Meinung

Grundsatzprogramm: Warum darin eine Chance für die SPD liegt

Die SPD will ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten. Das darf nicht im Maschinenraum der Partei passieren, sondern sollte mit einer breiten öffentlichen Diskussion verknüpft werden. Gelingt das, wird die SPD Vertrauen zurückgewinnen.

von Fedor Rose · 8. September 2025
Die SPD will sich ein neues Grundsatzprogramm geben.
20.02.2025 - Olaf Scholz und Lars Klingbeil in Bad Fallingbostel: Der Bundeskanzler und Bundesvorsitzende Lars Klingbeil der SPD bei der Wahlkampfveranstaltung im nieders?chsischen Bad Fallingbostel. Im Bild: Fahnen der SPD mit dem Text Soziale Politik f?r Dich. , Bad Fallingbostel Niedersachsen Deutschland Heidmark-Halle *** 20 02 2025 Olaf Scholz and Lars Klingbeil in Bad Fallingbostel The Federal Chancellor and Federal Chairman Lars Klingbeil of the SPD at the election campaign event in Bad Fallingbostel, Lower Saxony In the picture SPD flags with the text Social Policy for You , Bad Fallingbostel Lower Saxony Germany Heidmark Halle

Der Bundesparteitag der SPD hat einen Prozess zu einem neuem Grundsatzprogramm beschlossen. Dabei handelt es sich um mehr als ein innerparteiliches Projekt. Es ist die notwendige Antwort auf den umfassenden Verlust von Orientierung und Vertrauen, mit denen im politischen Raum nicht nur die Sozialdemokratie umzugehen hat.

Für einen nachhaltigen Erfolg wird es entscheidend sein, dass in der SPD jetzt nicht nur ein Text entsteht, sondern dieser Prozess zum Ausgangspunkt einer breiten, pluralen und offenen gesellschaftlichen Debatte wird. Frühere Grundsatzprogrammdiskussionen zeigen, dass hier die Möglichkeit entsteht, dass die deutsche Sozialdemokratie ihre Rolle als gestaltende Kraft erneuern und wieder zu einer verbindenden Stimme in einer fragmentierten Gesellschaft werden kann. 

Ein Grundsatzprogramm für eine Gesellschaft im Umbruch

Die Gegenwart ist von einer doppelten Dynamik geprägt: Zum einen wird der Gehalt gesellschaftlicher Fortschrittserzählungen schwächer, zum anderen nehmen Verlust- und Bedrohungserfahrungen zu, wie der Soziologe Andreas Reckwitz in seiner Gesellschaftsdiagnose über den „Verlust“ eindrücklich nachweist. Die Zukunft erscheint vielen nicht mehr verheißungsvoll, sondern gefährlich. Ob Klimawandel, geopolitische Krisen oder soziale Polarisierung – die Erwartung, dass „alles besser wird“, wird abgelöst von der Sorge, dass das Erreichte verloren gehen könnte.

Diese Verschiebung trifft auf eine Gesellschaft, die sich seit Jahrzehnten ausdifferenziert. Die einst „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ hat sich zunehmend in Gewinner und Verlierer der Wissens- und Dienstleistungsökonomie gespalten. Die soziale Fragmentierung wird durch kulturelle Unterschiede verstärkt, wodurch die traditionelle Integrationsfunktion der Volksparteien deutlich geschwächt wurde.

Erschöpfung und Überforderung in der Gesellschaft

Zudem lasten wachsende Verantwortlichkeiten auf den Individuen: soziale Absicherung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Vorsorge gegen ökologische Risiken. Aufgaben, die einst kollektiv oder staatlich getragen wurden, müssen zunehmend privat bewältigt werden oder ihre kollektive Risikoübernahme wird in der aktuellen politischen Diskussion immer öfter in Frage gestellt. Erschöpfung und Überforderung werden so zu gesellschaftlichen Leitmotiven, beobachtet der Soziologe Philipp Staab.

