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Engagement für Demokratie: Wie Birgit Lohmeyer den Neonazis in Jamel trotzt

Seit mehr als 20 Jahren lebt Birgit Lohmeyer im Neonazi-Dorf Jamel und engagiert sich für die Demokratie. Das wird zunehmend zermürbend, doch wegziehen kam für sie nie infrage.

von Finn Lyko · 23. Oktober 2025
Birgit Lohmeyer sitzt auf einem Sessel, neben ihr stapeln sich Bücher.

Birgit Lohmeyer wollte in Jamel ein ruhiges Leben führen. Mittlerweile ist sie aufgrund ihres politischen Engagements jedoch überregional bekannt.

Eigentlich wollte Birgit ­Lohmeyer einfach nur ihre Ruhe haben. Das war mit der Grund, weshalb sie und ihr Ehemann Horst 2004 von Hamburg nach Jamel, ein kleines Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, zogen. Dort hatten sie ein altes Forsthaus direkt am Wald gekauft. Es sei ihr Traumhaus, schwärmt Birgit Lohmeyer auch jetzt noch, mehr als 20 Jahre später.

Die gebürtige Hamburgerin ist heute 67 Jahre alt und Rentnerin. Sie war früher in der Suchtprävention tätig, dann schrieb sie Krimis und arbeitete als Redakteurin. Am Eingang des Forsthauses kleben Sticker von Demokratieinitiativen. Drinnen sind die Wände farbig angestrichen, es hängen Bilder, Poster und Postkarten.

Jamel: Das „nationalsozialistische Musterdorf“

Doch im Rest von Jamel sieht es anders aus. Wer sich hier umschaut kann eine Reichsflagge sehen, an einer Garage prangt ein völkisches Grafitto, auf dem eine blonde Familie unter den Flügeln eines Adlers zu sehen ist, dazu ein Fraktur-Schriftzug. Dass in Jamel ein Neonazi lebte, das wussten die Lohmeyers schon vor ihrem Umzug. Doch nach und nach sollten immer mehr Rechte zuziehen.

Tatsächlich siedeln sich Neonazis vor allem seit den 1990er Jahren durch ­koordinierte Immobilienkäufe gezielt in bestimmten Orten an: mit dem Ziel, aus ihnen „nationalsozialistische Musterdörfer“ zu machen. Das 40-Seelen-Dorf Jamel gilt als Hochburg – hier sind Neonazis unter sich. Bewohner*innen, die nicht zur rechten Szene gehören, wurden nach und nach verdrängt, erzählt Birgit ­Lohmeyer. Auch sie und ihren Mann versuchte man „loszuwerden“, doch Wegziehen kam für sie nie ­infrage. Dabei hätten sie allen Grund dazu: Sie wurden bedrängt und bedroht, es kam zu Sachbeschädigungen auf ihrem Grundstück. 2015 brannte ihre Scheune neben dem Forsthaus ab, ein Täter wurde bis heute nicht ermittelt. Trotzdem: Statt wegzuziehen, bleiben die Lohmeyers den ansässigen Rechten mit ihrem Einsatz für Demokratie lieber ein Dorn im Auge.

Der „demokratische Gegenwind“ der Lohmeyers

Ein solcher Dorn dürften sie spätestens seit 2007 sein, denn seitdem gibt es das Musikfestival „Jamel rockt den Förster“, das das Ehepaar Lohmeyer veranstaltet. Für ein Wochenende im Jahr kommen Menschen aus ganz Deutschland zu Konzerten und Workshops auf ihr Grundstück. Auf der Website des Festivals heißt es: „Das Festival (...) soll den Nazis demonstrieren, dass ihnen „demokratischer Gegenwind“ entgegenbläst.“ Dieser Gegenwind kam zunächst in Form von kaum bekannten, befreundeten Künstler*innen des Ehepaars und einer zweistelligen Zahl an Festivalbesuchern. Mittlerweile haben jedoch schon manche der bekanntesten deutschen Musiker*innen in Jamel gespielt: zum Beispiel „Die Toten Hosen“, „Die Ärzte“ und ­Herbert Grönemeyer. Die Festivaltickets waren in den vergangenen Jahren restlos ausverkauft.

