International

Kritik an Mittelmeer-Rettern: Viele Mutmaßungen, keine Fakten

Lars Wendland ist Bundespolizist, SPD-Politiker und war selbst auf dem Mittelmeer, um Flüchtlinge zu retten. Die Vorwürfe gegen ehrenamtliche Seenotretter hält er für unbegründet. Von der Politik fordert er legale Einreisewege.
von Robert Kiesel · 14. August 2017
Freiwillige Rettungsmissionen wie die „SeaWatch“ sorgen dafür, dass nicht noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken.
Freiwillige Rettungsmissionen wie die „SeaWatch“ sorgen dafür, dass nicht noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken.

Herr Wendland, die Kritik an ehrenamtlichen Seenotrettern auf dem Mittelmeer wird immer lauter, der Schlepper-Vorwurf ist im politischen Mainstream angekommen. Ärgert sie das?

Selbstverständlich ärgert mich das! Ich halte die Vorwürfe für unbegründet und glaube nicht, dass Seenotretter mit Schleppern kooperieren. Dass die 12 Meilen-Zone in Einzelfällen verletzt wurde, mag sein. Schließlich lässt man Menschen nicht ertrinken, nur weil ihr Boot 100 Meter hinter dieser Grenze kentert.

Das Rettungsschiff „Iuventa“ wurde beschlagnahmt, weil die Crew angeblich mit Schleppern auf libyscher Seite zusammengearbeitet hat. Glauben Sie das?

Nein. Es gibt dafür keine Belege oder Fakten, die mir bekannt sind. Zudem halte ich die Überwachung der Telefone von Aktivisten für rechtlich fragwürdig. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Kein Flüchtling wagt die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer, nur weil er möglicherweise gerettet wird. Eine behauptete „Sog-Wirkung“ der Retter auf Flüchtlinge gibt es nicht.

Dennoch stimmen viele in die Kritik an den Rettungsmissionen ein, bis hin zum österreichischen Außenminister. Warum?

Das Thema wird extrem gepushed, auch wenn es kaum Fakten und fast nur Mutmaßungen dazu gibt. Richtig ist vielmehr, dass sich die Zahl der Anfeindungen gegen die Helfer nach und nach potenziert. Das habe ich zwar auch schon erleben müssen, doch heute werden die Helfer auch persönlich attackiert, im Internet bloß gestellt. Das macht etwas mit den Menschen, selbst wenn sie weiter davon überzeugt sind, das Richtige zu tun. Die eigentliche Frage müsste lauten: Was würde passieren, wenn diese Helfer nicht vor Ort wären?

In diesem Jahr sind bereits mehr als 2.400 Menschen im Mittelmeer ertrunken, weitere werden folgen. Wie lautet Ihre Forderung an die Politik?

Es müssen endlich legale Wege für die Einreise auf Afrika nach Europa geschaffen werden. Seit der Schließung der Grenzen in Richtung Türkei gibt es de facto keinen Weg mehr, offiziell nach Europa einzureisen. Es müssen diplomatische Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Menschen auf afrikanischem Boden die Einreise nach Europa beantragen können und dann - nach der Genehmigung - legal und sicher einreisen können.

Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik fordern die SPD und Martin Schulz einen gerechten Verteilungsmechanismus innerhalb Europas. Reicht das aus?

Sich allein auf Europa zu konzentrieren, wird nicht reichen. Die Frage muss lauten: „Was kann ich tun, damit die Leute nicht mehr flüchten oder sicher reisen? Ich habe nicht den Eindruck, dass die Verbesserung der Lebensbedingungen in Afrika im Fokus steht.

Am Wochenende stellten mehrere Organisationen ihre Rettungsmissionen ein, aus Protest gegen Forderungen der italienischen Behörden. Würden Sie heute noch an einer Mission teilnehmen?

Wenn ich die Möglichkeit bekomme, würde ich es wieder machen, selbst in der jetzigen Situation. Momentan bin ich aber beruflich gebunden. Ich wünsche den Helfern auf dem Mittelmeer alles Gute!

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare