO-Mitgliedschaft Tschechiens wird Babiš festhalten, das Fünf-Prozent-Ziel lehnt er dagegen ab, weil es ihm nicht einleuchtet. Auch hier wird aber entscheidend sein, mit wem er eine Koalition bildet. Die rechtsextreme SPD hat sowohl einen NATO- als auch einen EU-Austritt gefordert.
Die tschechischen Sozialdemokraten sind vor der Parlamentswahl ein Bündnis mit der populistischen Bewegung „Stačilo!“ (Es reicht!) eingegangen, die den Einzug ins Parlament verpasst hat. Wie geht es hier weiter?
Im Nachhinein ist leider klar, das es ein schrecklicher taktischer Fehler der Sozialdemokraten war, in dieses Bündnis zu gehen. Sie haben Mitglieder verloren. Sie haben an Führungspersonal verloren. Sie haben Glaubwürdigkeit verloren. Es wird sehr schwierig werden, aus dieser Situation wieder herauszukommen. Die Parlamentswahl hat gezeigt, dass den Sozialdemokraten die Kernkompetenz im Bereich soziale Verantwortung und soziale Sicherung abgenommen wurde. Die liegt jetzt aus Sicht der Wähler bei Babišs ANO. Ich kann mir für die nächste Zeit nur schwer vorstellen, wie es der Partei gelingen soll, wieder eine starke Kraft zu werden, zumindest, solange nicht auf der Gegenseite das ganz große Desaster ausbricht und sie sich zerlegt. Davon ist aber zurzeit nicht auszugehen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.