Debatte

Warum Platzeck irrt: über Russland und über Brandts Ostpolitik

Matthias Platzeck fordert eine „Verständigungspolitik“ mit Moskau, ohne die Ukraine auch nur zu erwähnen. Stattdessen vergleicht er die Stationierung der Bundeswehr in Litauen - auf Wunsch Litauens! - mit Hitlers Ostfeldzug. Platzecks Thesen haben nichts mehr mit der Ostpolitik Willy Brandts zu tun.
von Simon Vaut · 24. Februar 2017
Heldenverehrung: Teetassen in Moskau mit den Porträts von Medwedew und Putin (M.) sowie von Stalin und Lenin (l.)
Heldenverehrung: Teetassen in Moskau mit den Porträts von Medwedew und Putin (M.) sowie von Stalin und Lenin (l.)

Matthias Platzeck hat vollkommen Recht, wenn er im Vorwärts schreibt, dass die Ostpolitik Willy Brandts gerade heute Vorbild im Verhältnis zwischen Russland und Deutschland sein müsse. Sein Gedanke ist zwar richtig, aber er übersieht zentrale Prämissen Brandts.

Brandts Ostpolitik: Dialog und Verteidigungsfähigkeit

Dessen Ostpolitik konnte nur funktionieren, weil sie sich nicht in Appeasement erschöpfte, sondern Dialogbereitschaft mit Verteidigungsfähigkeit verknüpfte. Das gerade letzteres auch heute unabdingbar nötig ist, zeigt die russische Politik der letzten Jahre. Der Kreml verstößt auf eklatante Weise gegen die zentrale Verpflichtung der Ostverträge: gegenseitiger Gewaltverzicht und Achtung der Grenzen.  Als Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums sollte er  seinen Appell deshalb an den Kreml richten.

Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim ist der historisch schwerste Bruch mit der größten Errungenschaft der Ostpolitik: der KSZE-Schlussakte von Helsinki. Zu deren Grundprinzipien gehören die Achtung der  souveränen Gleichheit sowie der ihrer Souveränität innewohnenden Rechte, zum Verzicht von Gewalt, die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Achtung der territorialen Integrität und die friedlichen Regelung von Streitfällen, die die Integrität der Grenzen und deren ausschließlich friedliche Änderungen festschreibt. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim macht auch das bahnbrechende Budapester Memorandum der KSZE-Konferenz von 1994 obsolet. Darin wurden der Ukraine die Souveränität und die bestehenden Grenzen als Gegenleistung für einen Nuklearwaffenverzicht garantiert. Ein Meilenstein auf dem Weg zu weniger Atomwaffen wurde so nieder gerissen.

Moskaus Legende über die Nato-Osterweiterung

Eine von russischer Seite verbreitete Legende besagt, dass der Westen sein damals gegebenes Versprechen gebrochen hätte,  die Mittel- und Osteuropäischen Staaten  nicht in die NATO aufzunehmen. Eine solche Vereinbarung gab es jedoch nie – und sie wäre auch kaum mit dem Selbstbestimmungsrecht der jungen Demokratien zu vereinbaren.

Zur Erinnerung: Schon 2014 hatte Matthias Platzeck die nachträgliche Legalisierung von Russlands Inbesitznahme der ukrainischen Krim gefordert, und löste damit in weiten Teilen der Sozialdemokratie ungläubiges Kopfschütteln aus.

Platzeck schweigt zur Ukraine, zu Teschetschenien, zu Syrien

Und: Die regelbasierte Verständigung in der Ostpolitik ist auch heute noch ein guter Kompass, aber sie sollte nicht verklärt werden. Wohl aus gutem Grunde erwähnt Platzeck nur die „Ostpolitik der sechziger und siebziger Jahre“ und verschweigt die schweren Versäumnisse der achtziger Jahre, die von der Ausgrenzung von Solidarność bis hin zum SED-SPD-Papier reichen – alles unter Berufung auf die Ostpolitik.

Es ist schwer nachzuvollziehen, wie Matthias Platzeck ausführlich über eine europäische Sicherheitsordnung schreiben und mit keiner Zeile den in der Ostukraine tobenden Krieg mit über 10.000 Toten erwähnen kann. Ganz abgesehen von Putins Fortsetzung der Mittel des Tschetschenienkriegs in Europas Nachbarschaft: Auch die russischen Luftangriffe auf Wohnviertel und Krankenhäuser in Aleppo, die Frankreich und andere europäische Staaten als Kriegsverbrechen bezeichnet haben, zeigen,  wie unterschiedlich die Vorstellungen einer Sicherheitsordnung zwischen Russland und Europa sind.

Vergleich zwischen Nato und Hitler ist perfide

Schwer nachvollziehbar ist, dass Matthias Platzeck die gemäßigte Rede Putins von 2001 im Bundestag als „ausgestreckte Hand“ zitiert und dabei  die längst vollzogene Kehrtwende unter den Tisch fallen lässt. Spätestens Putins berüchtigte Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007, in der er der Europäischen Union vorwarf, sie würde anderen Ländern ihren Willen aufzwingen und auf Gewalt setzen, gilt als Zäsur. Sein Reden und Handeln sind längst deutlich ins Aggressive abgedriftet. Die Bundestagsrede von 2001 ist leider nur noch eine historische Randnotiz.

Gänzlich in falsches Fahrtwasser gerät Platzeck bei dem  Satz: „75 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion werden deutsche Soldaten nach Litauen an die russische Grenze entsandt.“ Das ist so sachlich richtig – in seiner kaum zufällig mitschwingenden Andeutung aber  ein Schlag ins Gesicht der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten, die – gemeinsam mit anderen Nato-Partnern – zum EU-Partner Litauen – entsandt werden. Dies geschieht auf ausdrücklichen Wunsch Litauens – und macht die immanente Gleichsetzung dieser Truppenverlegung mit Hitlers barbarischem Vernichtungskrieg schlicht perfide.

Putin schickt 30.000 Soldaten, die Nato 4.000

Zudem ist der Auslöser der „militärischen Muskelspiele“, wie Platzeck es nennt, offenkundig. Putin verlegt drei Divisionen (also über 30.000 Soldaten) an die Westgrenze seines mit Nuklearwaffen hochgerüsteten Reiches. Die NATO reagiert mit der Verlegung von vier Bataillonen (also etwa 4.000 Soldaten) in die baltischen Kleinstaaten. Von Symmetrie, die Platzeck suggeriert, kann da wahrlich nicht die Rede sein.

Bei allem Respekt vor Matthias Platzecks Lebensleistung für die Sozialdemokratie: Seine Ausführungen sind im Ergebnis die Verteidigung einer aggressiven Politik, die nie und nimmer in Einklang mit den Werten Willy Brandts  steht.

Autor*in
Simon Vaut

ist Redenschreiber im Auswärtigen Amt. Zuvor war er Referent der SPD-Bundestagsfraktion in deren Verbindungsbüro zur EU in Brüssel.

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