Inland

Medizinische Versorgung im Krisenfall: Karlsruhe kippt Triage-Gesetz

Karlsruhe hat die 2023 vom Bundestag beschlossene Triage-Regelung für nichtig erklärt. Sie bestimmt in welcher Reihenfolge Menschen bei medizinischen Engpässen behandelt werden. Die entscheidende Frage ließ das Gericht aber unbeantwortet.

von Christian Rath · 4. November 2025
Stop-Signal aus Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen gekippt, wer in einem Notfall bei begrenzten medinischen Kapazitäten zuerst behandelt wird. (Fotomontage als Symbolbild)

Stop-Signal aus Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen gekippt, wer in einem Notfall bei begrenzten medinischen Kapazitäten zuerst behandelt wird. (Fotomontage als Symbolbild)

Der Bundestag hat keine Kompetenz, die Auswahl (Triage) von Patient*innen bei einer Überlastung des Gesundheitssystems zu regeln. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss, der am heutigen Dienstag veröffentlicht wurde. Jetzt müssen die Landtage 16 Landesgesetze beschließen. 

Von einer Triage spricht man, wenn die Möglichkeiten des Gesundheitswesens nicht ausreichen, um alle Patient*innen ausreichend zu versorgen. Dann müssen die Ärzt*innen auswählen, wem sie helfen und wem nicht. In den Diskussionen während der Covid-Pandemie ging es vor allem um die begrenzten Kapazitäten der Intensivstationen der Krankenhäuser, wobei es letztlich keine praktischen Anwendungsfälle gab.

Sorge vor Benachteiligung behinderter Menschen bei Triage

Eine Gruppe von neun Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen erhob 2020 Verfassungsklage, weil sie befürchteten, im Fall einer Triage benachteiligt zu werden. Die Ärzte-Verbände hielten die Befürchtungen jedoch für unnötig, weil Ärzt*nnen schon aus berufsrechtlichen Gründen niemand diskriminieren dürfen. 

Das Bundesverfassungsgericht gab der Klage 2021 aber statt. Der „Gesetzgeber“ müsse „unverzüglich“ eine gesetzliche Regelung schaffen, die eine Diskriminierung Behinderter bei der Triage ausschließt. Es dürfe zwar auf die Wahrscheinlichkeit geachtet werden, dass der Patient die konkrete Krankheit überlebt. Unzulässig sei aber eine Differenzierung nach Lebenserwartung oder vermeintlicher Lebensqualität. Im übrigen habe der „Gesetzgeber“ einen weiten Spielraum. 

Wer ist der richtige „Gesetzgeber“?

Damals gingen alle Beteiligten davon aus, dass der Bundestag hier der richtige „Gesetzgeber“ ist. Der Bundestag beschloss die Neuregelung im Dezember 2022 als neuen Paragraf 5c im Infektionsschutzgesetz.

Im Vorfeld war vor allem über die so genannte Ex-Post-Triage gestritten worden, die die Bundesregierung in einem ersten Entwurf vorgeschlagen hatte. Damit war gemeint: Wenn alle Beatmungsgeräte besetzt sind und es kommt ein neuer Patient mit hoher Überlebenswahrscheinlichkeit hinzu, dann muss ein bereits angeschlossener Patient mit geringer Überlebenswahrscheinlichkeit sein Gerät abgeben. Das führte zu großer Empörung. Im beschlossenen Gesetz steht nun das Gegenteil. Eine solche Ex-Post-Triage war nun sogar verboten. 

Eingriff in die Berufs- und Gewissensfreiheit von Ärzten

Das aber empörte die Ärzteschaft. 14 Fachärzt*innen erhoben mit Unterstützung der Ärztegewerkschaft Marburger Bund nun ihrerseits gegen die Neuregelung Verfassungsbeschwerde. Es sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in ihre Berufs- und Gewissensfreiheit, wenn sie Menschen mit geringer Überlebens-Wahrscheinlichkeit versorgen müssen, während später eingelieferte Patienten mit hoher Überlebenswahrscheinlichkeit leer ausgehen und sterben müssen. 

Diese inhaltlich zentrale Frage hat das Bundesverfassungsgericht nun aber nicht entschieden. Es hat auch keine Andeutungen hierzu gemacht. Das Gericht erklärte den Triage-Paragrafen vielmehr nur deshalb für verfassungswidrig und nichtig, weil der Bundestag keine Kompetenz habe, ein derartiges Gesetz zu beschließen. 

Keine Bundeskompetenz für Pandemiefolgen

Der Bundestag hatte sich auf seine Kompetenz für „Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren“ berufen. Das ließen die Richter*innen nun aber nicht gelten. Dort gehe es um Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Krankheit, weshalb der Bundestag ein Infektionsschutzgesetz beschließen durfte. Es gebe aber keine Bundeskompetenz für die Folgen einer Pandemie, etwa die Überlastung des Gesundheitswesens. Die Entscheidung fiel mit sechs zu zwei Richterstimmen. 

Nun gibt es also zunächst keine gesetzliche Triage-Regelung. Paragraf 5c ist nichtig und wurde auch nicht bis zu einer bestimmten Frist aufrecht erhalten. Das ist auch nicht schlimm, da wir derzeit keine Pandemie haben und die Ärzt*innen ohnehin versichern, dass sie niemand diskriminieren.

16 Landtage müssen nun handeln

Es gilt aber noch der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts von 2021, dass der „Gesetzgeber“ unverzüglich einen gesetzlichen Schutz gegen Diskriminierung bei der Triage schaffen muss. Nun ist also klar, dass damit die Landtage am Zug sind.

Da sie hierbei viel Gestaltungsfreiheit haben, könnte es am Ende 16 unterschiedliche Landesgesetze geben. Falls es wieder Verbote der Ex-Post-Triage gibt, dürften die Ärzte des Marburger Bunds wieder Verfassungsklage erheben. Und dann müsste das Bundesverfassungsgericht in einigen Jahren erneut entscheiden. 

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