Präsidentschaftswahl in Chile: Warum die Rechte diesmal gute Chancen hat
Vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl in Chile gilt der rechte Bewerber José Antonio Kast als Favorit. Die Büroleiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung, Cäcilie Schildberg, erklärt im Interview, warum es aber in vier Jahren zum Comeback des jetzigen Präsidenten kommen könnte.
IMAGO/Anadolu Agency
Die Kommunistin Jeannette Jara oder der rechts ausgerichtete José Antonio Kast – wer soll Chile künftig führen? Darüber entscheiden die Wähler*innen am 14. Dezember.
Am 14. Dezember steht die zweite Runde der Präsidentschaftswahl in Chile an. Ist der Rechtsruck unvermeidlich?
Er ist wahrscheinlich, aber nicht unvermeidlich. Es gibt eine kleine Chance, dass die linke Präsidentschaftskandidatin Jeannette Jara gewinnt. Auch 2021 lag der jetzige Präsident Gabriel Boric nach dem ersten Wahlgang hinter dem nun favorisierten José Antonio Kast und hat es in der zweiten Runde geschafft, das Blatt zu wenden und als Sieger aus der Stichwahl hervorzugehen. Wenn man sich die Ergebnisse vom ersten Wahlgang anschaut, ist die Rechte diesmal klar im Vorteil, aber in Chile weiß man nie so ganz genau, was am Ende passiert.
Als Gabriel Boric 2021 mit gerade einmal 35 Jahren als progressiver Kandidat gewann, war die Euphorie groß. Was ist seitdem passiert?
Im Grunde basierte das ganze Transformationsprojekt seiner linken, progressiven Regierung auf der Annahme einer neuen Verfassung. Doch zwei Verfassungsentwürfe scheiterten während seiner Präsidentschaft. Die Regierung Boric wollte eigentlich umfangreiche Reformen im Gesundheitswesen, bei den Steuern oder der Rente angehen, verfügte jedoch nicht über eine eigene Mehrheit im Parlament. Am Ende gelang zumindest eine Rentenreform, wenn auch nur mit zähen Verhandlungen und großen Kompromissen mit der Rechten.
Ausgehandelt hat diese die jetzige Präsidentschaftskandidatin und damalige Arbeitsministerin Jeannette Jara. Sie hat auch die Einführung der 40-Stunden-Woche erreicht. Vorher waren es 45 Stunden. Die Renten wurden erhöht, ebenso der Mindestlohn. Das waren konkrete Verbesserungen für einen Großteil der Bevölkerung. Auch wurde ein Gesetz verabschiedet, das das Pflegesystem vereinheitlichen soll. Das ist noch nicht umgesetzt, aber da wurden schon die ersten Pflöcke eingeschlagen.
Cäcilie
Schildberg
Theoretisch kann Boric in vier Jahren zur nächsten Präsidentschaftswahl wieder antreten. Ich kann mir gut vorstellen, dass er dies auch anvisiert.
Gabriel Boric ist erst 39 Jahre alt, durfte aber trotzdem nicht zur Wiederwahl antreten. Wieso?
Er darf wieder antreten, aber nicht direkt. Theoretisch kann er in vier Jahren zur nächsten Präsidentschaftswahl wieder antreten. Ich kann mir gut vorstellen, dass er dies auch anvisiert.
Hätte er eine Chance auf eine Wiederwahl gehabt?
Ehrlich gesagt nicht. Er lag zwar während seiner gesamten Präsidentschaft in den Umfragen konstant bei rund 30 Prozent Zustimmung, aber die Stimmung im Land ist nicht so gut. Das wichtigste Thema im Wahlkampf war die innere Sicherheit. Die Kriminalitätszahlen sind hochgegangen und Chile steht erstmals auch im Fokus der organisierten Kriminalität. Bandenkriminalität kreiert ein hohes Potenzial an Unsicherheit in der Bevölkerung. Die Regierung hat viel gemacht – Reformen angestoßen, die Polizei aufgestockt – aber das Problem ist immer noch da. Kandidaten, die in der Sicherheitsfrage eine harte Hand propagieren, sich politisch aber noch nicht beweisen mussten, haben jetzt an Zustimmung gewonnen.
Einer von ihnen ist der für den zweiten Wahlgang favorisierte José Antonio Kast. Er wird wahlweise als ultrakonservativ, rechtspopulistisch, rechtsextrem oder neofaschistisch beschrieben. Was wäre unter seiner Präsidentschaft zu erwarten?
Es wäre eine sehr unsichere Präsidentschaft, obwohl er im Wahlkampf mit dem Sicherheitsthema gepunktet hat, aber wenn man sich sein Programm anschaut, ist es fraglich, ob er in der Lage sein wird, das so durchzusetzen. Es besteht auch die Befürchtung, dass demokratische Strukturen oder Grundwerte angegriffen werden würden, wie wir das in anderen Ländern schon gesehen haben. Im besten Fall wird er eher das Modell Meloni fahren, bei dem er zwischen der etwas gemäßigteren Rechten UDI und der noch extremeren Rechten, der Partido National Liberatorio (PNL), vermitteln müsste.
Da er noch nie in Regierungsverantwortung war, wissen wir aber nicht genau was kommt. Im Parlament hat er gegen alles gestimmt. Er ist sehr religiös. Im Wahlkampf hat er den Kulturkampf bewusst ausgeklammert, aber irgendwann werden Themen wie Abtreibungsfragen, Gendersprache oder Sexualerziehung in Schulen sicherlich wieder auf den Tisch kommen. Hier verfolgt er eine regressive und ultrarechte Agenda.
Was würde seine Wahl für das Verhältnis zwischen Chile und den USA bedeuten?
Trump und Kast stehen sich ideologisch nahe. Aktuell gibt es in Chile Spannungen mit dem amerikanischen Botschafter, der die Regierung Boric kritisiert hat. Kast hätte er wohlmöglich nicht kritisiert.
Kast ist deutschstämmig. Würde seine Wahl das Verhältnis zu Deutschland verändern?
Das glaube ich nicht. Das Verhältnis ist bereits gut, denn Deutschland ist in Chile im Allgemeinen recht anerkannt und gern gesehen.
Cäcilie
Schildberg
Doch vielleicht gelingt es Jeannette Jara, die Wähler von Parisi für sich zu gewinnen. Dann hätte sie vielleicht noch eine Chance.
Ist die Hoffnung der politischen Linken in Chile, dass Kast in vier Jahren nicht wieder antreten darf?
Wir wissen nicht, wer dann kommt. Denn es gibt noch Johannes Kaiser, der noch weiter rechts steht und im ersten Durchgang immerhin an vierter Stelle gelandet ist. Zudem gibt es Franco Parisi vom Partido de la Gente. Er verfolgt eine populistische, nicht ideologische Positionierung und ist damit an dritter Stelle mit fast 20 Prozent gelandet. Gerade viele junge Männer haben aus Frust über die etablierte Politik Parisi gewählt. Vielleicht gelingt es Jeannette Jara, die Wähler von Parisi für sich zu gewinnen. Dann hätte sie möglicherweise noch eine Chance.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo