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SPD-Stadträtin Annalena Wirth: Aufgeben kommt für sie nicht infrage

Annalena Wirth ist jung und will etwas verändern: als Stadträtin, als Ortsvereinsvorsitzende, als Sozialdemokratin. Das wird ihr nicht immer leicht gemacht – weder innerhalb, noch außerhalb der SPD. Aber aufgeben gibt es für sie nicht.

von Finn Lyko · 10. Oktober 2025
Annalena Wirth sitzt im Mannheimer Gemeinderatssaal.

Junge Menschen sind in der Kommunalpolitik oft unterrepräsentiert - umso mehr will sich Annalena Wirth für ihre Interessen einsetzen.

Als das Stichwort „konsumfreie Räume“ fällt, entgleisen dem einen oder der anderen die Gesichtszüge. Der Mannheimer Gemeinderatsausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Soziales tagt. Thema ist die Innenstadt. Es geht um den Einzelhandel, um Sauberkeit, um Erreichbarkeit mit dem Auto.

Nach einer Weile meldet sich Annalena Wirth zu Wort. Die 24-Jährige sticht als junge Frau unter vielen Männern im Ausschuss schon optisch hervor. Wirth plädiert sie für einen Ausbau der Busverbindungen und für die gezielte Förderung von Bereichen in der Innenstadt, in denen Menschen ihre Freizeit verbringen können, ohne dafür Geld ausgeben zu müssen. Beides Faktoren, die Innenstädte insbesondere für junge Menschen attraktiver machen.

Sie wolle dabei die zuvor diskutierten Aspekte nicht schlechtreden, betont Wirth, aber für ihren Geschmack seien bisher „viele Probleme aufgezeigt worden, aber keine Lösungen“. Trotzdem stößt ihr Plädoyer im Ausschuss vor allem auf Skepsis. Ein Vertreter des Einzelhandels beklagt, ihm „stellen sich beim Begriff ‚konsumfreie Räume‘ die Nackenhaare auf“, denn „so etwas“ habe in einer Innenstadt seiner Meinung nach nichts verloren.

Sie war mal die jüngste OV-Vorsitzende Deutschlands

Offenbar habe sie die Ausschussmitglieder mit ihren Vorschlägen „getriggert“, also emotional aufgewühlt, sagt Annalena Wirth im Gespräch nach Ende der Sitzung. Sie scheint zufrieden mit sich. Dass sie kaum Zustimmung für ihren Vorschlag erfahren hat, stört sie offenbar nicht. Vielmehr amüsieren sie die teils aufgebracht vorgetragenen Argumente der anderen.

Seit bald zehn Jahren ist Wirth nun SPD-Mitglied – mehr als genug Zeit um zu lernen, wie man Widerstand mit Humor nimmt. 2020, mit gerade einmal 18 Jahren, wurde sie Vorsitzende in ihrem Ortsverein Mannheim-Lindenhof. Das machte Schlagzeilen: Von der Mannheimer Lokalpresse bis zur „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wollten alle mit der damals jüngsten Ortsvereinsvorsitzenden Deutschlands sprechen. Das sei „schon cool“ gewesen, erinnert sie sich. Plötzlich in diesem Ausmaß Gehör zu finden, motivierte sie, politisch „dranzubleiben“, erzählt sie im Gespräch mit dem „vorwärts“.

Annalena Wirth: Plötzlich Stadträtin

Und trotzdem: „Es gibt fast jeden Tag solche Momente, wo immer wieder in Frage gestellt wird, was man als junge Frau in der Politik an Qualifikationen vorzuweisen hat“, erzählt Annalena Wirth. Immer wieder komme es vor, dass sie nicht ernst genommen wird und sie sich für ihre Positionen und ihre Ansprüche rechtfertigen müsse. Sowohl außerhalb als auch innerhalb der eigenen Partei, wenn es um fachliche Einschätzungen bestimmter Themen gehe und auch, als sie im vergangenen Jahr für das Europaparlament kandidieren wollte.

Für viele in der Partei war sie nicht die erste Wahl. Letztendlich setzte sie sich durch und kandidierte trotzdem, sowohl für den Gemeinderat als auch für das Europaparlament. Auch wenn ihre Chancen auf ein Mandat nicht besonders gut standen, sei ihr dennoch wichtig gewesen, den Wahlkampf durchzuziehen. Auch „damit bei den Podiumsdiskussionen eben nicht nur Leute mit Doktortitel sitzen, sondern auch jemand Junges.“

Nach Brüssel ging es für sie letztendlich nicht, und auch den Einzug in den Gemeinderat verpasste Annalena Wirth bei der Kommunalwahl knapp. Doch als sich Wirth im Frühjahr dieses Jahres gerade mit ihrer Niederlage abgefunden hatte, wendete sich das Blatt. Nach dem unerwarteten Tod einer Stadträtin rückte Wirth ins Stadtparlament nach. Alles passierte Schlag auf Schlag, für sie sei es keine leichte Zeit gewesen, erinnert sich Wirth. Doch mittlerweile habe sie sich in ihrer neuen Rolle eingefunden, und es sei erfüllend, die Stadt, in der sie geboren und aufgewachsen ist, nun aktiv mitgestalten zu können.

