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Türkei setzt Prozess gegen Peter Steudtner fort

Der Gerichtsprozess gegen Peter Steudtner wird am Mittwoch in Istanbul fortgesetzt. Ein Urteil gegen den deutschen Menschenrechtsaktivisten wird allerdings immer unwahrscheinlicher - ist die Türkei doch längst wieder auf deutschlandfreundlichem Kurs.
von Paul Starzmann · 30. Januar 2018
Peter Steudtner
Peter Steudtner

Ihr Name klingt wie aus einem Western – im Internet heißen sie nur die „Istanbul10“. Gemeint sind zehn Menschenrechtler, die im Juli 2017 von türkischen Polizisten festgenommen wurden. Einer von ihnen ist Peter Steudtner. Er und die anderen Aktivisten hatten im Sommer 2017 nahe Istanbul, auf der Insel Büyükada, einen Workshop veranstaltet, an dem auch die Organisation Amnesty International (ai) beteiligt war. Der Lehrgang endete für sie in einer Gefängniszelle. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Terrorunterstützung. Internationale Beobachter halten die Anschuldigung jedoch für konstruiert, den Prozess gegen die Menschenrechtler für politisch motiviert.

Wird die Türkei Interpol auf Steudtner ansetzen?

Inzwischen sind die „Istanbul10“ wieder auf freiem Fuß, sie werden vorerst von der Haft verschont, während sie auf den Prozess warten. So lebt auch Peter Steudtner heute in Freiheit in Deutschland. Mehr als 100 Tage musste er im vergangenen Jahr in einer türkischen Zelle verbringen bis er im November freigelassen wurde und nach Berlin fliegen konnte. Am Mittwoch soll nun der Prozess gegen ihn fortgesetzt werden – allerdings in Abwesenheit: der Menschenrechtler will nicht in die Türkei reisen.

Angesichts der langen Untersuchungshaft, die bereits hinter ihm liegt, wundert es nicht, dass Steudtner zurzeit lieber nicht nach Istanbul fliegen will. Theoretisch droht ihm am Ende des Prozesses eine Gefängnisstrafe. Dann könnten die türkischen Behörden sogar Interpol einschalten, einen internationalen Haftbefehl erwirken und versuchen, Steudtner per Amtshilfe in Deutschland festnehmen zu lassen. Allerdings wäre das eine erneute schwere Belastung für die deutsch-türkischen Beziehungen – nachdem das Verhältnis in der Vergangenheit ohnehin stark abgekühlt war und erst seit kurzem wieder von freundlicheren Tönen bestimmt wird.

Diplomatische Kehrtwende in Ankara

So bemühen sich beide Seiten inzwischen um eine besseren Austausch zwischen Ankara und Berlin. Dass Steudtner überhaupt freigekommen ist, hat angeblich etwas mit einem Besuch Gerhard Schröders beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Herbst 2017 zu tun. Der Altkanzler soll sich Medienberichten zufolge für Steudtner eingesetzt haben. Vor einigen Tagen besuchte dann auch noch der Außenminister der Türkei, Mevlüt Çavuşoğlu, seinen deutschen Amtskollegen Sigmar Gabriel in dessen Wohnhaus im niedersächsischen Goslar.

Es ist eine diplomatische Kehrtwende: Hatte Erdoğan in der Vergangenheit nicht wenig über die Deutschen geschimpft, ihnen sogar „Nazi-Methoden“ vorgeworfen, wünscht sich sein Außenminister Çavuşoğlu nun einen „Neustart“ der Beziehungen. Die beiden Regierungen sollten sich wieder annähern, fordert er. Es sei Zeit für weniger „Megafon-Diplomatie“ und einer „empathischeren Sprache“. Und so verwendete Çavuşoğlu auch das Wort „dostum“, um Gabriel zu beschreiben. Es bedeutet: mein Freund.

Proteste vor türkischer Botschaft angekündigt

Um die neue Nähe zu Berlin nicht zu gefährden, dürfte die türkische Staatsführung kein Interesse daran haben, dass Steudtner von dem Istanbuler Gericht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird. Aus diesem Grund wird eine Verurteilung des Menschenrechtlers immer unwahrscheinlicher.

Für Steudtners Kollegen, den Vorstandsvorsitzenden der türkischen ai-Sektion, Taner Kılıç gilt das jedoch nicht: 240 Tage wird er in Haft verbracht haben, wenn am Mittwoch der Prozess gegen ihn und seine Mitstreiter fortgesetzt wird. Amnesty International protestiert scharf dagegen. Am Mittwoch wollen die Aktivisten vor der türkischen Botschaft in Berlin demonstrieren.

Was ist mit Deniz Yücel?

„Taner Kılıç ist unschuldig – es gibt eindeutige Beweise dafür und keinerlei Indizien für ein Fehlverhalten“, sagt Gauri van Gulik, die Europadirektorin von Amnesty International. „Seine Freilassung ist längst überfällig.“ Das türkische Justizsystem sei unberechenbar geworden. Die Regierung in Ankara sei „skrupellos“, kritisiert sie. Gauri und andere ai-Direktoren wollen den Prozess gegen Kılıç und die „Istanbul10“ diese Woche vor Ort beobachten.

Wie Kılıç wartet auch der deutsche Journalist Deniz Yücel seit langem in Haft auf seinen Prozess. Ungeachtet des diplomatischen Tauwetters zwischen Ankara und Berlin, dürfte er so schnell nicht freikommen. Im Gegensatz zu Steudtner besitzt Yücel nicht nur einen deutschen, sondern auch einen türkischen Pass. Und die Erdoğan-Regierung hat ihn persönlich auf dem Kieker: So hat der Präsident einst über den Journalisten geschimpft, er sei ein „Agent“ und „Terrorist“. Würde Yücel jetzt wie einst Steudtner plötzlich per Gerichtsentscheid freikommen – es wäre eine herber Gesichtsverlust für Erdoğan.

Und so dürften sich die deutsch-türkischen Beziehungen wohl doch nicht ganz so schnell normalisieren, wie von manchen erhofft.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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