Nahost: „Allein mit der Anerkennung Palästinas ist nichts gewonnen“
Kurz vor der UNO-Vollversammlung erkennen weitere europäische Länder Palästina als Staat an. Welche Auswirkungen das hat und warum sich die Bundesregierung mit dem Schritt schwertut, sagt Peter Lintl von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Interview.
IMAGO/Anadolu Agency
Junge mit Palästina-Flagge in Gaza: Mit der Anerkennung Palästinas als Staat wollen viele Länder auch unterstreichen, dass sie weiterhin an der Zweistaatenlösung festhalten.
Bei einem Treffen auf Initiative Frankreichs und Saudi-Arabiens im Vorfeld der UN-Vollversammlung haben weitere Länder Palästina als Staat anerkannt, darunter Frankreich und Belgien. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Dieser Schritt erfolgt vor dem Hintergrund, dass Israel sich in keinster Weise von internationaler Kritik beeindrucken lässt und seinen Krieg in Gaza mit unveränderter Härte weiterführt. Die Anerkennung Palästinas durch Staaten wie Frankreich oder auch Großbritannien muss man in diesem Zusammenhang sicher auch als Zeichen der Unterstützung der Menschen in Gaza bewerten. Hinzu kommt, dass Israel auch den Bau von Siedlungen in der Westbank vorantreibt und das Ziel der Zweistaatenlösung nur schwer mehr zu erreichen ist. Mit der Anerkennung Palästinas als Staat wollen viele Länder auch unterstreichen, dass sie weiterhin an der Zweistaatenlösung festhalten.
Was verändert sich durch die Anerkennung Palästinas als Staat praktisch?
Zunächst mal ist die Anerkennung eines palästinensischen Staates vor allem ein starkes Symbol. Häufig wird übersehen, dass viele EU-Staaten Palästina bereits als Staat anerkannt haben, darunter viele Länder des ehemaligen Warschauer Paktes wie Ungarn, Polen und Tschechien. Das sind Staaten, die sich sehr deutlich pro-israelisch positionieren und sehr palästinakritisch sind. Das heißt eine Anerkennung des Staates muss nicht notwendigerweise praktische Konsequenzen nach sich ziehen.
Die Anerkennung eines palästinensischen Staates hat also eine rein symbolische Bedeutung?
Nicht nur. Eine Anerkennung als Staat kann durchaus Veränderungen mit sich bringen in Bezug auf das zukünftige Standing Palästinas in Gremien wie dem Internationalen Strafgerichtshof. Da wurde Palästina zwar schon anerkannt, gleichzeitig wurde und wird aber immer darauf abgehoben, dass die Mitgliedschaft umstritten ist. Wenn jetzt Staaten wie Frankreich und Großbritannien, also Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, Palästina anerkennen, hat das nochmal mehr Gewicht. Es müssen aber die nächsten Schritte mitgedacht werden.
Peter
Lintl
Wenn sich die die Autonomiebehörde innerhalb der palästinensischen Gesellschaft nicht etablieren kann, könnte sich das Narrativ der Hamas durchsetzen, dass der „bewaffnete Widerstand“ der einzige Weg zur Unabhängigkeit Palästinas ist.
Ein Friedensprozess mit Israel ist seit dem 7. Oktober 2023 in weite Ferne gerückt. Kann er durch eine Anerkennung Palästinas als Start wieder Fahrt aufnehmen oder erschwert sie ihn eher zusätzlich?
Eine Hoffnung der Staaten, die Palästina dieser Tage als Staat anerkennen, ist natürlich, dass dadurch der de facto tote Friedensprozess wiederbelebt werden kann oder dass er zumindest nicht ganz stirbt. Allein mit der Anerkennung Palästinas ist aber überhaupt nichts gewonnen. Mindestens genauso wichtig ist, im nächsten Schritt die palästinensische Autonomiebehörde in die Lage zu versetzen, wieder ein Gesprächs- und Verhandlungspartner zu sein. Dafür muss sie gestärkt, gleichzeitig aber auch reformiert werden. Ohne Druck und Unterstützung von außen wird das kaum gehen. Die palästinensische Autonomiebehörde muss wieder Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung gewinnt, den sie in den vergangenen Jahren verloren hat. Und nur so wird sie sich auch von der Hamas abgrenzen können.
Israel kritisiert, dass mit einer Anerkennung Palästinas als Staat die terroristische Hamas für ihr Vorgehen belohnt werde. Wie sehen Sie das?
