Meinung

Klimakatastrophe war gestern – warum sich Europas Linke neu erfinden muss

Die ökologische Agenda verliert an Einfluss, die drohende „Klimakatastrophe“ als politische Erzählung ist wenig attraktiv. Das hat Auswirkungen auf die europäische Linke. Sie sollte einen neuen Kurs einschlagen.

von Ernst Hillebrand · 7. August 2025
Symbolfoto mit der Aufschrift Klimaziele Fossiler Strom

In vielen europäischen Ländern mehren sich Zweifel, ob eine Politik, die einseitig auf erneuerbare Energien setzt, die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit Europas gewährleisten kann.

Peak oil, der Moment, ab dem die weltweite Produktion von Erdöl irreversibel sinken würde, war ein Schlüsselbegriff der aufkommenden Ökologiebewegung in den 1970er Jahren. Er stand symbolisch für die sich abzeichnenden „Grenzen des Wachstums“ der industriellen Zivilisation, deren Natur- und Ressourcenverbrauch die ökologischen Grenzen des Planeten in kürzester Zeit zu sprengen drohte. Doch bis heute ist ein globales Fördermaximum nicht in Sicht.

Die weltweite Erdölförderung ist seit der Erfindung des Begriffs kontinuierlich gestiegen, ein Ende der förderbaren Reserven ist nicht wirklich absehbar. Insofern steht Peak Oil für eine ganze Reihe pessimistischer ökologischer Prognosen, die das Wachstum der grünen Bewegung weltweit begleitet und vorangetrieben, sich real jedoch nur selten manifestiert haben – vom Waldsterben der 1980er Jahre bis zum prognostizierten „Hitzesommer“ 2025.

Bedeutung des Klimawandels sinkt

Sehr viel konkreter erscheint momentan dagegen etwas anderes: Peak Green, also die Annahme, dass der politische Einfluss grüner und ökologischer Parteien und Bewegungen zumindest in Europa seinen Höhepunkt überschritten hat. Sollte es für diesen Trend eines symbolischen Moments bedurft haben, dann konnte man diesen letzte Woche beim sogenannten Zoll-Deal zwischen der EU und den USA bestaunen. Ausgerechnet die selbsternannte Klima-Modellregion Europa verpflichtet sich, in den kommenden Jahren in einem nie dagewesenen Ausmaß fossile Brennstoffe in den USA zu kaufen. Klarer kann man den Geist des erst Ende 2019 vorgestellten europäischen Green Deal und seiner umfassenden Klimaschutz- und Ökologie-Rhetorik nicht in die Tonne treten. Das ideologische Konstrukt der grünen Bewegungen zerbricht gerade brachial an den Wirklichkeiten der Realpolitik.

Begonnen hat diese Entwicklung schon vor einiger Zeit. Trotz der weitgehenden Priorisierung des Klimawandels durch Medien und Politik verlor die Europäische Grüne Partei bei den Europawahlen 2024 rund ein Fünftel ihrer Sitze im Europaparlament. In mehreren europäischen Ländern büßten ökologische Parteien in den vergangenen Jahren ihre Regierungsbeteiligung ein – von Skandinavien über Deutschland und Österreich bis nach Italien.

Laut Eurobarometer sinkt die Bedeutung des Klimawandels in der Problemwahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger. Stattdessen gewinnen wirtschaftliche und soziale Fragen an Bedeutung – auf einem Kontinent, der geprägt ist von ökonomischer Stagnation, hoher Inflation, starkem Migrationsdruck und wachsender Überforderung von Verwaltungen und Staatsfinanzen.

Wirtschaftliches Wachstum hat Vorrang

In zahlreichen Ländern zeichnet sich eine Renaissance der Kernenergie ab. Jener Technologie, deren Überwindung einst zu den zentralen Anliegen der weltweiten Ökologiebewegung gehörte. Der Wahlsieg Donald Trumps war zugleich eine Absage an eine stärker ökologisch ausgerichtete Politik in den USA, wie sie sich nicht zuletzt im Inflation Reduction Act von Joe Biden manifestiert hatte. 

Spätestens die lauwarmen Ergebnisse der COP28 in Dubai im Jahr 2023 machten zudem deutlich, dass die Klimaschutz-Rhetorik der Europäischen Union in weiten Teilen der Welt zunehmend an Rückhalt verliert. Wirtschaftliches Wachstum hat für viele Staaten schlicht Vorrang. Hatten die Jahre nach der COP24 in Katowice noch einen Höhepunkt des Einflusses westlich-grünen Denkens auf die globale Politik markiert, so befindet sich dieser Einfluss mittlerweile klar im Abschwung. Und diese Entwicklung wird sich, sofern sich die Rahmenbedingungen nicht grundlegend ändern, so schnell nicht verändern: Peak Green ist überschritten.

