Inland

Corona-Enquete: „Lernen, damit wir künftig besser vorbereitet sind“

17. December 2025 07:32:15

Um Lehren aus dem Umgang mit der Corona-Pandemie zu ziehen, hat der Bundestag eine Enquete-Kommission eingesetzt. SPD-Obfrau Lina Seitzl sagt im Interview, welche Ziele das Gremium verfolgt und wann seine Arbeit ein Erfolg wäre.

Ein Schild weist während der Corona-Pandemie auf den Mindestabstand von 1,5 Metern hin.

Um andere zu schützen, galt während der Corona-Pandemie ein Abstandsgebot von mindestens 1,5 Metern. Über diese und andere Maßnahmen berät nun eine Enquete-Kommission.

Mit wieviel Personen werden Sie in diesem Jahr Weihnachten feiern?

Ganz genau kann ich das gar nicht sagen, aber es werden sehr viele sein, da sowohl mein Mann als auch ich eine große Familie haben.

Vor fünf Jahren, im Dezember 2020, wurden die damals geltenden Corona-Kontaktbeschränkungen über die Weihnachtstage etwas gelockert. Eigentlich durften sich zu der Zeit maximal fünf Personen aus zwei Haushalten treffen. War diese Maßnahme im Rückblick betrachtet sinnvoll?

Es war sinnvoll und notwendig, Kontakte zu beschränken, insbesondere in einer Zeit, in der es noch keine Impfung gegen das Corona-Virus gab und auch die Test-Möglichkeiten noch nicht breit verfügbar waren. Im Dezember 2020 hat sich das Corona-Virus deshalb noch ziemlich unkontrolliert ausgebreitet. Trotzdem war sicher nicht jede Entscheidung, die damals zur Kontaktbeschränkung getroffen wurde, richtig. Dass etwa – insbesondere in Großstädten – Spielplätze geschlossen wurden, war aus meiner Sicht von heute aus betrachtet eine falsche Entscheidung. Auch in der Frage der recht langen Schulschließungen gibt es mittlerweile einen Konsens, dass hier die negativen Effekte letztlich überwogen haben.

„Die Wahrnehmung der Corona-Zeit in der Bevölkerung ist sehr verschieden.“

Um die Bewertung der Corona-Maßnahmen soll es – unter anderem – in der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse“ des Bundestags gehen. Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus den ersten Sitzungen mit?

Uns eint das Anliegen, neben der Aufarbeitung der Corona-Zeit auch immer einen Blick in die Zukunft zu werfen, um auf künftige Ereignisse besser vorbereitet zu sein. Wie müssen Entscheidungsstrukturen aufgestellt sein? Welche Priorisierungen werden vorgenommen? Das ist in den ersten Sitzungen der Enquete-Kommission sehr deutlich geworden. Ich finde es extrem wichtig, dass wir dabei das Thema vulnerable Gruppen immer mitdenken. Damit sind nicht nur Menschen mit einer Vorerkrankung gemeint, sondern zum Beispiel auch Kinder und Jugendliche oder Menschen in Armut. Sie müssen wir für zukünftige Krisen stärker in den Fokus zu nehmen und werden deshalb auch mit Kindern und Jugendlichen direkt sprechen.

In einer unserer ersten Sitzungen waren Vertreterinnen und Vertreter des öffentlichen Gesundheitsdienstes zu Gast. Sie haben nochmal deutlich gemacht, wie wichtig es ist, die öffentlichen Gesundheitsämter zu stärken, sie miteinander zu vernetzen, zu digitalisieren und insgesamt gut auszustatten. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist eine Riesen-Ressource, die wir noch besser nutzbar machen müssen.

Für die Arbeit der Enquete-Kommission insgesamt ist mir wichtig, dass wir sie in die Breite der Gesellschaft transportieren und deutlich machen, dass bei der Bewältigung der Pandemie vieles gut gelaufen ist, es aber eben auch Dinge gab, die nicht funktioniert haben. Die Wahrnehmung der Corona-Zeit in der Bevölkerung ist sehr verschieden. Als Enquete-Kommission müssen wir es schaffen, diese Wahrnehmungen aufzunehmen und daraus Handlungsempfehlungen zu entwickeln.

„Wir müssen unsere Entscheidungs- und Beschaffungsstrukturen so weiterentwickeln, dass wir in Krisen schnell und handlungsfähig bleiben, zugleich aber effizienter agieren und unnötig hohe Kosten vermeiden.“

In der jüngsten Sitzung war der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu Gast und musste Rede und Antwort stehen zur inzwischen umstrittenen Beschaffungspraxis bei Masken und weiterer Schutzausrüstung in der Corona-Zeit. Haben Sie aus der Befragung neue Erkenntnisse mitgenommen?

