Zustand der deutschen Wirtschaft: Warum jetzt Zeit für Optimismus ist
Dramatische Warnungen über den Niedergang der deutschen Wirtschaft sind oft strategisches Theater. Tatsächlich hat die Bundesregierung in diesem Jahr bereits gute Voraussetzungen für einen spürbaren Auftrieb geschaffen. Nun kommt es auch auf die EU an.
Florian Gaertner/photothek.net
Mit den Investitionsprogrammen hat die Bundesregierung wichtige Weichen für einen Wirtschaftsaufschwung gestellt.
Geht es um den Zustand der Wirtschaft in Deutschland, sind schrille Töne an der Tagesordnung. Häufig sind sie aber nur gespielt, um handfeste Interessen durchzusetzen. So ist auch die Äusserung des Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) über den angeblich freien Fall des Standorts Deutschland zu verstehen. Mit diesem dramatischen Tremolo will er weitere Steuervorteile und Subventionen für eine Industrie herausholen, der es zwar nicht gut geht, die aber alle Chancen auf Besserung hat.
Woher kommt Optimismus in Zeiten von Handelskriegen und herausfordernden technologischen Änderungen? Er speist sich aus substantiellen Änderungen in der Wirtschaftspolitik in Deutschland, einem wirtschaftlich erwachenden Europa und einer sich langsam, aber dennoch dramatisch ändernden globalen Arbeitsteilung.
Zollstreit und Exportimperialismus
Der Ausgangspunkt von alledem ist zerstörtes Vertrauen. Die USA haben Vertrauen durch ihre aggressive Zollpolitik zerstört, Russland durch seine Kriegslüsternheit und China durch seinen Exportimperialismus mittels einer teilweise subventionierten Güterschwemme zu Lasten ihrer wichtigsten Handelspartner, nicht zuletzt der EU. Diese unfreundlichere Welt hat im Exportland Deutschland erhebliche wirtschaftliche Schäden vor allem in der Industrie angerichtet.
Doch allmählich kommen die Reaktionen in Gang. Die sichtbarsten sind in Deutschland selbst passiert. Mit dem Infrastrukturpaket und der faktischen Aufhebung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben hat die Finanzpolitik einen paradigmatischen Kurswechsel vollzogen. Sie erkennt erstmals glaubhaft die gravierenden Investitionslücken in der öffentlichen Infrastruktur an und stellt finanzielle Abhilfe in großem Umfang zur Verfügung. Der Wiederaufbau der Bundeswehr bewirkt ebenfalls massive Ausgabensteigerungen.
Investitionen werden zu Aufschwung führen
Diese erhöhten Ausgaben werden wirtschaftliche Impulse für die Binnennachfrage geben. Die Investitionsausgaben werden, gerade weil die Ausgangslage so kritisch ist, besonders hohe Wirkung entfalten. Merklich schwächer wird der Effekt der Verteidigungsausgaben sein, aber auch er wird positiv sein.
Richtig ist, die Bundesregierung hat einen (kleineren) Teil des Sondervermögens dazu verwendet, Haushaltslöcher zu stopfen. Diese Ausgaben sind also im Vergleich zu den Planungen der Ampel-Regierung nicht zusätzlich und würden daher auch keinen zusätzlichen Impuls auslösen. Sie verhindern jedoch, dass die Bundesregierung, statt zusätzliche Ausgaben zu tätigen, in einer kritischen Wirtschaftslage ein Sparprogramm aufsetzen müsste. Insofern trägt auch dieses Vorgehen zumindest zur Stabilisierung bei.
Sicher, auch ist unklar, inwieweit die Investitionen der Länder wirklich zusätzlich sind. Ihre Bereitschaft die Gelder an die investiv wirklich darbenden Kommunen weiterzureichen, war in den meisten Fällen durchaus begrenzt. Aber trotz all dieser Unzulänglichkeiten werden die beschlossenen Investitionen einen fühlbaren Impuls auslösen, der eine Kehrtwende der Konjunktur nach oben auslösen könnte.
Binnennachfrage innerhalb der EU muss steigen
Hinzu kommt, dass die EU insgesamt sich allmählich vom Schock hoher Zölle seitens der US-Regierung erholen dürfte. Nachdem der Export in die USA im Frühjahr in Erwartung höher Zölle noch stark zugenommen hatte, fiel er im Sommer dann entsprechend zurück, was große Besorgnis auslöste. Diese Anpassung nach unten dürfte aber nun vorbei sein.
Neue Handelsbeziehungen vor allem in den globalen Süden entstehen und dürften im Laufe der Zeit die Exporte mit einer neu ausgerichteten globalen Arbeitsteilung wieder stabilisieren. Vor allem aber dürfte nunmehr auch dem letzten EU-Finanzminister klar sein, dass es in den kommenden Jahren auf eine dynamische Binnennachfrage in der EU ankommt.
Die EU ist groß genug, um sich in diesen global schwierigen Zeiten selbst zu retten. Sie muss sich dieser Stärke nur bewusst sein und entsprechend agieren. Das bedeutet: Derzeit ist nicht die Zeit für Sparprogramme, sondern EU-weit für eine stetige Ausgabenpolitik mit möglichst hohem investiven Gehalt.
All dies führt schon derzeit zu erwachenden Lebenszeichen bei der Konjunktur in Deutschland, die die optimistische Aussicht stützen. Der BDI-Präsident hat übrigens mittlerweile seine Aussage zum freien Fall der deutschen Wirtschaft selbst als nicht sehr sachlich bezeichnet.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.