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Hochpolitisches Verfahren: So beurteilt EuGH die dänische „Ghetto“-Politik

18. December 2025 15:56:28

Dänemark geht gegen Sozialwohnungen in Gebieten mit hohem Migrant*innenanteil und sozialen Problemen vor. Verstößt das gegen EU-Recht? Der Europäische Gerichtshof gibt eine vorsichtige Antwort.

Sozialwohnungen für vorwiegend Migranten in Kopenhagen

Das dänische Gesetz gegen Parallelgesellschaften könnte wegen Diskriminierung von Einwander*innen gegen EU-Recht verstoßen. Das legt der Europäische Gerichtshof zwar nahe, überlässt die abschließende Feststellung jedoch dänischen Gerichten. 

In Dänemark gibt es schon seit 2010 das Ziel, sogenannte „Ghettos“ mit hohem Migrantenanteil und vielen sozialen Problemen zu reduzieren. 2018 wurde von der damals konservativen Regierung das sogenannte Ghetto-Gesetz beschlossen, das von den seit 2019 regierenden Sozialdemokrat*innen zunächst kritisiert, dann aber fortgeführt wurde. 

In Ghettos Sozialwohnungen reduzieren

Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass Kinder in Ghettos mindestens 25 Stunden pro Woche die Kita besuchen, um dänische Sprache, Werte und Kultur zu erlernen. Straftaten in Ghettos können härter bestaft werden. Darum ging es vor dem EuGH aber nicht.

Beim EuGH ging es ausschließlich um die Verpflichtung, in Ghettos Entwicklungspläne aufzustellen, die das Ziel haben, den Anteil von Sozialwohnungen im Gebiet auf weniger als 40 Prozent zu reduzieren. Dies kann durch Abriss von Sozialwohnblocks geschehen oder durch den Verkauf der Wohnungen an kommerzielle Wohnungsgesellschaften. 

Das Gesetz ist heute noch in Kraft. Seit 2021 spricht man aber nicht mehr von Ghettos, sondern von „Parallelgesellschaften“ und „Transformationsgebieten“. Als Parallelgesellschaft gilt ein Gebiet mit über 1.000 Bewohner*innen, wenn mehr als 50 Prozent der Einwohner*innen „Einwanderer*innen“ aus nicht westlichen Staaten und ihre Nachkommen sind. Außerdem müssen zwei von vier sozioökonomischen Kriterien erfüllt sein: Hohe Arbeitslosigkeit, hohe Kriminalität, geringe Bildung oder geringes Einkommen. Im Jahr 2019 galten 28 Gebiete in Dänemark offiziell als Ghetto.

Hochpolitisches Verfahren 

Der Rechtstreit entwickelte sich in zwei Gebieten in Kopenhagen und in der Kleinstadt Slagelse. Nachdem die Gebiete fünf Jahre lang das Kriterium für Ghettos erfüllten, mussten Entwicklungspläne beschlossen werden, die dazu führten, dass viele Mieter*innen eine Kündigung erhielten. Die Bewohner*innen wehrten sich dagegen und zogen vor Gericht. Sie wurden dabei vom dänischen Institut für Menschenrechte unterstützt. Die Gerichte legten die Fälle dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. 

Der EuGH sollte entscheiden, ob hier eine Diskriminerung von ethnischen Gruppen vorliegt, die nach der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie verboten ist. Das Verfahren ist hochpolitisch, denn EU-Kritiker*innen witterten schnell, dass hier ein EU-Gremium die migrationspolitischen Möglichkeiten der EU-Nationalstaaten beschneiden könnte und drohten vorab massive Empörung an. 

Gezielte Diskriminierung: Ja oder nein?

Entsprechend vorsichtig ging nun der EuGH mit seiner Großen Kammer unter Gerichtspräsident Koen Lenaerts vor. Der EuGH betonte zwar, dass die „Diskriminierung wegen der Rasse“ eine „besonders abstoßende Form der Diskriminierung“ darstelle. Letztlich entschied der EuGH aber nicht selbst, ob das Gesetz gegen Parallelgesellschaften eine solche Diskriminierung darstellt, sondern überließ dies den dänischen Gerichten, denen er aber recht eindeutige Hinweise gab. 

So spreche für eine ethnische Diskriminierung, dass nur in Gebieten mit besonders hohem Anteil an Einwander*innen Entwicklungspläne gemacht werden müssen, nicht aber in anderen Gebieten, bei denen Arbeitslosigkeit und Kriminalität höher, Bildung und Einkommen niedriger sind. 

Zur Frage, ob hier eine gezielte Diskriminierung vorliegt, könne auch auf die gesetzlichen Vorarbeiten Bezug genommen werden, so der EuGH. Und dort wird ganz eindeutig davon gesprochen, dass „eine starke Konzentration von Bürger*innen mit einer anderen ethnischen Herkunft“ eine „Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ sei. „Zu viele Einwander*innen und Nachkommen von Einwander*innen haben letztlich den Anschluss an die Gesellschaft, von der sie umgeben sind, verpasst. Ihnen fehlt es an einer Ausbildung, einer Beschäftigung und ausreichenden Dänischkenntnissen“, hieß es zur Begründung des Ghetto-Gesetzes.

Ghetto-Gebiete von Wohnungskündigungen bedroht

Auch die Beantwortung der Frage, ob eine Schlechter-Behandlung, also eine Diskriminierung, in den Ghetto-Gebieten vorliegt, überließ der EuGH den dänischen Gerichten. Er wies aber darauf hin, dass der Beschluss eines Entwicklungsplans zu einem „erhöhten Risiko“ führt, dass der Mietvertrag gekündigt wird und es damit zu einem massiven Eingriff in das „Recht auf Achtung der Wohnung“ komme. Außerdem könne es stigmatisierende Wirkung haben, wenn das Wohngebiet, in dem man lebt, vom Staat als „Ghetto“ oder als „Parallelgesellschaft“ eingeordnet wird. Auch könne dies Vorurteile und Stereotype gegenüber Einwander*innen eher noch bestätigen, statt sie abzubauen. 

Die dänische Regierung hält das Vorgehen gegen Parallelgesellschaften für erfolgreich und verweist darauf, dass dank der Maßnahmen die Zahl der Gebiete, die als Ghetto respektive Parallelgesellschaften eingestuften wurden, kontinuierlich zurückgehe und inzwischen bei nur noch fünf Gebieten liege.

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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