Die Befragung von Jens Spahn, aber auch den anderen Sachverständigen, u.a. vom Bundesrechnungshof und dem Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums, war lang und intensiv. Deutlich wurde noch einmal, dass es damals keine Blaupause gab und dass das zentrale Ziel war, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.

Gleichzeitig haben der Bundesrechnungshof und Margaretha Sudhof als Corona-Sonderermittlerin klar benannt, wo sie Kritik an der damaligen Beschaffungspraxis sehen, etwa bei Lieferverträgen zu festen und sehr hohen Preisen. Wichtig war allen Beteiligten, dass es dabei nicht um persönliche Schuldzuweisungen ging, sondern um ein besseres Verständnis der Prozesse und der damaligen Lage. Die Sachverständigen haben zudem sehr offen angesprochen, dass wir strukturell heute noch nicht wesentlich besser aufgestellt sind als zu Zeiten der Corona-Pandemie.

Genau daraus ziehe ich eine zentrale Erkenntnis für die Zukunft. Wir müssen unsere Entscheidungs- und Beschaffungsstrukturen so weiterentwickeln, dass wir in Krisen schnell und handlungsfähig bleiben, zugleich aber effizienter agieren und unnötig hohe Kosten vermeiden. Das ist entscheidend, um finanzielle Risiken zu begrenzen, Vertrauen in staatliches Handeln zu stärken und für zukünftige Krisen insgesamt resilienter aufgestellt zu sein.

„Für einen gewissen Teil der Bevölkerung haben die Corona-Pandemie und der Umgang mit ihr aber einen Vertrauensverlust in den Staat mit sich gebracht.“

Auch wenn die Pandemie vor mehr als zwei Jahren für beendet erklärt wurde und der Alltag in Deutschland wieder normal läuft, polarisiert das Thema die Gesellschaft noch immer. Woran liegt das?

Die Einschnitte, die wir während der Corona-Pandemie erlebt haben, waren tief. So etwas hatte wahrscheinlich niemand von uns bis dahin erlebt. Hinzu kam die Angst, zu erkranken oder sogar zu sterben. So eine Ausnahmesituation geht wohl an niemanden spurlos vorbei. Insofern finde ich es nicht verwunderlich, dass die Corona-Zeit für viele immer noch ein Thema ist. Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland ist aus meiner Sicht aber vor allem froh, dass die Pandemie vorbei ist und dass uns Situationen wie im italienischen Bergamo oder in New York erspart geblieben sind.

Für einen gewissen Teil der Bevölkerung haben die Corona-Pandemie und der Umgang mit ihr aber einen Vertrauensverlust in den Staat mit sich gebracht. Bei ganz wenigen führt das zu einer Radikalisierung, die sich in extremen Aussagen oder sogar Drohungen äußert. Leider gibt es mit der AfD eine Partei, die versucht, diese Radikalisierung für ihre Ziele zu nutzen.

Die Gesprächspartnerin

Lina Seitzl ist Bundestagsabgeordnete aus Lörrach in Baden-Württemberg und SPD-Obfrau in der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse“.

Porträt der SPD-Bundestagsabgeordneten Lina Seitzl

Als zweistärkste Fraktion im Bundestag sind auch Abgeordnete der AfD in der Corona-Enquetekommission vertreten. Wie gehen Sie damit um?

Als gewählte Partei hat die AfD-Fraktion natürlich jedes Recht, Abgeordnete in die Enquetekommission zu entsenden und ich hoffe sehr auf eine konstruktive Zusammenarbeit. Die ersten Sitzungen waren diesbezüglich allerdings leider ernüchternd. Da wurden einzelne Personen, die während der Corona-Pandemie eine herausgehobene Rolle gespielt haben, – etwa der Virologe Christian Drosten – massiv angegriffen. Ich setze darauf, dass wir uns von den Provokationen, die von den Abgeordneten und den Sachverständigen der AfD kommen, nicht provozieren lassen und uns auf die Sacharbeit konzentrieren. Wir wollen aus der Corona-Pandemie lernen, damit wir bei ähnlichen Ereignissen künftig besser vorbereitet sind.

„Erfolgreich wäre unsere Arbeit, wenn wir konkrete Vorschläge machen für den Bundestag als Gesetzgeber, aber auch für die Bundesregierung und die Bundesländer.“

Bis zum 30. Juni 2027 will die Corona-Enquetekommission ihren Abschlussbericht vorlegen. Wann ist die Arbeit der Kommission aus Ihrer Sicht ein Erfolg?

Erfolgreich wäre unsere Arbeit, wenn wir konkrete Vorschläge machen für den Bundestag als Gesetzgeber, aber auch für die Bundesregierung und die Bundesländer, wie Entscheidungsstrukturen reformiert und bestimmte Gesetze angepasst werden müssen – und diese Vorschläge dann auch umgesetzt werden. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass die Arbeit der Enquetekommission auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist und es eine möglichst breite Beteiligung auch der Bevölkerung gibt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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