Meinung

Wer die Meinungsfreiheit nicht verteidigt, gefährdet die Demokratie

Die Ausladung des Publizisten Michel Friedmann von der Hannah-Arendt-Woche in Klütz sorgt für Empörung. Mit Recht. Denn Freiheit bedeutet nicht, andere aus der Öffentlichkeit zu drängen, warnt Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda.

von Carsten Brosda · 3. November 2025
Klare Haltung: Carsten Brosda ist seit 2017 Senator für Kultur und Medien in Hamburg.

Klare Haltung: Carsten Brosda ist seit 2017 Senator für Kultur und Medien in Hamburg.

Für Hannah Arendt ist das Politische eine Verständigungspraxis. Macht, so die politische Denkerin, entstehe „zwischen den Menschen, wenn sie zusammen handeln“. Zu diesem Handeln gehört für sie auch bereits das Sprechen. Angesichts dessen ist es bitter, dass kürzlich der Publizist Michel Friedman von der Hannah-Arendt-Woche im Klützer Literaturhaus ausgeladen und letztlich die gesamte Veranstaltung zum 125. Geburtstag Arendts abgesagt wurde. Wieder einmal musste man daran zweifeln, ob wir eigentlich noch begreifen, was es heißt, die Freiheit einer Demokratie zu leben. 

Man möchte allen Beteiligten noch einmal die Schriften Hannah Arendts zum Nachlesen geben. Demokratie beruht auf der Bereitschaft, unterschiedliche Meinungen zuzulassen und zu diskutieren. Und Michel Friedman steht als öffentlicher Intellektueller wie kaum ein zweiter für eine so verstandene Meinungsfreiheit. Wenn die Politik – sei es aus Angst, aus Judenhass oder aus ideologischen Gründen – diese Freiheit nicht verteidigt, ist die Demokratie in Gefahr.

Das passiert derzeit leider immer wieder, weil viele die Uneindeutigkeiten und Widersprüche unserer Zeit nicht auszuhalten scheinen. Sie begreifen Freiheit bloß als Recht, rücksichtslos zu sein. Beharren auf vermeintlich absoluten Wahrheiten. Wollen andere Sprechende aus der Öffentlichkeit drängen. Oder geben vor, die Demokratie zu verteidigen, nur um dann zu autoritären Instrumenten zu greifen.

Brosda: Vielfalt nicht nur aushalten, sondern anstreben

Dabei liegt im gemeinsamen Sprechen der Kern unseres demokratischen Miteinanders. Das öffentliche Gespräch ist nötig, gerade weil wir unterschiedlicher Meinung sind. Denn wie langweilig wird es, wenn man sich einig ist. Und wie langweilig erst, wenn niemand bereit ist, sich von anderen überzeugen zu lassen. Deshalb sind die besten Gespräche die, in denen wir uns offen und frei und unvoreingenommen und uneinig begegnen. Wer eine vielfältige Gesellschaft will, muss diese Vielfalt nicht nur aushalten, sondern anstreben. Wir schädigen uns selbst, wenn wir nicht mehr debattieren, wer recht und wer unrecht haben könnte, sondern nur noch, wer das Recht besitzt, etwas zu sagen.

Carsten
Brosda

Wir schädigen uns selbst, wenn wir nicht debattieren, wer recht und wer unrecht hat.

Es gibt Leitlinien, die wir im öffentlichen Gespräch beachten müssen, wenn uns unsere Demokratie lieb ist: Die Meinungsfreiheit gilt, auch für diejenigen, die das Gegenteil dessen vertreten, was man selbst für richtig hält. Sie endet erst dann, wenn Positionen formuliert werden, die auf die Verengung der Vielfalt selbst zielen. Das Strafrecht zieht die Grenzen der Meinungsfreiheit dort, wo andere verletzt werden. Öffentlichkeit kann kein Safe Space sein, umso mehr gilt es sie zu schützen.

Wir können Freiheiten nicht in Anspruch nehmen, ohne ein Bewusstsein für die Gefährdungen, die dadurch entstehen. Aber wir können respektvoll miteinander umgehen, gerade wenn wir in der Sache uneins sind. Unsere Demokratie ist ein Konsens über die Verfahren, die uns helfen, mit den Konflikten unseres Zusammenlebens umzugehen. Dazu gehören Vereinbarungen wie das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Denn erst wenn unterschiedliche Ansichten geäußert werden können, kann auch die Verständigung über das Gemeinsame und alle Betreffende beginnen.

In der Freiheit des Sprechens liegt die Idee der Demokratie 

Der Intellektuelle Jan Philipp Reemtsma zitiert in seinem Buch „Vertrauen und Gewalt“ aus Thomas Manns „Der Zauberberg“. Darin versucht Settembrini, ein schwärmerischer Aufklärer, in einem Sanatorium in Davos, den Ingenieurssohn Hans Castorp davon zu überzeugen, dass die Gedanken der Aufklärung eine großartige Sache seien. Irgendwann kommt Naphta hinzu, ein Zyniker, der die ganze Zeit dagegen anredet, dass es Sinn habe, Vernunft zu gebrauchen. Reemtsma fasst diese Szenerie in einem unschuldigen Satz zusammen: „Dass Naphta mitdiskutierte, gab Settembrini recht.“

Ein kompliziert klingender, aber ganz einfacher Gedanke. Dass derjenige, der die Ideen der Aufklärung für Unfug hält, mit demjenigen diskutiert, der fest an diese Ideen glaubt, bestätigt Letzteren in seiner Zuversicht. Schließlich widerspricht sich der Zyniker selbst, weil er ja eigentlich sagen müsste: „Ich breche das Gespräch ab.“ Es hat schließlich nur Sinn, wenn wir unterstellen, dass freies Sprechen wirkt. Dass es sich lohnt, den Aufwand für das Gespräch miteinander zu betreiben, weil wir einander unterstellen, dass eine Verständigung möglich ist. Jeden Tag aufs Neue müssen wir dafür sorgen, dass diese Unterstellung plausibel bleibt. Denn in der Freiheit des Sprechens und den Gefahren des öffentlichen Gesprächs liegt die Idee der aufgeklärten Demokratie.

Autor*in
Carsten Brosda

ist Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg. Sein jüngstes Buch „Die Kunst der Demokratie“ ist bei Hoffmann und Campe erschienen.

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