80 Jahre SPD-Wiedergründung: „Wennigsen wirkt bis heute“
Vor 80 Jahren wurde in Wennigsen der Grundstein für die Wiedergründung der SPD gelegt. Am Wochenende hat der dortige Ortsverein daran erinnert – und erstaunliche Parallelen in die Gegenwart gezogen.
Kai Doering | vorwärts
Erinnern als Verantwortung für die Zukunft: Niedersachsens Ministerpräsident Olaf Lies bei der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Wiedergründung der SPD in Wennigsen
Wennigsen liegt etwa 20 Kilometer südwestlich von Hannover. Gut 14.000 Menschen leben hier. In diesem Jahr feierte der Ort sein 825. Bestehen. Dass hier Geschichte geschrieben wurde, sieht man, kurz nachdem man aus dem Zug ausgestiegen ist. Direkt gegenüber vom Bahnhof wurde ein großer Stein aufgestellt. „Sozialdemokraten aus allen Teilen Deutschlands traten in Wennigsen (Deister) am 5. u. 6.10.1945 zu ihrer ersten Konferenz nach 12-jähriger Unterbrechung zusammen“, steht in Metallbuchstaben darauf geschrieben. Und: „Sie beauftragten Dr. Kurt Schumacher, 1. Vorsitzender der SPD 1946 – 1952, mit der Leitung beim Wiederaufbau der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.“
„Neuanfang nach Jahren von Terror, Krieg und Unterdrückung“
„Wennigsen wurde zum Ort des Aufbruchs“, sagt Ingo Klokemann. Er ist in Wennigsen aufgewachsen und hier seit 2021 Bürgermeister. Die „Wennigser Reichskonferenz“ sei für die SPD ein „Neuanfang nach Jahren von Terror, Krieg und Unterdrückung“ gewesen. Unter der Führung Schumachers trafen sich rund 85 Delegierte nur einen Steinwurf vom Gedenkstein entfernt im „Bahnhofshotel Petersen“, um über den Wiederaufbau und die künftige Struktur der SPD zu beraten. Doch das Treffen wirkte weit über den Tagungsort hinaus. Die Bevölkerung sorgte für Verpflegung und bot Übernachtungsplätze an. „Die Menschen von Wennigsen übernahmen Verantwortung in Zeiten höchster Not“, berichtet Bürgermeister Klokemann. „Sie öffneten ihre Türen und ihre Herzen.“
Grund genug für den Wennigser Ortsverein der SPD, alle fünf Jahre mit einer großen Veranstaltung an das richtungsweisende Treffen zu erinnern. Zum 80. Jahrestag luden die Genoss*innen am vergangenen Samstag zur Feierstunde in ein Restaurant unweit des Rathauses ein. „Unsere Demokratie braucht Erinnerung, vor allem aber Menschen, die Haltung zeigen“, sagte die Vorsitzende der Wennigser SPD, Susanne Wolter. Passend dazu hatte der Ortsverein das Motto der Veranstaltung gewählt: „Demokratie damals und heute“.
„Wir müssen jetzt klar und stark in der Haltung sein.“
„Ohne die Sozialdemokratie hätte es nach dem Zweiten Weltkrieg keine stabile Demokratie gegeben“, betonte dabei Olaf Lies, niedersächsischer Ministerpräsident und Vorsitzender der Landes-SPD. Die Frage, wie es nach dem Krieg mit der SPD weitergeht, sei für Kurt Schumacher auch eine Frage gewesen, wie es mit der Demokratie in Deutschland weitergeht. Auch deshalb habe er sich, anders als die Genoss*innen in der späteren DDR, gegen eine Zusammenarbeit mit der KPD gestellt.
Und heute? „Überall ist das Modell der liberalen Demokratie unter Druck“, sagte Lies. Die Aufgabe für Demokrat*innen sei deshalb klar: „Wir sind jetzt in einer Phase, in der wir noch handeln können. Wir müssen jetzt klar und stark in der Haltung sein.“ Ganz ähnlich argumentierte Matthias Miersch, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, in dessen Wahlkreis Wennigsen liegt. „Wir leben in einer Zeit, in der die Demokratie so unter Druck ist, wie seit Jahrzehnten nicht mehr“, sagte Miersch. „Die Frage ist, mit welcher Haltung wir alle agieren.“
„Die Menschen müssen merken, dass es sich lohnt, für diese Demokratie zu kämpfen“
Aus Sicht der SPD sei dabei klar: „Keine Partei kann so überzeugt gegen Faschismus auftreten wie die Sozialdemokratie.“ Doch nicht nur Parteien und Politiker*innen seien in der Pflicht, die Demokratie zu bewahren. Für viele sei die Demokratie 80 Jahre nach Ende der Nazi-Herrschaft etwas Selbstverständliches geworden. „Die Menschen müssen merken, dass es sich lohnt, für diese Demokratie zu kämpfen“, forderte Miersch.
Der Geist der „Wennigser Reichskonferenz“ könnte dabei möglicherweise helfen. „Wir sollten ehrlich prüfen, ob unser eigenes Handeln dem entspricht, was die Menschen wirklich brauchen und unser Handeln gegebenenfalls ändern“, meinte Bürgermeister Ingo Klokemann und zeigte sich überzeugt: „Wennigsen kann auch heute wieder der Ort sein für eine Politik, die zuhört.“ Ganz ähnlich sieht es Ministerpräsident Olaf Lies: „Wennigsen wirkt bis heute“, sagte er.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.