Inland

Nach Ausladung von Michel Friedman: Intervention in Klütz

Eigentlich sollte Michel Friedman im kommenden Jahr für eine Lesung nach Klütz in Mecklenburg-Vorpommern kommen, doch dann wurde er ausgeladen. Auf einer Kundgebung soll die zerstrittene Stadt nun ins Gespräch kommen – auch mit Friedman selbst.

von Finn Lyko · 30. September 2025
Eine Menschenmenge auf einem Marktplatz.

In Klütz diskutierten am Sonntagnachmittag die Bürger*innen auch über Demokratie und Kunstfreiheit.

Im September kam es in der kleinen Stadt Klütz in Mecklenburg-Vorpommern zum Eklat. Im Zentrum: Michel Friedman. Der Publizist wurde zu einer Lesung anlässlich des 120. Geburtstags Hannah Arendts im Oktober 2026 in das Literaturhaus der Stadt zunächst ein- und dann wieder ausgeladen.

Ein Eingriff in die Kunstfreiheit durch die örtliche Politik?

Die Nachricht über die Ausladung sorgte für eine Debatte, die weit über Klütz und Umgebung hinaus Wellen schlug. War der Leiter des Literaturhauses, Oliver Hintz, für die Ausladung verantwortlich? Oder doch der Bürgermeister der Stadt, Jürgen Mevius (parteilos)? Auch über die Gründe wurde spekuliert. Die Stadt habe Angst vor Protest von rechten Akteuren, befürchte antisemitische Ausschreitungen, sagen die einen. Manche vermuten Druck von rechten Stimmen aus der Stadtvertretung. Man könne sich Friedmans Gage schlichtweg nicht leisten, sagen die anderen. Klar ist einzig: Der Publizist wurde auf Anweisung des Bürgermeisters ausgeladen.

Ein Eingriff in die Kunstfreiheit durch die örtliche Politik also? Friedman wandte sich jedenfalls mit der Ausladung an die Öffentlichkeit und unterstellte Bürgermeister Mevius „peinliche Heuchelei“, das Vorgeben von anderen Gründen statt schlichtem Antisemitismus. Wenige Tage später kündigte Mevius seinen Rücktritt an, beklagte eine „Verleumdungskampagne“ gegen ihn und die Stadtvertretung von Klütz.

Nach Friedman-Ausladung: Verhärtete Fronten in Klütz

Am Montagnachmittag auf dem Klützer Marktplatz sind die verhärteten Fronten deutlich zu spüren. Der Platz füllt sich langsam, auf mitgebrachten Schildern und Bannern stehen Solidaritätsbekundungen wahlweise mit Hintz oder Mevius oder allgemeine Forderungen nach Zusammenhalt. Die Schriftstellervereinigung PEN Berlin, deren Mitglied Michel Friedman ist, hat eine Kundgebung angemeldet, auch Friedman selbst wird anwesend sein. Eine Intervention von außen, wenn man so will. Aber kann das gelingen, zumal in einer Stadt, die wohl kaum dieses Ausmaß überregionaler Aufmerksamkeit gewohnt ist?

Als Thea Dorn und Deniz Yücel, die Sprecher*innen des Vereins, die kleine Bühne auf dem Marktplatz betreten, schaut ein Mann am Rande der Menschenmenge skeptisch. „Weißt du, wer die sind?“, fragt er den Mann neben sich. Der schüttelt nur den Kopf. Neugierig scheinen viele Klützer*innen dennoch zu sein. Mehr als 400 Menschen sind laut Polizei gekommen. Immer wieder öffnen Anwohner*innen am Markt ihre Fenster und blicken auf das Geschehen hinunter.

Oliver Hintz: Finanzierung der Friedman-Lesung war gesichert

Nach ein paar einleitenden Worten kommen Michel Friedman und Oliver Hintz zu Wort, erläutern erneut ihre Standpunkte. Bürgermeister Jürgen Mevius ist zwar auf dem Marktplatz anwesend, aber nicht auf der Bühne. Er äußert sich auch sonst nicht. Hintz betont, dass die Finanzierung von Friedmans Auftritt bereits gesichert gewesen sei. Friedman sagt, dass in einer Demokratie die Politik der Kultur keine Vorgaben zu machen habe.

Doch weder sie noch ihre Perspektiven sollen im Zentrum dieser Kundgebung stehen, erklärt Thea Dorn, sondern die Klützer*innen. In der Umsetzung bedeutet das: Jede Person, die eine Frage hat oder etwas sagen möchte, meldet sich und bekommt dann ein Mikrofon gereicht.

Jetzt kommt die Stadtgesellschaft zu Wort

Das Angebot wird angenommen. Viele der Menschen, die sich zu Wort melden, kommen aus kleineren Städten im Umland, manche sogar aus der Landeshauptstadt Schwerin, so auch die Ministerin für Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Bettina Martin (SPD).

Und alle haben Fragen. Warum man Michel Friedman denn nun wirklich ausgeladen habe? Ob Oliver Hintz 2025 überhaupt schon das Budget für das Jahr 2026 kennen könne? Manche stimmen Friedman zu, sehen im Eingriff des Bürgermeisters einen Angriff auf die Demokratie. Viele haben das Gefühl, der Bürgermeister sei zum Rücktritt gedrängt worden. Sie sehen in Oliver Hintz den Verantwortlichen dafür. Einmal wird er sogar ausgebuht, als Lügner beschrien. Was jedoch alle Anwesenden eint: das Bedürfnis nach Aufklärung, wenn nicht sogar Aufarbeitung. Als Ministerin Bettina Martin zu Wort kommt, verteidigt sie Hintz. Die Kunstfreiheit müsse bewahrt werden, so Martin. Deshalb sei für sie mit Blick auf die Ausladugn klar: „Es geht nicht, dass solche Schritte unternommen werden.“

An anderer Stelle wird spürbar, wie sehr die Debatte manchen Menschen im Ort an die Substanz geht. „Hier werden die Grundwerte zitiert, aber ich habe hier niemanden gehört, der dagegen ist“, meldet sich eine der Anwesenden zu Wort. Dann wird sie emotional, ihre Stimme scheint zu brechen. Das Literaturhaus, das immer ein verbindendes Element für die Stadtgemeinschaft gewesen sei, sei nun der Grund für Spaltung. „Ich kann das gar nicht fassen.“

Ist die Demokratie in Klütz in Gefahr?

„Ich habe nicht Angst um das Literaturhaus und nicht Angst um Klütz, eher um unsere Demokratie, für die wir alle aufstehen müssen“, gibt eine der anwesenden „Omas gegen Rechts“ zu bedenken. Eine Schwerinerin sieht es ähnlich: „Wofür Klütz für mich steht, ist, dass Politiker einknicken, auch die, die ich eigentlich als Verbündete für Demokratie gesehen habe.“

Doch immer wieder geht es auch um das Konkrete, um Personalien. Dann wird die Diskussion hitziger, der Ton rauer. Einem Anwesenden aus dem benachbarten Grevesmühlen geht das zu weit. „Ich würde mir wünschen, dass wir mehr bei den Fakten bleiben und nicht ins Persönliche gehen“, gibt er ins Mikrofon zu bedenken. In Klütz steht es allerdings Aussage gegen Aussage. Was Fakt ist, lässt sich also in diesem Streit kaum objektiv festlegen.

Als letzte Wortmeldung kommt der Leiter der örtlichen Versammlungsbehörde zu Wort. Diese Veranstaltung habe gezeigt, dass Michel Friedman nach „Stand von heute“ in Klütz auftreten könne, ohne dass es zu Ausschreitungen komme.

Michel
Friedmann

Es ist unsere Pflicht, nicht neutral zu sein, wenn demokratische Grundrechte angegriffen werden.

Friedman selbst findet am Ende der Veranstaltung mahnende Worte. „Die Neutralitätspflicht gibt es bei der Demokratie nicht, sondern es ist unsere Pflicht, eben nicht neutral zu sein, wenn demokratische Grundrechte angegriffen werden“, und genau das sei an diesem Nachmittag passiert. Er habe diskutieren wollen, demokratisch streiten wollen. „Ich bin gerne hergekommen. Ich war neugierig, ich wollte Menschen kennenlernen, ich wollte überhaupt den Ort mal kennenlernen.“ Dann lacht er: „Ich wollte nächstes Jahr sowieso herkommen!“ Applaus. Am Ende verabschiedet er sich – mit einer „letzten Bemerkung“, wie er sagt: „Vielleicht werde ich ja wieder eingeladen.“

Nach knappen zwei Stunden ist die Kundgebung vorbei. Viele Fragen wurden an diesem frühen Abend in Klütz gestellt, und einige bleiben unbeantwortet. „Na das war was“, brummt ein älterer Herr seiner Begleitung zu, als sich die beiden aufmachen, zu gehen. Sie nickt – „weiß nich‘, ob ich jetzt schlauer bin“. Andere diskutieren, während sie langsam vom Platz gehen. Die Meinungen sind verschieden, aber vielleicht war diese Intervention ja erst der Anfang.

Autor*in
FL
Finn Lyko

ist Volontärin in der vorwärts-Redaktion.

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