Integration von Flüchtlingen: „Sachsen ist besser als sein Ruf“
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Zurzeit wird viel über Probleme bei der Integration von Flüchtlingen gesprochen und geschrieben. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Da muss man zwischen den alten und den neuen Bundesländern unterscheiden. Die alten Bundesländer sind sehr viel erfahrener bei Fragen der Integration. Sie können außerdem auf Netzwerke von Migrantenverbänden und ähnlichen Gruppen zurückgreifen, die bei der Integration der Flüchtlinge wichtige Arbeit leisten. In den neuen Bundesländern müssen wir das alles noch aufbauen. Das liegt vor allem daran, dass wir bisher sehr viel weniger Asylsuchende hatten als zurzeit. Unabhängig von den Strukturen ist aber klar: Die Grundlage für gelungene Integration ist der Erwerb der Sprache – nicht zuletzt, um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu finden.
Sie haben angekündigt, Asylsuchende schneller in Arbeit bringen zu wollen. Wie soll das gelingen?
Erstmal bin ich sehr froh und dankbar, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Sprachkurse auch für diejenigen Asylsuchenden geöffnet hat, die eine gute Bleibeperspektive haben. Das wird ihnen sehr helfen, sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. In Sachsen wollen wir den Kreis derjenigen, die an Sprachkursen teilnehmen können, auch noch erweitern und ein eigenes Sprachprogramm auflegen.
In Sachsen haben Sie sogenannte Wegweiserkurse für Asylsuchende eingeführt, die nun landesweit etabliert werden sollen. Was verbirgt sich dahinter?
Das sind Kurse, an denen jeder Asylsuchende noch in der Erstaufnahmeeinrichtung teilnehmen soll. In 30 Stunden gibt es den allerersten Sprachunterricht, aber auch Grundwerte wie das Verhältnis Frauen und Männern oder die Bedeutung des Grundgesetzes. Noch laufen die Kurse in sechs Einrichtungen als Pilotprojekt. Mein Ziel ist aber, sie sachsenweit für alle Asylsuchenden anzubieten.
Es wird immer wieder gefordert, in der Integration die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Liegt darin möglicherweise eine Chance für Sachsen, weil Sie von den Erfahrungen der alten Bundesländer profitieren können?
Ja, auf jeden Fall. Einer der Grundfehler war sicher die Unterbringung von Asylsuchenden in Sammelunterkünften oder gar abgeschlossenen Bereichen. Wir haben in Sachsen etwa 200.000 leerstehende Wohnungen. Das sollten wir nutzen, um die Menschen, die zu uns kommen, dezentral unterzubringen. Bisher ist uns das auch recht gut gelungen: Fast 60 Prozent aller Asylsuchenden konnten wir bislang in Wohnungen unterbringen. Allein der Umstand, dass sie mit und unter der einheimischen Bevölkerung leben, macht die Integration deutlich einfacher.
Das klingt sehr leicht.
Das wäre vermessen. Natürlich gibt es auch Dinge, die schwieriger sind, wenn nicht alle an einem Fleck wohnen. Zum Beispiel ist der Aufwand größer, wenn die Asylsuchenden ihre Sprachkurse oder Ämter aufsuchen. In Sachsen haben wir deshalb eine gute Struktur von Sozialarbeitern aufgebaut, die die Aufgabe haben, den Asylsuchenden gleich zu Beginn Dinge zu erklären, sie zu unterstützen und zu begleiten. Unsere Erfahrung ist: Wenn der Anfang gut gelingt, fällt alles andere deutlich leichter.
Voraussetzung dafür ist viel – auch ehrenamtliches – Engagement. Finden Sie da schnell geeignete Kandidaten?
In den letzten Monaten wurde viel Negatives über Sachsen berichtet, was sicher seine Berechtigung hat. Allerdings ist dabei leider zu kurz gekommen, dass es auch hier ein unheimlich großes ehrenamtliches Engagement für die Asylsuchenden gibt. Und hinzu kommt: Viele junge Menschen entscheiden sich jetzt bewusst dafür, als Sozialarbeiter aktiv zu werden, weil es für sie auch eine berufliche Perspektive bedeutet.
Nach den Vorkommnissen von Köln stehen „muslimische Männer“ im Mittelpunkt der Debatte. Müssen Frauen und Männer unterschiedlich integriert werden?
Auch bei der Integration sollte die Grundregel gelten, dass Frauen und Männer hier gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben. Frauen müssen deshalb bei Sprach- und Wegweiserkursen genauso mit einbezogen werden wie männliche Asylsuchende. Vor den Klassen stehen übrigens häufig Lehrerinnen. Das müssen die Männer selbstverständlich akzeptieren. Bisher gab es da aber meines Wissens auch keine Probleme. Ich möchte, dass die Menschen, die zu uns kommen, unser Wertesystem akzeptieren. Und da gehört Gleichberechtigung als ganz zentraler Punkt dazu. Im Zweifelsfall müssen wir ganz klar machen, dass es für Verstöße keinerlei Toleranz gibt.
Sie selbst haben zwei syrische Flüchtlinge bei sich zuhause aufgenommen. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Mein Mann und ich haben die beiden bei uns zuhause aufgenommen, weil sie als Homosexuelle in der Erstaufnahmeeinrichtung schikaniert wurden. Unsere Erfahrungen waren durchweg positiv. Der eine junge Mann hatte vor seiner Flucht in Syrien ein Wirtschaftsstudium begonnen. Jetzt lernt er die deutsche Sprache und möchte dann sein Studium hier fortsetzen. Der andere war, obwohl er erst 19 ist, bereits mehrere Jahre im Krieg. Seine Familie hat ihn zur Flucht gedrängt, um ihm das Leben zu retten. Er ist zurzeit im Integrationskurs und wird im Sommer mit der Vorbereitung auf die Berufsschule beginnen.
Bundesfamilienministerin Schwesig hat gerade das Programm „Menschen stärken Menschen“ ins Leben gerufen und sucht 25.000 Paten für Flüchtlinge. Ist das der richtige Weg zur Integration?
Ja. Und auch hier ist Sachsen viel besser als sein Ruf. In Leipzig zum Beispiel gibt es bereits länger ein Patenschaftsprogramm, das in der aktuellen Situation für die Flüchtlinge natürlich ein Glücksfall ist. Andere Städte haben nachgezogen und das ist ein wichtiger Baustein für die Integration. Es ist kein Geheimnis, dass, wer Flüchtlinge persönlich kennengelernt hat, einen ganz anderen Blick auf die gesamte Situation hat und Verständnis entwickelt. Da verspreche ich mir von dem neuen Programm noch Einiges.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.