CSDs unter Druck: „Ungarn ist das passende, drohende Beispiel“
Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD) stehen zunehmend unter Druck. Gleichzeitig wird die Regenbogenflagge auf dem Bundestag verboten – für Falko Droßmann, den queerpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, ist das eine „bewusste Verschiebung des Diskurses nach rechts“.
IMAGO/Fotostand
Beflaggung des Reichstagsgebäudes im Juli 2022: Zum diesjährigen Christopher-Street-Day wird keine Regenbogenflagge auf dem Sitz des Bundestags wehen.
Am ersten August-Wochenende findet der Christopher-Street-Day in Hamburg statt. Mit welchem Gefühl werden Sie in diesem Jahr daran teilnehmen?
Beim Hamburger CSD gibt es ja in diesem Jahr eine Besonderheit: Er startet nicht wie in den vergangenen 30 Jahren immer, in der „Lange Reihe“ in St. Georg, sondern auf dem „Steindamm“. Die Straße mit ihren Barber-Shops, Bäckereien und Gemüseläden wird von vielen liebevoll „Klein Istanbul“ genannt. Das ist also schon ein gewisser Kontrast. Dass der CSD diesmal dort startet, liegt allerdings allein daran, dass die „Lange Reihe“ für die vielen Teilnehmer zu eng geworden ist und es die Gefahr gab, dass Rettungswagen im Notfall nicht mehr durchkommen.
Die CSDs stehen in diesem Jahr vermehrt unter Beobachtung von rechts. Es gibt Gegendemos, zum Teil mussten Umzüge bereits aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Beunruhigt Sie das?
Für Hamburg mache ich mir gar keine Sorgen. Hamburg ist eine total weltoffene Stadt. Es gab schon Übergriffe gegen queere Menschen, die aber eindeutig von der Stadtgesellschaft verurteilt wurden. Auch die Polizei hat hier stets eine gute Arbeit gemacht. In Hamburg wird alles reibungslos laufen, wie es auch in Köln gelaufen ist und am kommenden Wochenende in Berlin laufen wird. Sorgen machen mir eher die CSDs in kleineren Orten, gerade in Ostdeutschland. Die massive Mobilisierung von Gegendemonstrierenden ist dabei das eine. Wie einschüchternd die sein können, habe ich schon selbst erfahren. Das andere sind die Sicherheitsauflagen, mit denen manche Kommunen die CSD-Veranstalter überziehen und die Veranstaltungen oftmals quasi unmöglich machen. Einfach, weil die Veranstalter das nicht bezahlen können.
Steckt dahinter politisches Kalkül oder wirklich die Sorge, dass etwas passieren könnte?
Das ist von Ort zu Ort unterschiedlich, aber in vielen Fällen ist es aus meiner Sicht Kalkül. Denn wenn sich die Kommunen wirklich Sorgen um die Sicherheit machen würden, wäre ja die Polizei zuständig, die Veranstaltung abzusichern, und keine private Sicherheitsfirma, die die Veranstalter bezahlen müssen. Ein Christopher-Street-Day ist ja keine Party, sondern eine politische Demonstration. Und die muss ermöglicht werden. Zum Teil wirken die Auflagen, die manche Kommunen machen, auch sehr willkürlich. Nach der diesjährigen CSD-Saison werden wir als SPD-Bundestagsfraktion deshalb auch alle Veranstalter einladen, um mit ihnen zu besprechen und zu überlegen, wo wir als Bund und Länder helfen können, damit die CSDs weiter stattfinden können.
Falko
Droßmann
Dass die CSDs inzwischen massiv von rechts angefeindet werden, hat aus meiner Sicht weniger mit den CSDs zu tun als vielmehr mit einem sich verändernden gesellschaftlichen Klima.
Neben verschärften Auflagen haben CSD-Veranstalter wohl auch damit zu kämpfen, dass sich Unternehmen als Sponsoren zurückziehen, weil sie negative Konsequenzen etwa von der US-Regierung von Donald Trump fürchten. Können Sie das bestätigen?
Ja, das ist leider so. Ich war Anfang Juni auf dem „World Pride“ in Washington und Tag für Tag ist ein Sponsor nach dem anderen abgesprungen. Da mussten sogar Logos überklebt werden, so kurzfristig war das. Vor Ort spürt man, dass da ein regelrechter Kampf tobt und die Sorge vor Konsequenzen groß ist. Die Frage, die sich viele Unternehmen gerade stellen, ist: Knicke ich ein oder gehe ich bewusst in den Widerstand zu Trump? Viele entscheiden sich für ersteres.
Woran liegt es, dass jetzt so massiv gegen den CSD agitiert wird?
Dass die CSDs inzwischen massiv von rechts angefeindet werden, hat aus meiner Sicht weniger mit den CSDs zu tun als vielmehr mit einem sich verändernden gesellschaftlichen Klima. Rechte haben sich schon immer Gruppen ausgesucht, die sie zur Zielscheibe machen konnten – Migranten etwa oder queere Menschen. Durch die Entwicklungen der letzten Jahre sehen sie sich und ihre Auffassung im Aufwind.
Der CSD bzw. die „Pride“ in Budapest am letzten Juni-Wochenende war verboten. Trotzdem kamen rund 200.000 Menschen in die ungarische Hauptstadt. Sie waren auch dabei. Wie war die Stimmung?
Ich war einer von 63 Abgeordneten aus 13 EU-Staaten. Bevor der Zug begann, waren wir auf einer Menschenrechtskonferenz der ungarischen Zivilgesellschaft. Von dort sind wir gemeinsam zur Hauptveranstaltung der Pride gegangen. Von Minute zu Minuten wurden es mehr Menschen, bis die Straße komplett voll war. Und es waren bei weitem nicht nur LGBTQIA+ und queere Menschen unterwegs. Die Pride war eher ein Vehikel für den großen Widerstand der ungarischen Zivilgesellschaft gegen Viktor Orbán. Sie war eine Demonstration der ungarischen Zivilgesellschaft, die sich in dem Moment mit den Queers zusammengetan hat, um für Meinungsfreiheit zu demonstrieren. Die ungarische Polizei konnte dann auch nichts anderes machen als die Parade abzusichern. Die Menschen auseinanderzutreiben oder die Versammlung aufzulösen, hätte nicht funktioniert.
Queere Menschen werden in Ungarn schon seit längerem drangsaliert. Vieles, was in Deutschland möglich ist, ist in Ungarn verboten. Was lässt sich daraus für Deutschland lernen?
Dass wir das, was wir in Ungarn erleben, bei uns unbedingt vermeiden müssen! Auf dem Papier gibt es dort ja die Gewaltenteilung, aber Gerichtsentscheidungen werden von Viktor Orbán einfach ignoriert. Wenn ich mich als Teil der Bundesregierung genauso verhalte, ist der Weg zu ungarischen Verhältnissen nicht mehr weit. Wir sind keinesfalls widerstandsfähiger als andere Staaten, auch wenn wir das oft denken. Deshalb halte ich die Diskussion über Frauke Brosius-Gersdorf auch für so gefährlich. So werden staatliche Institutionen mutwillig beschädigt – im schlimmsten Fall irreparabel.
Falko
Droßmann
Die Regenbogenfahne ist wichtig, um die Sichtbarkeit und Widerstandsfähigkeit queerer Menschen zu zeigen.
Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang das Verbot, die Regenbogenflagge zum Berliner CSD auf dem Reichstagsgebäude zu hissen?
Das ist ein absolut fatales Zeichen. Ich bin ein großer Fan unserer Nationalfahne, finde aber nicht, dass sich Schwarz-Rot-Gold und die Regebogenfahne ausschließen, im Gegenteil. Die Regenbogenfahne ist wichtig, um die Sichtbarkeit und Widerstandsfähigkeit queerer Menschen zu zeigen. Inzwischen ist es ja sogar so weit, dass wir aufgefordert worden sind, Regenbogenflaggen aus unseren Büros zu entfernen mit dem Argument, ansonsten könnte die AfD ja dort auch eine schwarz-weiß-rote Fahne (die Fahne des Deutschen Kaiserreichs, Anm.d.Red.) aufhängen. Das werden wir uns aber nicht gefallen lassen. Aus meiner Sicht geht es aber auch gar nicht um die Fahne, sondern um eine bewusste Verschiebung des Diskurses nach rechts. Insofern ist Ungarn da schon das passende, drohende Beispiel. Ganz unschuldig ist die queere Community daran allerdings auch nicht.
Inwiefern?
Natürlich ist queeres Leben selbstverständlich und muss es auch sein. Es gibt aber auch Menschen, die wollen besonders queer sein. Das führt dann dazu, dass es auch in der Community Age-Shaming und Body-Shaming gibt bis hin zu strukturellem Rassismus. Und wer nicht auf Anhieb alle Neopronomen (Pronomen, die verwendet werden, um sich auf Personen zu beziehen, die sich nicht mit den traditionellen binären Pronomen „er“ oder „sie“ identifizieren, Anm.d.Red.) kennt, gilt schnell als suspekt. Und dann gibt es auch noch die schwulen Cis-Männer, die glauben, dass sie alles erreicht haben und sich in Teilen gegen die queere Community richten. Jens Spahn ist ein Beispiel dafür, der klar sagt, er sei schwul, aber nicht queer und deutlich seine Ablehnung gegenüber Trans-Personen formuliert. Eine solche Haltung halte ich für doppelt gefährlich, denn alle Errungenschaften können auch ganz schnell wieder zurückgedreht werden.
Als Lehre aus der Niederlage bei der Bundestagswahl hat sich die SPD vorgenommen, wegzukommen von „kleinteiligen, zielgruppenspezifischen Politikangeboten, hin zu einem umfassenden Politikansatz mit einer sozialdemokratischen Vision“. So steht es im Beschluss des Leitantrags vom Parteitag. Hat sich die SPD zu sehr um Minderheiten gekümmert?
Es ist gut möglich, dass es diese Sorgen in manchen Kreisen der Partei gibt. Das wird dann oft gleichgesetzt damit, dass sich die SPD nicht mehr um die Nöte und Herausforderungen derjenigen kümmert, die die Mehrheit in Deutschland stellen. Davor kann ich nur warnen. Ich lese diesen Parteitagsbeschluss deshalb in der Hoffnung, dass dahinter auch die Normalität der Minderheiten steckt. Dass wir als SPD also alle im Blick haben. Für die Bundestagsfraktion und insbesondere für die AG queer kann ich nur sagen, dass wir immer im Blick haben werden, wer unsere Hilfe braucht – unabhängig vom Geschlecht und der sexuellen Orientierung.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.