So will die SPD neuen Schwung für Europa schaffen
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Nach dem britischen Brexit-Referendum und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im vorigen Jahr war die Sorge groß, dass 2017 ein europäisches Katastrophenjahr werden könnte. Es kam zum Glück anders. Die Welle des Populismus hat sich in diesem Jahr deutlich abgeschwächt. Verschwunden oder abschließend überwunden ist sie jedoch nicht, auch wenn sich die schlimmsten Befürchtungen für die Urnengänge in Österreich, den Niederlanden und in Frankreich nicht bestätigt haben. Die EU hat Zeit gewonnen, mit der aber nicht fahrlässig umgegangen werden darf, denn ernster Reformbedarf ist nach wie vor gegeben.
Martin Schulz: Offensive für Europa
Die EU ist aber nicht nur Brüssel, sondern sind vor allem auch die einzelnen Mitgliedsstaaten. Die europäischen Institutionen alleine können das Ruder nicht herumreißen, sondern es bedarf der aktiven Mithilfe der nationalen Regierungen. Gerade Deutschland spielt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle.
Vor diesem Hintergrund ist die von Martin Schulz angestrebte offensivere Europapolitik sehr zu begrüßen. Sie deckt sich in wichtigen Teilen mit dem Programm des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron und kann somit als Basis für die Revitalisierung der historisch so wichtigen deutsch-französischen Achse der europäischen Integration dienen. Es geht darum, den politischen Motor der europäischen Integration neu anzuwerfen und die anderen Mitgliedsstaaten davon zu überzeugen, dass ein sozialdemokratischer Weg die beste Zukunftsoption für die EU ist. Was sind die wichtigsten Herausforderungen? Der europäische Teil des sozialdemokratischen Regierungsprogrammes benennt die wichtigsten Probleme und setzt die richtigen Schwerpunkte.
Mehr Zusammenhalt und Solidarität
Ein revitalisiertes Europa auf der Basis von mehr Zusammenhalt und Solidarität bedarf sowohl struktureller Reformen als auch neuer politischer Initiativen. Insbesondere die Eurozone braucht für ihr langfristiges Überleben eine deutlich bessere koordinierte Wirtschaftspolitik und gemeinsame Strukturen. Viel zu oft wurde in der Vergangenheit den volkswirtschaftlichen Zusammenhängen der Währungsunion nicht Rechnung getragen. Mehr noch, die von Wolfgang Schäuble vorangetriebene national orientierte Politik hat diese Zusammenhänge schlicht ausgeblendet und jegliche Kritik brüsk zurückgewiesen. So sieht keine Verantwortung für Europa aus!
Es geht nicht darum, dass Deutschland die Zeche von vermeintlich reformunwilligen Nachzüglern im Süden des Kontinents bezahlen soll. Dieser Strohmann wird immer wieder aufgebaut, um jede Kritik am verfehlten finanz-politischen Kurs mundtot zu machen. Es geht vielmehr darum, eine aus-tarierte Struktur- und Investitionspolitik zu ini-tiieren, die das weitere Auseinanderdriften des europäischen Kontinentes verhindert und der gesamten Union eine positive wirtschaftliche Perspektive bietet. Wie sonst soll man den vielen arbeitslosen jungen Menschen in Europa unter die Augen treten und versuchen klarzumachen, dass Europa in Zukunft auch IHR Europa sein wird?
Deutschland muss investieren
Ohne Investitionen in eine positive Zukunft wird diese nie Realität sein. Wirtschaftspolitisch gibt es kaum bessere Ansatzpunkte als öffentliche Investitionen, da sie kurzfristig Nachfrage generieren und mittel- bis langfristig das Produktionspotenzial erhöhen. Vor dem Hintergrund des akuten Investitionsstaues vor allem in Deutschland und den mehr als günstigen Marktbedingungen ist es deshalb ökonomisch schlichtweg nicht nachvollziehbar und politisch mehr als kontraproduktiv, dass dieser Kurs nicht eingeschlagen wird.
Die SPD hat dieses Problem verstanden und im Regierungsprogramm diesbezüglich klare Prioritäten gesetzt. Die Partei ist bereit, die europäische Verantwortung zu übernehmen, die andere im besten Fall sträflich vernachlässigen und im schlimmsten Fall nicht einmal annehmen. Martin Schulz verkörpert wie kaum ein anderer die Nachkriegs-tradition des europäischen Deutschlands, wohingegen andere sich deutlich in Richtung des deutschen Europas bewegen. Dieser Weg war immer ein Irrweg. Die enge Kooperation mit den europäischen Partnern war die Grundlage der deutschen Erfolgsgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg. In den komplizierten Zusammenhängen des 21. Jahrhunderts ist dieser traditionelle Kurs notwendiger denn je. Die SPD ist bereit, ihn fortzuführen und somit auch die Europäische Union als Ganzes zu stabilisieren
forscht an der London School of Economics and Political Science (LSE). Er ist Editor-in-Chief von „Social Europe“ und Mitglied der SPD-Grundwertekommission.