Parallel dazu treten ökologische Krisenerscheinungen immer häufiger auf. Schließlich wirken technologische Umbrüche wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Biotechnologie tief in Arbeitswelt und Lebensführung hinein. Sie bieten Chancen für neue Formen des Wohlstands, zugleich aber auch massive Unsicherheit über Arbeit, Teilhabe und Demokratie. Die Knappheit zentraler Ressourcen – ob Wohnraum, Energie oder Arbeitskräfte – rückt ins Zentrum politischer Auseinandersetzungen.

Der Programmprozess als Ort kultureller Debatten

Darauf glaubwürdige sozialdemokratische Antworten zu geben, ist die Aufgabe der Grundsatzdebatte, vor der die SPD jetzt steht. Gut gemacht, kann dies der Ausgangspunkt sein für einen offenen, öffentlichen und kreativen Prozess.

Damit dies gelingt, darf ein Grundsatzprogramm nicht isoliert im Maschinenraum der Partei entstehen. Es muss als Prozess der gesellschaftlichen Rückverankerung und Rückversicherung verstanden werden – in den Kommunen vor Ort, mit der Zivilgesellschaft und in kulturellen Debatten. Dafür müssen innerparteiliche Strukturen aktiviert werden. Gleichzeitig braucht es aber die Einbindung kritischer Intellektueller, der Gewerkschaften und der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft mit ihren sozialen Bewegungen und kulturellen Akteuren sowie der Wissenschaft. Die Pluralität der gehörten und beteiligten Stimmen ist für das neue Grundsatzprogramm zentral.

Der Weg zum Programm – so wichtig wie das Programm selbst

Deswegen gilt es jetzt, den innerparteilichen Grundsatzprogrammprozess mit einer breiten öffentlichen Diskussion zu verknüpfen und Interesse an den Ideen der Sozialdemokratie zu erzeugen. Dies gelingt dann, wenn tatsächlich Räume für neue Ideen geöffnet werden. Es muss Debatten geben, die spannend und kontrovers sind, die neue Vorschläge zulassen, ohne sofort auf Konsens oder Kompromiss zu zielen.

Die SPD hat mit dem beschlossenen Programmprozess dafür den richtigen Rahmen gesetzt. Es geht darum, die großen Fragen unserer Zeit – soziale Gerechtigkeit im digitalen Kapitalismus, innere, äußere und ökologische Sicherheit, gesellschaftliche Kohäsion – in spannende, kontroverse und offene Debatten zu übersetzen. Das Gelingen hängt jetzt daran, dass der Weg zum Programm ebenso ernst genommen wird wie das Programm selbst. Gelingt es, eine wirklich offene, plurale und kreative Debatte zu führen, dabei entstehende Konflikte auszuhalten und daraus eine gemeinsame Vision zu formulieren, kann die Sozialdemokratie Vertrauen zurückgewinnen und ihre Rolle als gestaltende Kraft der Demokratie erneuern.

Autor*in
Porträt Fedor Rose
Fedor Rose

ist Mitglied der SPD-Grundwertekommission.

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Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Mo., 08.09.2025 - 14:45

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"Gelingt das, wird die SPD Vertrauen zurückgewinnen." so heißt es im Vorspann des Beitrags. Allerdings reicht es nicht, wenn die SPD, auch mit einer entsprechenden Mitgliederbeteiligung ein gutes Programm erstellt. Wichtiger, um Vertrauen zurückzugewinnen, ist, ein solches Programm auch in der realen Politik umzusetzen. Leider hat es bei allen Programmen daran gefehlt.
Zum Einen lag es daran, dass die SPD nicht an der Regierung beteiligt war wie bei den ersten Programmen (Gotha und Erfurt), dann aber auch während verschiedener Regierungszeiten in der Weimarer Republik sowie später in der Bundesrepublik, wie z.B. unter Kanzler Schröder. Z.B. verschiedene Zitate aus dem Berliner Programm wie "Wir (...) kämpfen für eine friedliche Welt und eine lebensfähige Natur, für eine menschenwürdige, sozial gerechte Gesellschaft. Wir wollen Bewahrenswertes erhalten, lebensbedrohende Risiken abwenden und Mut machen, Fortschritt zu erstreiten. Wir wollen Frieden." Wie weit sind wir weg davon.

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