Viktor Orbán in Wien: Rechtsstreit unter Populisten
Dass der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz auf einer Linie mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán liegt, daran gibt es kaum Zweifel. Beide gelten als Hardliner in Sachen Asyl und Migration, als Vertreter einer rigiden EU-Abschottungspolitik.
Orbán will „migrantenfreie Zone“ in Osteuropa
Am Dienstag werden sich die beiden Politiker in Wien begegnen. Orbán reist für ein „Arbeitstreffen“, wie es heißt, in die österreichische Hauptstadt. Er wird sich hinter verschlossenen Türen mit Kurz zusammensetzen und anschließend den Chef der rechtspopulistischen FPÖ treffen, den Vizekanzler und ehemaligen militanten Neonazi Heinz-Christian Strache. Orbán will auch seinen Freund, den früheren ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel besuchen. Der hatte schon im Jahr 2000 die FPÖ in die Regierung geholt, wofür es damals noch EU-weite Kritik gab.
Heute protestiert in der EU kaum mehr jemand gegen die FPÖ. Wie in Wien ist der Rechtspopulismus in vielen Hauptstädten auf der Regierungsbank angekommen. So ganz in die Reihe der rechten Regierungen von Polen bis Ungarn will sich Kanzler Kurz aber offenbar nicht stellen: Zwar verteidigt er den Kurs der ungarischen Staatsführung seit längerem, auch wenn Orbán ganz Ostmitteleuropa zur „migrantenfreie Zone“ erklärt oder Flüchtlinge „muslimische Invasoren“ nennt. „Es ist gefährlich, wenn einige Staaten in der Europäischen Union den Eindruck erwecken, anderen Mitgliedsländern moralisch überlegen zu sein“, griff Kurz im Jahr 2016 die Orbán-kritischen Politiker in der EU an.
Freundschaftsbeweis für Orbán
Seine ersten Auslandsreisen als frisch gewählter Kanzler führten Kurz dann allerdings nicht nach Budapest – sondern zu Orbáns Gegenspieler: im Dezember besuchte er Brüssel, vor wenigen Tagen fuhr er nach Paris zum liberalen Präsidenten Emmanuel Macron.
Den Freundschaftsbeweis für Orbán holt Kurz in dieser Woche nach: Als den ersten offiziellen Auslandsgast seiner Amtszeit empfängt er am Dienstag den ungarischen Premier in Wien. Beim Thema Migration werden die Gespräche der zwei Spitzenpolitiker wohl harmonisch ablaufen – bei anderen Themen wird hingegen Streit erwartet.
Weniger Geld für EU-Ausländer
So liegen Österreich und Ungarn in der Energiepolitik überkreuz: Mit russischer Hilfe will die Orbán-Regierung ihr einziges Kernkraftwerk ausbauen, den Jahrzehnte alten Reaktor „Paks“, rund 260 Kilometer von Wien entfernt. Österreich, wo es keine Atomkraft gibt, will dagegen klagen.
Ungarn will wiederum ebenfalls vor Gericht ziehen, nämlich gegen die österreichische Regierung: Die hatte angekündigt, die „Familienbeihilfe“ – das österreichische Kindergeld – für EU-Ausländer zu kürzen. „Ein solcher Beschluss war ja mit der SPÖ nie möglich“, sagte Kurz Anfang Januar. „Wir sparen damit mehr als 100 Millionen Euro ein.“ Wer als Ausländer in Österreich arbeitet und Kinder in einem anderen EU-Land hat, kann bisher Familienbeihilfe beziehen. Aus Österreich fließen so laut Medienberichten derzeit rund 80 Millionen Euro jährlich nach Ungarn.
Ungarn will Österreich verklagen
Damit der Geldfluss nicht versiegt, will die ungarische Regierung gerichtlich gegen die Pläne aus Wien vorgehen und eine Kürzung der Familienbeihilfe für Ausländer verhindern. Unterstützung kommt aus Brüssel: Auch in der EU haben viele Bedenken, ob eine pauschale Kürzung des Kindergelds für Ausländer rechtlich überhaupt möglich ist. Dass aber ausgerechnet der Hardliner Orbán, ein enger Freund der rechten FPÖ, jetzt juristisch gegen die Anti-Ausländer-Politik der Wiener Regierung vorgehen will, ist schon ungewöhnlich. Geht es ums Geld, scheint der rechte Schulterschluss zwischen Budapest und Wien doch nicht so eng zu sein.
Die oppositionellen österreichischen Sozialdemokraten kritisieren den anstehenden Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten. Anstatt sich dem EU-Gegner Orbán einzulassen, sollte Kanzler Kurz ein klares Bekenntnis zu Europa abgeben, fordern sie. Der geschäftsführende SPÖ-Klubobmann, der Fraktionschef im österreichischen Parlament, Andreas Schieder sagt: „Es braucht jetzt ein deutliches Zeichen für ein demokratisches Europa mit einem gemeinsamen europäischen Interesse.“
Das Zeichen müsste wohl bald kommen: Im Juli 2018 übernimmt die ÖVP/FPÖ-Regierung eine der wichtigsten Rollen in der Europäische Union - die EU-Ratspräsidentschaft.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.