Birgit Lohmeyer

Die Wirkmacht der Rechtsextremen hier ist gewaltig, das darf man nicht unterschätzen.

Das sei schon alles ganz schön toll, schwärmt Birgit Lohmeyer. Sie habe das Gefühl, ein Gegengewicht zu den Rechtsextremen direkt vor ihrer Haustür geschaffen zu haben, zumindest für ein Wochenende im Jahr. „Dieses Festival, mit den vielen tollen Menschen und allem anderen, ist so was von stärkend für uns.“ Kein Wunder: Hier treffen sich Menschen, die wie sie für eine offene, demokratische Gesellschaft einstehen wollen, und bringen die Neonazis vor Ort zumindest für ein paar Tage in die Unterzahl.

Zukunft von „Jamel rockt den Förster“ trotz Erfolg ungewiss

„Jamel rockt den Förster“ wird seit einigen Jahren immer bekannter und hat sogar zahlreiche Preise gewonnen. Trotzdem scheint die Zukunft des Festivals mit jedem Jahr ungewisser. Denn nicht nur die Anwohner*innen, sondern auch viele Menschen in der Gemeinde Gägelow, zu der Jamel gehört, stören sich an „Jamel rockt den Förster“. „Die Wirkmacht der Einschüchterung der Rechtsextremen hier ist gewaltig, das darf man nicht unterschätzen“, meint Birgit Lohmeyer. „Wir sind seit Jahren eigentlich mit kleinen bis mittleren Sabotage-Akten befasst.“ So zum Beispiel, als einmal nach Ende des Festivals, als alles gerade abgebaut war, Müll auf der ­Festivalwiese entleert wurde.

In der Gemeinde liebe oder hasse man sie und Horst, so Lohmeyer. Dazwischen gebe es gefühlt kaum etwas.„Das Klima zwischen uns und den Gemeindevertretern kann man eigentlich nur als feindlich bezeichnen.“ Auch ihr Verhältnis zum Landrat der Region ist kompliziert, aktuell befinden sie sich im Rechtsstreit.

Birgit Lohmeyer: Von der „außerparlamentarischen Opposition“ zur SPD

Von der SPD-geführten Landespolitik haben sie jedoch immer viel Unterstützung erfahren, erzählt Birgit Lohmeyer. Das bewog sie im Jahr 2019 letztendlich auch, selbst in die Partei einzutreten und bei den Kommunalwahlen zu ­kandidieren. Ein Mandat erreichte die neue Genossin nicht, doch SPD-Mitglied blieb sie. Sie sei zwar schon immer ein politischer Mensch gewesen, erzählt sie, habe sich jedoch bisher vor allem in der ­außerparlamentarischen Opposition auf Demonstrationen wohlgefühlt. Aber, so sagt sie: „Man kann nie genug für die Demokratie tun.“

Für Mecklenburg-Vorpommern dürfte das allemal zutreffen. Umfragen sehen die rechtsextreme AfD bei der Landtagswahl 2026 klar vorn. Das merke man auch an der Stimmung im Alltag, so die 67-Jährige: „In den vorigen Jahren ist die Akzeptanz für menschenfeindliche Einstellungen, für rassistische oder antisemitische Haltungen rapide gewachsen.“

Dafür, dass solche Haltungen in der Gesellschaft nicht überhandnehmen, spüre sie eine Verantwortung. Auch deshalb geht es für sie und ihren Mann an diesem Tag noch in ein anderes Dorf in der Nähe. Hier findet eine Kundgebung statt, für Demokratie und Solidarität – und Birgit und Horst Lohmeyer halten buchstäblich die Fahne hoch.

Auch im Umland für die Demokratie aktiv

Horst und Birgit Lohmeyer auf einer Kundgebung in Klütz, Mecklenburg-Vorpommern

Horst und Birgit Lohmeyer mit einer bunten Fahne auf einer Demo.

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