Dieses Argument halte ich für vorgeschoben, allerdings kann sich die Situation in diese Richtung entwickeln, nämlich dann, wenn auf die Anerkennung Palästinas keine weiteren praktischen Schritte folgen. Wenn sich die die Autonomiebehörde innerhalb der palästinensischen Gesellschaft nicht etablieren kann, könnte sich das Narrativ der Hamas durchsetzen, dass der „bewaffnete Widerstand“ der einzige Weg zur Unabhängigkeit Palästinas ist. Diese Narrative hat man schon gesehen, nachdem sich die Israelis 2005 aus dem Gazastreifen und 2000 aus dem Libanon zurückgezogen haben. Beide Mal konnte die Hamas bzw. die Hisbollah einen Punktsieg für sich, dafür, dass Gewalt und nicht Diplomatie zum Erfolg führt, verbuchen. Das sollte diesmal nicht passieren.
Wie könnte Israel auf weitere Anerkennungen Palästinas reagieren?
Das ist schwer zu sagen. Klar ist nur: Israel wird reagieren. Ob das eine Teilannexion palästinensischer Gebiete sein wird oder ob sie sich auf Strafmaßnahmen gegen die palästinensische Autonomiebehörde beschränkt, bleibt abzuwarten.
Peter
Lintl
Es gibt meines Erachtens kaum eine sinnvolle andere Lösung als die Zweistaatenlösung.
Die Bundesregierung spricht sich bisher gegen die Anerkennung Palästinas aus. Wie interpretieren Sie diese Zurückhaltung?
Deutschland vertritt die Auffassung, dass eine Anerkennung Palästinas als Staat erst dann infrage kommt, wenn eine Zweistaatenlösung verhandelt worden ist. Diese Auffassung kann man haben, allerdings macht man es sich dann etwas leicht, weil nicht davon auszugehen ist, dass es in den nächsten Jahren eine Zweistaatenlösung geben wird oder dass zumindest ernsthaft darüber verhandelt wird. Im Gegenteil ist es viel wahrscheinlicher, dass die Zweistaatenlösung verunmöglicht werden soll. Von daher sehe ich den Einsatz für einen palästinensischen Staat als sinnvoll an – mit allen Einschränkungen, die ich bereits genannt habe.
Ist eine Zweistaatenlösung überhaupt noch eine ernsthafte Option?
Sie muss es sein. Es gibt meines Erachtens kaum eine sinnvolle andere Lösung als die Zweistaatenlösung. Sie ist aber auch normativ wichtig, weil sie das Selbstbestimmungsrecht beider Völker unterstreicht. Aktuell stößt sie jedoch an nahezu unüberwindbare Hürden. Der israelische Siedlungsbau ist immer weitergegangen. Und die Bereitschaft beider Gesellschaften für eine Zweistaatenlösung ist kaum noch vorhanden. In einer aktuellen Umfrage ist die Zustimmung zur Zweistaatenlösung bei Israelis und Palästinensern auf unter 20 Prozent gesunken. Ohne gesellschaftlichen Rückhalt wird es aber keine Lösung geben.
Für die Konferenz in New York haben Frankreich und Saudi-Arabien die Initiative ergriffen. Könnten sie auch Basis sein für mögliche Friedensverhandlungen?
Ja, auch wenn ich Friedensverhandlungen zurzeit für sehr ferne Zukunftsmusik halte. Staaten wie Frankreich oder Saudi-Arabien könnten einer künftigen israelischen Regierung aber dabei helfen, aus der internationalen Isolation, in die sie die Netanjahu-Regierung geführt hat, wieder herauszukommen. Das könnte eine wichtige Grundlage für künftige Schritte der Annäherung, vielleicht sogar für Friedensverhandlungen sein. Ich denke, dafür sind die Entwicklungen der vergangenen Wochen sehr wichtig.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
Jetzt soll auf einmal die Anerkennung Palästinas als Staat nix bringen - also lassen wirs sein, aber mit einem Bekenntnis zur Zweistaatenlösung.
Unsere Politiker und innen zittern vor Felix Klein und dem Zentralrat Israels in Deutschland. Die Hamas ist wahrlich kein Sympathieträger, aber das Netanjahuregime kommt dem gleich. Doppelmoral, Mehrfachstandards ..... ach schert Euch doch zu dem Mann mir den Hörnern, dem Ochsenschwanz und dem Pferdefuß.
Man muss doch kein Antisemit sein, wenn man Palästina als Staat anerkennt und Netanyahus menschenrechtswidrige Politik verurteilt.
Schließlich waren die Palästinenser über Hunderte von Jahren dort ansässig, bevor der Staat Israel gegründet wurde.
Mit seiner zerstörerischen Politik rettet Netanyahu keinesfalls die Geiseln, sondern er gefährdet sie und die dort lebenden Menschen werden durch die Angriffe getötet, verletzt, verhungern und müssen an andere Orte flüchten, wo der Terror von Neuem beginnt, ohne dass die Hamas auf diese Weise ernsthaft getroffen werden.
Daher muss die Militärhilfe für Israel unverzüglich beendet werden, da sich Deutschland sonst mitschuldig macht.
".....da sich Deutschland sonst mitschuldig macht."
"Deutschland" besser die Herrschenden hier im Lande haben sich schon längst schuldig gemacht.