Glanz und Elend der Sozialdemokratie: Merkel fordert Migrationsdebatte
Um Glanz und Elend der Sozialdemokratie geht es am Mittwochabend in der Französischen Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt bei einer Podiumsdiskussion der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte. Ob die Begriffe Glanz und Elend zwingend als zeitliche Abfolge gesehen werden müsse, stellt der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel zumindest in Frage. Er sieht die Sozialdemokratie in jedem Fall als „klaren Diskursverlierer“ in der aktuellen öffentlichen Debatte.
Links gegen Rechts, Kosmopoliten vs. Nationalisten
Drei gesellschaftliche Großkonflikte erkennt Merkel, die die aktuelle politische Debatte prägen. Neben dem klassischen Konflikt zwischen Links und Rechts, der immer noch wahlentscheidend sei, hätten auch die Konfliktlinie zwischen Internationalisten und Nationalisten sowie die Klimafragen an Bedeutung gewonnen, sagt Merkel in seinem Eröffnungsvortrag.
In der anschließenden Diskussion beschränkt er sich vor allem auf die Migrationsfrage. „Wir sollten die Frage der Grenzen verdammt nochmal endlich offen debattieren“, forderte er. Die Flüchtlingsproblematik sei nicht zu lösen, indem Deutschland 500.000 Menschen mehr aufnehme. „Wir würden ein Vielfaches erreichen, wenn wir die Mittel in der Türkei und in Jordanien in die Flüchtlingslager investieren würden“, sagt Merkel. Als erfolgreiches Beispiel im Hinblick auf den Umgang mit Migration nannte er die dänischen Sozialdemokraten. Zudem sei im skandinavischen Nachbarland die rigide Grenzschließung von drei Vierteln der Bevölkerung befürwortet worden.
Dänemark oder Spanien?
Die Zeit-Journalistin Lisa Caspari weist hingegen darauf hin, dass sozialdemokratische Parteien auch mit einer anderen migrationspolitischen Ausrichtung durchaus erfolgreich sein könnten: „Spanien hat gezeigt, dass man auch wiederkommen kann, wenn man eine weltoffene Position vertritt.“ Wichtig für eine starke Sozialdemokratie seien eine charismatische Führungsfigur an der Spitze, eine glaubwürdige Politik und eine Zukunftsidee. All das habe die deutsche Sozialdemokratie zuletzt vermissen lassen.
„Zu einer erfolgreichen Integrationspolitik gehört die Einsicht, dass es Begrenzung von Zuwanderung geben muss“, argumentiert der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Eine sozialdemokratische Integrationspolitik bedeute: „Diejenigen, die zu uns kommen, sollen hier heimisch werden dürfen und denen, die hier sind, soll ihr Land nicht fremd werden“. Die Begrenzung von Zuwanderung müsse jedoch vor dem Hintergrund menschenrechtlicher Gesichtspunkte stets neu diskutiert werden.
Eine schmerzliche Debatte
Sophie Koch, Vorsitzende der Dresdner Jusos, widerspricht Thierses Annahme: „Ich weigere mich, diese These anzunehmen. Ich kriege da Gänsehaut, wenn wir als Sozialdemokraten nach dem Motto argumentieren ,Flüchten ja, aber nicht hier bei uns'.“ Die gesellschaftliche Spaltung verlaufe in Wahrheit nicht zwischen Nationalisten und Internationalisten, sondern zwischen denjenigen, die zu wenig haben, und denjenigen, die „unfassbar viel Vermögen haben und nicht ordentlich besteuert werden“.
Thierse argumentiert, die Menschen hätten nun mal ein Bedürfnis nach Regeln, an die sich alle zu halten hätten. „Wir haben die Regeln in den letzten Jahren verschärft, verschärft und noch mal verschärft. Was wir nicht gemacht haben, war, den Menschen mehr Rechte zu geben, dass sie beispielsweise schneller arbeiten dürfen“, widerspricht Koch. Thierse bittet in der Auseinandersetzung um Fairness. Was an Integrationsprojekten geleistet worden sei, dürfe nicht schlecht geredet werden.
Wolfgang Merkel antwortet ebenfalls auf Kochs Diskussionsbeitrag: „Ich verstehe ihre normativen Bedenken, die habe ich auch. Aber wir hätten die AfD nicht in diesem widerlichen Gewand, wenn wir 2015 nicht gesagt hätten: ,Asyl hat keine Obergrenze'.“ Denn ein großer Teil der nach Deutschland gekommenen Geflüchteten falle nicht unter das Asylrecht.
Thierse bezeichnet den Diskurs über Menschlichkeit und rechtsstaatliche Regelungen letztlich als einen unausweichlichen Konflikt, „dem wir uns jedes Mal wieder stellen müssen und der schmerzlich ist“. Insbesondere müsse man auch mehr über die Ursachen von Flucht sprechen. Thierse sagt: „Erkennbar ist die SPD in der Migrationsfrage tief gespalten, wie auch die gesamte Gesellschaft. Hier erweist sich die SPD wahrhaft als Volkspartei.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo