Neue Vorsitzende: So will Natascha Kohnen die Bayern-SPD verändern
Joerg Koch/ BayernSPD
Natascha Kohnen hat sich durchgesetzt. Nachdem sie bei der Mitgliederbefragung für den Vorsitz der bayerischen SPD die absolute Mehrheit erhalten hatte, wurde sie auf dem Parteitag am 20. Mai in Schweinfurt von den Delegierten gewählt. Die 49-Jährige erhielt 88,3 Prozent der Stimmen. In ihrer Vorstellungsrede forderte Kohnen eine „Stiländerung“ der bayerischen SPD. Auch sollen die Mitglieder künftig mehr Mitspracherechte bekommen. vorwärts.de traf Natascha Kohnen zum Interview in Berlin.
Wo setzen Sie Ihre Schwerpunkte als neue Vorsitzende der bayerischen SPD?
Wir haben unsere Kernthemen auf einem Parteitag im vergangenen Jahr zugespitzt. Diese sind soziales Wohnen, Familie, digitale Arbeit und Integration. Sie garantieren den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft. Hier müssen wir Konzepte entwickeln, die in die Zukunft gerichtet sind, damit die Menschen wissen, was sie kriegen, wenn sie in Bayern die SPD wählen.
Ist das damit gemeint, wenn Sie von einer „Stiländerung“ der bayerischen SPD sprechen?
Ja, das ist genau das, was ich meine. Wir haben uns jahrelang an der CSU abgearbeitet, statt eigene Akzente in den Vordergrund zu stellen. Das müssen wir dringend beenden. Ich möchte, dass die Menschen wissen, wofür die SPD in Bayern steht, ohne, dass wir viel erklären müssen. Dafür ist auch wichtig, dass wir wieder eine Sprache sprechen, die die Menschen verstehen. Worte wie „Erwerbsminderungsrente“ oder „Entgeltgleichheit“ würde ich gerne aus der politischen Debatte verbannen. Wenn Menschen Politiker nicht mehr verstehen, ist es kein Wunder, dass sie sich abwenden. Wir sollten lieber fühlbare Geschichten erzählen, damit die Menschen wortwörtlich begreifen, was Politik mit ihnen und ihrem täglichen Leben zu tun hat.
Ist die SPD zu weit weg vom Leben der Menschen?
Die SPD will den Menschen die Möglichkeit geben, ihr Leben besser und sicherer zu machen. Das ist schon seit 154 Jahren so. Allerdings neigt die Partei dazu, möglichst auf alle Fragen eine Antwort zu finden. Das halte ich für zu ehrgeizig. Ich denke, es ist sinnvoller, sich auf bestimmte Bereiche zu konzentrieren. Das ist auch die beste Versicherung, dass sich die Politik der SPD nicht von den Bedürfnissen der Menschen abhebt.
Mit der Urwahl für den Parteivorsitz hat die Bayern-SPD Neuland betreten. Was nehmen Sie aus dem Prozess der vergangenen Wochen für Ihre Arbeit als Vorsitzende mit?
Das Mitgliedervotum über den Parteivorsitz hat die bayerische SPD wachgerüttelt und die Mitglieder motiviert. Sie haben über Themen, ihre Partei und Personen diskutiert. Das hat mich sehr gefreut und beeindruckt. Bei der Auseinandersetzung selbst habe ich mir von Anfang an vorgenommen, meinen fünf Mitbewerbern mit Respekt zu begegnen. Die Menschen innerhalb und außerhalb von Parteien haben die Nase voll davon, dass sich Politiker gegenseitig die Köpfe einschlagen. Sie wollen von ihnen Lösungen für die alltäglichen Probleme ihres Lebens haben. Das sollten wir uns immer wieder bewusst machen.
Sind die Reihen der bayerischen SPD nach den zum Teil hitzigen Debatten der vergangenen Wochen denn jetzt geschlossen?
Ja, das sind sie. Das Mitgliedervotum hat ein sehr deutliches Ergebnis und Klarheit gebracht. Es ist auch ein gutes Signal an die Partei, dass der gegenseitige Respekt das A und O ist. Klar ist aber auch, dass das Mitgliedervotum nur ein erster Schritt sein kann in Sachen Mitgliederbeteiligung. Gerade mit Blick auf die mehr als 1800 neuen Mitglieder, die seit Jahresanfang in die bayerische SPD eingetreten sind, müssen wir den Prozess der Öffnung weiter verfolgen.
Wie soll das konkret aussehen?
Ich möchte alle Neumitglieder einladen in einer ganz offenen Veranstaltungsform, in einer Art „open base camp“, zu erzählen, warum sie sich entschieden haben, SPD-Mitglied zu werden, was ihnen an der Partei gefällt und was nicht und was sie mit der SPD erreichen wollen. Wir möchten aber auch die Gewerkschaften durch einen Gewerkschaftsrat stärker einbinden, damit wir gemeinsam überlegen, wohin sich Bayern-SPD entwickeln kann. Auf diesen Prozess freue ich mich sehr.
Sie haben auch angekündigt, die jüngeren Mitglieder stärker einbinden zu wollen. Woran denken Sie da?
Vor einigen Wochen habe ich mich mit Wolfgang Gründinger getroffen, der mir eindrucksvoll vor Augen geführt hat, dass wir als ältere Generation Politik über die Köpfe der Jungen hinweg machen. Das möchte ich ändern. Wir müssen den Jungen nicht mehr nur zuhören, sondern sie auch an politischen Entscheidungen beteiligen. Mit den bayerischen Jusos habe ich schon besprochen, wie das ganz praktisch aussehen könnte. Ich denke, sie brauchen eine ganz andere Freiheit, Politik zu machen als bisher. Die Idee des Hackathon, den die Bundes-SPD im Frühjahr veranstaltet hat, gefällt mir zum Beispiel sehr gut. So etwas würde ich auch gerne in Bayern veranstalten. Ein besonderes Augenmerk möchte ich darüber hinaus auf die Künstler richten, die in den letzten Wochen in die SPD eingetreten sind.
Inwiefern?
Ich möchte die Kreativen – wie Schauspieler, Drehbuchautoren, Regisseure – zusammenholen, um von ihnen zu erfahren, was ihre Wünsche an die SPD sind. Darüber sollen sie erstmal unter sich diskutieren und dann der Partei vorstellen, was sie mitbringen und was sie von der Partei wollen. Ich bin mir sicher, dass beide Seiten davon profitieren werden.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.