Inland

Wohnungslosigkeit: Warum sie einen neuen Höchststand erreicht

Wenn die Temperaturen sinken, trifft es Menschen, die auf der Straße leben, besonders hart. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe berichtet von einer dramatischen Entwicklung.

von Lea Hensen · 17. November 2025
Eine Reihe an Zelten unter einer Brücke.

Die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland steigt - einige von ihnen sind sogar obdachlos. (Symbolbild)

Explodierende Mieten, steigende Nebenkosten – der Wohnungsmarkt in deutschen Großstädten stellt bereits Menschen mit mittlerem Einkommen vor Herausforderungen. Für viele, die weniger haben oder schwierigen Umständen ausgesetzt sind, wird er zum Verhängnis. Das erkennt man vielerorts im Stadtbild, wo immer mehr Obdachlose an Bahnhöfen oder in Fußgängerzonen leben.

Die Zahl der Wohnungslosen steigt: Über eine Millionen Menschen in Deutschland leben ohne ein festes Zuhause. Laut der aktuellen Hochrechnung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) stieg ihre Zahl 2024 um elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr: Von 928.000 auf mindestens 1.029.000 Menschen. „Die Wohnungslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland hat einen Höchststand erreicht und ein Ende ist nicht in Sicht“, sagte die Vorsitzende des Vereins, Susanne Hahmann, am Montag bei der Vorstellung des Berichts in Berlin.

56.000 Menschen obdachlos

Wohnungslos bedeutet, ohne ein rechtliches Mietverhältnis oder Wohneigentum zu leben: Also zum Beispiel in einer Notunterkunft, auf der Couch bei Freunden oder Bekannten oder in einem Camper. Oder auf der Straße: 56.000 Menschen hatten im vergangenen Jahr gar kein Dach über dem Kopf. Der Großteil der von der BAGW gezählten Wohnungslosen ist durch Städte und Kommunen untergebracht – denn wer in Deutschland lebt, hat einen Rechtsanspruch auf Wohnen. 

Ausgelöst werde Wohnungslosigkeit häufig durch Miet- und Energieschulden, Konflikte im Wohnumfeld, familiäre Probleme oder Trennung. Drei Viertel der Wohnungslosen sind Erwachsene, ein Viertel ist minderjährig. 61 Prozent sind Männer, 39 Prozent Frauen. Am meisten betroffen seien Familien.

Die BAGW berechnet ihre Zahlen auf Grundlage von jährlichen Abfragen in Kommunen und Wohnungslosenhilfen in Nordrhein-Westfalen und rechnet diese Daten auf das Bundesgebiet hoch. Der Bericht übertrifft die Zahlen des Statistischen Bundesamts teils deutlich, da er noch weitere Gruppen miteinbezieht, wie Menschen, die in Gewaltschutzeinrichtungen leben, in Gartenanlagen oder Billigpensionen. 

Viele Geflüchtete betroffen

Dem Verein zufolge sind besonders viele Geflüchtete von Wohnungslosigkeit betroffen. Sie werden nicht in allen Kommenen als einzelne Gruppe erfasst, allerdings hat der weitaus größte Teil (80 Prozent) der Wohnungslosen keine deutsche Staatsbürgerschaft und die meisten von ihnen kommen aus einem Land außerhalb der EU oder sind staatenlos. Die Anzahl der wohnungslosen Nicht-EU-Bürger*innen ist den Angaben nach von 2023 auf 2024 um 14 Prozent gestiegen.

Auch den sprunghaften Anstieg an Wohnungslosen um 53 Prozent zwischen 2022 und 2023 führt die Bundesarbeitsgemeinschaft auf den Zuzug an Geflüchteten aus der Ukraine zurück. Gleichzeitig sei die Erfassung in den Kommunen verbessert worden.

Neues Risiko durch Bürgergeld-Reform

Als Gründe für Wohnungslosigkeit nennt die BAGW die hohen Mieten und Armut. Die meisten nicht-deutschen Wohnungslosen haben demnach schon seit ihrer Einreise keine Wohnung. „Der Mietmarkt ist massiv überhitzt, die Situation ist absolut dramatisch“, sagte Hahmann. Besonders problematisch sei der „extreme“ Rückgang beim Bau von Sozialwohnungen, viele Sozialwohnungen würden aus der Bindung fallen. „Es braucht eine aktive Steuerung, um dem entgegenzuwirken.“

Durch die geplante Reform beim Bürgergeld entstehe ein zusätzliches Risiko für Wohnungslosigkeit: Empfänger*innen drohen künftig schneller Leistungskürzungen, bei mehreren verpassten Terminen im Jobcenter können sie auch die Zahlungen für die Wohnkosten verlieren. „Die geplanten Sanktionen stellen die Würde der betroffenen Menschen in Frage und riskieren, dass sie ihr Zuhause verlieren. Das ist sozialpolitisch unverantwortlich“, sagt Sabine Bösing, Geschäftsführerin der BAGW. 

Hilfsangebote von Kürzungen bedroht

Die Bundesregierung hatte sich eigentlich zum Ziel gesetzt, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Der Nationale Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit wurde 2024 in der Ampel-Koalition beschlossen, er beinhaltet mehr als zwei Dutzend Maßnahmen, mit denen Bund, Länder und Kommunen Wohnungslosigkeit bekämpfen sollen. BAGW-Vorsitzende Hahmann sagte: „Es ist richtig, diesen Anspruch zu haben.“ Wahrscheinlich werde das Ziel für 2030 aber nicht erreicht.

Stattdessen seien inzwischen viele Hilfsangebote und Notfallstationen für Wohnungslose von Kürzungen bedroht. Laut einer Umfrage der BAGW sind 17 Prozent der Einrichtungen von Kürzungen betroffen oder müssen darum fürchten. Die BAGW fordert einen wachsenden Bestand an bezahlbaren Wohnungen und Sozialwohnungen und Maßnahmen gegen die Mietpreisentwicklung. Außerdem brauche es verbindliche Quoten für die Wohnraumversorgung, flächendeckende Präventionsangebote und bessere Datenerhebung.

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Lea Hensen
Lea Hensen

ist Redakteurin des „vorwärts“.

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