Bulgarien: Vor diesen Herausforderungen steht das neue Euro-Land
Die größten Proteste seit Jahrzehnten und ab Januar Teil der Eurozone: Bulgarien erlebt derzeit gleich zwei Zäsuren. Im Interview beschreibt Jacques Paparo von der Friedrich-Ebert-Stiftung die Baustellen und Chancen des Landes.
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Bis zu 150.000 Menschen kamen zu den Protesten gegen die Regierung in Sofia zusammen.
Nach den Massenprotesten gegen den neuen Haushalt ist die bulgarische Regierung von Rossen Scheljaskow am 11. Dezember zurückgetreten. Ohne die stärkste Partei, nämlich Scheljaskows konservative GERB-UDF, ist die Bildung eines neuen Bündnisses so gut wie unmöglich. War das alles nur ein taktisches Manöver?
Ja, das war rein taktisch und nach den massiven Protesten unausweichlich. Der gescheiterte Staatshaushalt war nur ein Vorwand.
Am 15. Dezember führte Staatspräsident Rumen Radew mit den beiden derzeit größten Parteien im Parlament Sondierungsgespräche, um eine neue Koalition auf den Weg zu bringen. Laut Verfassung müssen drei Anläufe für die Bildung einer regulären Regierung gemacht werden. Sollte es am Ende stattdessen zu Neuwahlen kommen, versprechen sich die Konservativen, viel mehr Prozente zu bekommen als beim letzten Mal. Somit soll auch eine Loslösung von der Partei des verhassten Oligarchen Peevski, der DPS, erfolgen. Allerdings wird auch gemunkelt, dass der Präsident, der Politiker mit dem landesweit höchsten Ansehen und Rating, eine Partei gründen wird und dann seinen Posten verlässt, um selbst Politik zu machen. Die bulgarische politische Landschaft kennt dieses Syndrom, dass man auf einen rettenden Messias wartet.
Bulgarien hat seit dem Jahr 2021 acht Regierungen verschlissen. Ist das Land unregierbar geworden?
Nein, die bulgarische Gesellschaft ist zwar müde, aber auch erstaunlich resilient. Allerdings sind die Gräben zwischen den einzelnen Gruppierungen in der Bevölkerung, auch im Parlament, ziemlich tief und unversöhnlich. Die beiden größten Parteien in der politischen Mitte, also die konservative GERB-UDF und oppositionelle liberale Koalition „Wir setzen den Wandel fort – Demokratisches Bulgarien“, sind sich spinnefeind.
Auf der anderen Seite haben wir eine große Gruppierung, die aus drei populistischen Parteien besteht, die die Einführung des Euros verhindern wollten. Innerhalb der Sozialistischen Partei war ein Bündnis mit der GERB-UDF lange umstritten. Dennoch haben die Sozialisten dafür gesorgt, dass es eine Regierung und eine gewisse Stabilität gab. Auch beim Staatshaushalt 2026, der letztlich nicht realisiert wurde, sorgten die Sozialisten dafür, dass viele soziale Aspekte darin berücksichtigt wurden.
„In Bulgarien geht es um eine grundlegend andere Entwicklung des Landes“
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass der Protest gegen höhere Steuern und Sozialabgaben und vor allem gegen die Korruption tatsächliche und strukturelle Veränderungen nach sich zieht?
Die jungen Leute, die die größten Proteste seit 1990 prägen, sind kein Teil von parteipolitischen Strukturen. Sie organisieren sich online, über soziale Kanäle. Das ist eine neue Art, Politik zu machen. Die Oppositionsparteien versuchen die Proteste, die eine neue Qualität haben, für sich zu nutzen und zu instrumentalisieren. Was dabei herauskommt, ist sehr schwer zu sagen. Es geht um Ideale wie Rechtsstaatlichkeit, den europäischen Weg und eine grundlegend andere Entwicklung des Landes, nämlich abseits der korrupten Pfade.
Bulgarien gilt nach Ungarn als das zweitkorrupteste Land der EU. Hätte Brüssel im Vorfeld des Beitritts zum Euro-Raum am 1. Januar 2026 mehr Druck machen müssen, um Reformen zu erzwingen?
Ich glaube, Brüssel hat momentan ganz andere Sorgen. Zum Beispiel beim Thema Ukraine. Abgesehen davon lässt sich schwer einschätzen, inwiefern die EU-Kommission wirksam Reformen im wirtschaftlichen oder finanziellen Sektor einfordern kann, wenn mit dem Beitritt Bulgariens zum Euro gleichzeitig eine positive Signalwirkung für die EU als Ganzes angestrebt wird.
„Vor der Einführung des Euro grassieren vielfältige Ängste“
Sind Bulgariens Wirtschaft und Gesellschaft bereit für den Euro?
Die bulgarische Wirtschaft hat sich seit Jahren auf die Einführung des Euro vorbereitet, und das Staatsdefizit ist im Vergleich etwa zu Italien oder Frankreich relativ niedrig. Viele gehen davon aus, dass die Ökonomie von der Einführung des Euro profitieren wird; insbesondere dürfte sich das Rating bei der Vergabe von Krediten verbessern. Gleichzeitig werden jedoch – wie zuvor in Kroatien – inflationssteigernde Effekte befürchtet. Zudem besteht die Sorge, dass einige Akteure die Währungsumstellung nutzen könnten, um Preise auf unlautere Weise anzuheben.
Allerdings sind die Preise bereits im Vorfeld so stark gestiegen, dass es für breite Teile der bulgarischen Bevölkerung schon jetzt schwierig ist, über die Runden zu kommen. In diesem Kontext grassieren vielfältige Ängste, die von nationalistischen Parteien aufgegriffen und politisch instrumentalisiert werden. Umfragen zufolge gibt es in der Bevölkerung dennoch eine knappe Mehrheit von 52 Prozent zugunsten der Euro-Einführung. Nach dem Beitritt zur EU und zur NATO sowie zum Schengen-Raum sehen viele darin den letzten Schritt auf Bulgariens Weg zur vollständigen europäischen Integration.
Jacques Paparo leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bulgariens Hauptstadt Sofia.