Annalena Wirth

Es gibt wieder mehr junge Menschen in der Kommunalpolitik, aber die SPD ist aktuell nicht mehr der Ort, wo sie hingehen.

Als sozialpolitische Sprecherin und jüngstes Mitglied ihrer Gemeinderatsfraktion möchte sie dabei die Anliegen junger Menschen stärker in den Fokus der Kommunalpolitik bringen. Nebenher studiert sie seit 2019 Jura, legte im Sommer ihr erstes Staatsexamen ab. Auf die Frage, wie man das mit einem politischen Amt unter einen Hut bringt, lacht Annalena Wirth. „Wenig schlafen“, antwortet sie. „Und einfach sehr schnell gelangweilt sein.“

Kaum junge Menschen in der Kommunalpolitik

Menschen wie Annalena Wirth sind in Deutschland eine Seltenheit. Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Stimmen laut, die ein „Nachwuchsproblem“ in der Kommunalpolitik beklagten. Tatsächlich sind laut Schätzungen nur knapp zehn Prozent der Kommunalpolitiker*innen in Deutschland unter 40 Jahre alt – offizielle Zahlen gibt es dazu nicht.

Die Gründe dafür dürften vielfältig sein, doch gerade für junge Auszubildende oder Studierende wie Wirth wird oftmals die mangelnde Flexibilität zur größten Hürde. Auch fünf Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie ist beispielsweise eine digitale Teilnahme an Sitzungen und Ausschüssen vielerorts nicht möglich. So entstehe bei vielen Engagierten das Gefühl, sich entscheiden zu müssen, erklärt Annalena Wirth: Bringt man sich politisch ein oder möchte man Praktika in anderen Städten oder sogar ein Auslandssemester absolvieren?

SPD fehlt der „Coolness-Faktor“

Bei ihr habe das alles „irgendwie hingehauen“, erzählt die 24-Jährige. In ihrem Ortsverein sieht sie die junge Generation angemessen vertreten. „Das Problem ist eher, dass wir zu wenige Rentner haben, zu wenig Leute, die auch mal mittwochvormittags am Stand stehen können“, stellt sie fest. Was das kommunalpolitische Nachwuchsproblem angeht, sieht Wirth einen Aufwärtstrend – zumindest bedingt: „Es gibt wieder mehr junge Menschen in der Kommunalpolitik, aber die SPD ist aktuell nicht mehr der Ort, wo sie hingehen.“ Der Grund dafür, so Wirth: „Andere haben da einen deutlich größeren Coolness-Faktor.“

Für sie liegt das vor allem an zwei Aspekten. „Junge Leute mit Politik anzusprechen ist das eine, aber sie dann im Engagement auch nicht zu verlieren ist eben das andere. Dafür müssten auch viele der Strukturen der SPD „niedrigschwelliger werden.“ Andere Parteien seien gegenüber jungen Menschen – und vor allem jungen Frauen – deutlich offener, hat Annalena Wirth beobachtet. Als Beispiel nennt sie die Grünen, die neben einer Quote auch immer einer Frau den ersten Listenplatz geben und so für mehr Chancengleichheit sorgen.

Annalena Wirth

Ich finde es schade, dass es immer die Jusos sein müssen, die die kontroverseren Vorschläge machen – viele in der Partei sind ja unserer Meinung.

Und dann ist da noch die Debatte über die sozialdemokratischen Kern-Themen. „Wir werden immer wieder gefragt, wofür die SPD eigentlich steht, und das muss jetzt mal beantwortet werden“, findet Wirth. Aus ihrer Sicht befasst sich die SPD zu viel mit Themen, die junge Menschen kaum betreffen, oder mit denen sie nichts anfangen können. Es gehe zu viel um Dinge wie Rente und Pflege, zu wenig um BAföG und bezahlbare Mieten.

„Ich finde es schade, dass es immer die Jusos sein müssen, die die kontroverseren Vorschläge machen – viele in der Partei sind ja unserer Meinung“, sagt Annalena Wirth. Auch weil sie das ändern möchte, hat sie sich für den Programmrat beworben, der das neue SPD-Grundsatzprogramm ausgestalten soll. Ihr Frust über die Partei sei manchmal groß, erzählt Wirth. Aber aufgeben will sie eben auch nicht. 

 

Zur Serie

In unserer Serie „Rising Stars“ stellen wir in loser Reihenfolge Menschen aus der Sozialdemokratie vor, die auf unterschiedlichen Ebenen der Partei mit ihren Ideen oder ihrem Handeln beispielhaft für die Erneuerung der Partei stehen.

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