Grüne Politik verliert an Zustimmung

In Europa lässt sich das schwindende Ansehen der grünen Bewegung nicht allein mit einem Bedeutungsverlust ökologischer Themen infolge veränderter sozialer, wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Rahmenbedingungen erklären. Die grüne Bewegung hat sich längst aus ihrer ökologischen Nische herausbewegt und zu einem „progressiven“ politischen Vollsortimenter entwickelt. Auch daraus ergibt sich ein Teil ihres Akzeptanzproblems. Zahlreiche ihrer gesellschaftspolitischen Positionen haben für viele Wählerinnen und Wähler an Attraktivität verloren. In einigen Ländern kam ein weiterer Faktor hinzu: der von Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel mit Blick auf die deutschen Grünen beschriebene „spezifisch grüne Politikstil des Besserwissens“. Auch dieser trägt zur zunehmenden Entfremdung bei.

Der Kern der Einflusskrise des grünen Denkens liegt jedoch im Themenfeld Ökologie und Klimapolitik. Das einstige Monopol auf Umweltfragen hat die grüne Bewegung in den meisten Ländern verloren; heute erkennen alle etablierten politischen Akteure die Relevanz dieses Themas an. Die Debatte dreht sich längst nicht mehr um das Ob von Umwelt- und Klimapolitik, sondern um das Wie. 

Energiepolitik als Konflikt

Das gilt insbesondere für die Energiepolitik, deren zentrale Bedeutung für Industriegesellschaften seit Beginn des Ukrainekriegs noch deutlicher ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist. In vielen europäischen Ländern mehren sich Zweifel, ob eine Politik, die einseitig auf erneuerbare Energien setzt, tatsächlich die Versorgungssicherheit sowie die ökonomische Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit Europas gewährleisten kann.

Der ökologisch motivierte und politisch forcierte Ausstieg aus einer Reihe von Technologien, in denen europäische Unternehmen über komparative Vorteile verfügten – Stichworte: Verbrennungsmotor und konventionelle Kraftwerke – macht sich zunehmend als Problem bemerkbar. Zugleich werden die im Rahmen der „Energiewende“ bevorzugten Technologien – Elektromobilität, Wind- und Solarenergie – entlang der gesamten Wertschöpfungskette immer stärker von ostasiatischen Unternehmen dominiert. Parallel dazu wächst der Eindruck, dass die aus der Einsicht in die Selbstgefährdungspotenziale industrieller „Risikogesellschaften“ entstandene Technologieskepsis inzwischen zu einem wachsenden Rückstand Europas in zentralen Schlüsseltechnologien führt.

Vor allem aber, und das ist letztlich entscheidend, zeigt sich Peak Green auf globaler Ebene: Die knapp sieben Milliarden Menschen, die außerhalb westlicher Industriegesellschaften leben, werden auf absehbare Zeit die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Länder über abstrakte globale Umweltziele stellen. Vorstellungen von grünem Degrowth und freiwilligem Verzicht sind in diesem Kontext weitgehend irrelevant; in einigen Weltregionen wirken sie geradezu zynisch.

Folgen für die europäische Linke

Was bedeutet Peak Green für die europäische Linke? Sie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in Richtung eines linksliberalen, „progressiven“ Weltbilds entwickelt, in dem ökologische Fragen eine zentrale Rolle spielen. Das deutsche „rot-grüne Projekt“ war in dieser Hinsicht keine Ausnahme; auch in anderen Ländern ließ sich eine ähnliche Ökologisierung der politischen Programmatik im linken Lager beobachten. Unter dem Imperativ der Klimakrise nahm diese Entwicklung in den vergangenen Jahren zusätzlich Fahrt auf.

Der grün grundierte „progressive“ Diskurs der vergangenen Jahre geht zunehmend an den Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft vorbei und hat an Attraktivität und Prägekraft verloren. Die Hauptkonkurrenten der Linken im Kampf um Wählerstimmen sind heute nicht mehr grün-ökologische Mittelschichtsparteien wie noch in Zeiten saturierter Wohlstandsgesellschaften. Vielmehr sind dies zunehmend rechtspopulistische Parteien, die den „Normalos“ Respekt für ihre sozialen und wirtschaftlichen Alltagsnöte versprechen und zunehmend die historische Wählerbasis der Linken übernehmen.

Wachstumsverzicht ist keine Lösung

Unter diesen Umständen erscheint es nicht nur notwendig, Teile des „progressiven“ gesellschaftspolitischen Diskurses nachzujustieren und an die veränderte gesellschaftliche Stimmungslage anzupassen. Ebenso wichtig ist es, sich von der negativen Einseitigkeit des ökologisch-klimapolitischen Diskurses der vergangenen Jahre zu lösen. Die Linke muss wieder ein eigenständiges, positives Verhältnis zu Technik und technologischer Entwicklung finden und an deren emanzipatorisches Potenzial anknüpfen.

Eine linke Programmatik, die die ökologischen Grenzen des Planeten ernst nimmt, zielt nicht auf Wachstumsverzicht. Vielmehr geht es um die ökologisch und sozial verantwortungsvolle Gestaltung einer wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung, die weiterhin stattfindet und sich eher beschleunigt als verlangsamt. Die in den letzten Jahren praktizierte Reduzierung des linken Zukunftsversprechens auf eine dystopische Warnung vor der drohenden „Klimakatastrophe“ ist als politische Erzählung wenig attraktiv.

Technologischen Fortschritt nutzen

Im Gegenteil: In der – marxistisch gesprochen – weiteren „Entfaltung der Produktivkräfte“ liegt nach wie vor das große Emanzipationsversprechen für alle Gesellschaften dieser Welt – auch für die westlichen und wohlhabenden. Die Linke steht angesichts der raschen Entwicklung von KI und Robotik vor der Aufgabe, eine positive Vision einer ökologisch nachhaltigen, den technologischen Fortschritt systematisch nutzenden Post-Arbeitsgesellschaft zu entwickeln. 

Mit den grünen Endzeitvisionen von heute hätte ein solcher „fully automated luxury communism“, um den schönen Titel eines 2019 in Großbritannien erschienenen Buches zu zitieren, wenig zu tun. Ein Grund mehr für die europäische Linke, sich von diesen so schnell wie möglich zu emanzipieren. Der Rest der Welt hat dies bereits getan.

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Autor*in
Ernst Hillebrand

war Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Polen.

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Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Do., 07.08.2025 - 12:31

Permalink

Der Autor Ernst Hillebrand hat einen Beitrag geschrieben, der in seiner Tendenz destruktiver und im Ergebnis irrender kaum sein kann. Dass die Weltwirtschaft als Ozean des Neoliberalismus fungiert und dabei von den allermeisten Regierungen unterstützt wird - und der Umweltschutz/Klimaschutz wegen dauerhafter Beratungsresistenz/Ignoranz/Inkompetenz "in die Tonne getreten wird" mag sein/trifft zu oft zu. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein solcher Zustand richtig ist. Fakt ist, dass Kapitalismus/Neoliberalismus systemisch dem unverzichtbar notwendigen wirkungs- und sinnvollen Umweltschutz/Klimaschutz diametral entgegenstehen, weil dieser der im Kapitalismus zwanghaften/wesenhaften Gewinnmaximierung und Kapitalakkumulation und dem (exponentiellen) Wachstumsbefehl zuwiderläuft. Diesem im Kapitalismus unumgehbaren Wachstumsbefehl folgt eine zwangsläufige, verheerende Überausbeutung der Umwelt/Natur bzw. deren endgültige Schädigung und Zerstörung. Die Technologie wird das nicht verhindern!

Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Do., 07.08.2025 - 13:11

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Technologische Fortschritte sind wichtig und richtig. Aber die Technologie ist nur einer von sehr vielen Faktoren, welche in die richtige Richtung gelenkt werden müssen. Das geschieht aber im globalen Ozean des Neoliberalismus und Produktivismus nicht. Global müssten riesige Mengen von Kohle, Öl und Gas in der Erde bleiben, um den Klimakollaps zu verhindern. Diesen Verzicht auf 'Verwertung' von Kohle, Öl, Gas wollen aber die die Eigner dieser fossilen Energieträger nicht! Auch gibt es global keine ausreichende absolute Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Natur-, Umweltverbrauch und Schadstoffausstoß.
Auch sind global nicht genügend Schadstoffaufnahmesenken vorhanden. Im Gegenteil: Z. Zt. wandeln sich Schadstoffaufnahmesenken in Schadstoff ausstoßende Naturzustände!
Einfach mal lesen. Z.B.:
Tim Jackson, Wohlstand ohne Wachstum
Papst Franziskus, Laudato si und Laudate Deum
John Bellamy Foster. Marx' Ökologie - Materialismus und Natur
NATURFREUNDiN, Ausgabe 2-2025, S. 4ff.

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