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Jugend in Russland: Weniger Sanktionen und mehr Austausch?

Das Misstrauen gegenüber internationalen Organisationen ist bei der russischen Jugend hoch. Das ergab eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Für bessere Beziehungen zur EU könnten eine Lockerung der Sanktionen und verstärkte Jugendaustauschprogramme führen.
von Jonas Jordan · 4. Juni 2020
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39 Prozent der jungen Menschen in Russland haben keinerlei Interesse an Politik. Das ist das Ergebnis einer Jugendstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Stiftung hat zu diesem Zweck – analog zur Shell-Jugendstudie in Deutschland – junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren befragt. Ähnliche Studien waren bereits für Südosteuropa oder den Marghreb-Raum erschienen. Es gebe eine gewisse Abneigung gegenüber politischen Funktionen, erklärt Peer Teschendorf, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Russland, bei einem Webinar am Donnerstagmittag. Entsprechend gering sei das Vertrauen in Parteien und Gewerkschaften, aber auch in internationale Organisationen wie die Europäische Union.

Negative EU-Haltung wegen Sanktionen

Die negative Bewertung der EU habe viel mit der Sanktionspolitik gegenüber Russland zu tun, glaubt Daniela De Ridder. Die SPD-Bundestagsabgeordnete ist stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses. Im vergangenen Jahr ist sie zweimal nach Russland gereist und berichtet davon, dass viele junge Russ*innen die EU als geschlossenen Block gegenüber Russland erlebten. Es sei daher ratsam, die Sanktionspolitik noch einmal auf den Prüfstand zu stellen, auch im Hinblick auf die Perspektiven junger Menschen. Das sei auch in Gesprächen mit Duma-Abgeordneten häufig ein Thema: „Die Abgeordneten machen uns immer wieder deutlich, dass die Sanktionspolitik ein großes Hemmnis bei den Gesprächen ist.“

Grundsätzlich seien solche Gespräche schwierig zu organisieren, jedoch für sie als Mitglied der OSZE-Parlamentarierversammlung einfacher zu realisieren, erklärt De Ridder. Sie nehme alle Gesprächsangebote an, allerdings sei die Kultur der Abgeordneten sehr unterschiedlich vom üblichen Umgang in Deutschland. „Ich habe selten so laute und emotionale Gespräche geführt wie mit Duma-Abgeordneten“, sagt die SPD-Parlamentarierin.

Andere Definition von Sozialdemokratie

Auf den ersten Blick durchaus bemerkenswert ist das Ergebnis der FES-Jugendstudie, wonach 28 Prozent der jungen Menschen in Russland Anhänger*innen einer sozialdemokratischen Politik sind. In der Debatte wird jedoch deutlich, dass der Begriff der Sozialdemokratie im Kontext russischer Politik durchaus differenziert betrachtet werden muss. So erklärt Ludmila Lutz-Aras, die am Lehrstuhl für Internationale Politik und Entwicklungszusammenarbeit der Universität Rostock arbeitet, dass die Partei „Gerechtes Russland“ als sozialdemokratische Partei gelte. Diese verstehe sich zwar als Opposition, habe aber bei der vergangenen Präsidentschaftswahl auf ein*e eigene*n Kandidat*in verzichtet und stattdessen Putin unterstützt. Zugleich besitze die Partei mit 23 Sitzen in der Duma nur eine marginale Bedeutung.

Ohnehin sei der Begriff „sozialdemokratisch“ in der russichen Öffentlichkeit problematisch, da sich beispielsweise auch der frühere Präsident Boris Jelzin als Sozialdemokrat bezeichnet habe und inzwischen nicht mehr besonders angesehen sei. Ein deutlich größeres Vertrauen bringt die russische Jugend dem amtierenden Präsidenten Wladimir Putin entgegen. Gleichzeitig berichtet Daniela De Ridder von einer Delegationsreise im vergangenen Jahr, bei der sich junge Menschen offenherzig und kritisch geäußert haben: „Ich war sehr angenehm überrascht, dass ich eine scharfe Kritik an Putin erlebt habe.“

Jugendaustausch stärken

Auch Lutz-Aras bestätigt, dass es durchaus Putinkritik an Universitäten oder in der medialen Berichterstattung „in Maßen“ gebe. In Bezug auf den Titel der FES-Jugendstudie „Generation Putin oder Protestjugend?" argumentiert sie: „Ich finde ihn einerseits sehr gelungen, andererseits aber auch verwirrend.“ Denn der Titel suggeriere eine Zustimmung zum Präsidenten, wohingegen der Terminus „Generation Putin“ in Russland grundsätzlich für alle in den 90er-Jahren geborenen Menschen gebräuchlich sei, die schlichtweg bislang keinen anderen politischen Machthaber erlebt haben.

Die in der Studie aufgeworfene Frage sei unabhängig davon auch nicht eindeutig zu beantworten, sagt Teschendorf. Vermutlich sei die aktuelle junge Generation beides. Allerdings fügt er an: „Es ist eine Jugend, die eine große Distanz zur Politik hat. Das ist ein problematischer Trend.“ Um diesem Trend entgegenzutreten und Begegnungen mit der Europäischen Union zu fördern, schlägt Daniela De Ridder vor, den zivilgesellschaftlichen Austausch zu stärken. „Wir können den deutsch-russischen Jugendaustausch nicht hoch genug bewerten“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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