5 Punkte, warum die Zusammenarbeit mit Lateinamerika jetzt wichtig ist
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„Einer der schönsten Momente in den letzten Wochen war, als wir die Wahlergebnisse aus Brasilien gesehen haben und dass unser Genosse Lula gewonnen hat“, sagte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil schon Anfang November auf dem Debattenkonvent seiner Partei in Berlin. Zuvor hatte der SPD-Chef während der parlamentarischen Sommerpause gleich mehrere südamerikanische Länder besucht. Zum Jahreswechsel wohnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier der Amtseinführung seines brasilianischen Kollegen Lula bei und in dieser Woche besuchten Bundeskanzler Olaf Scholz und Entwicklungsministerin Svenja Schulze mehrere südamerikanische Länder.
Ein untrügliches Zeichen, dass die Zusammenarbeit mit dem lateinamerikanischen Subkontinent nicht nur aus Sicht der Sozialdemokratie, sondern für die gesamte deutsche Staats- und Regierungsführung von besonderer Bedeutung ist. Vermutlich sogar so wichtig wie nie zuvor. Und das hat Gründe:
1. Der Ukrainekrieg
Es war ein Dissens hinsichtlich der Beurteilung des Krieges in der Ukraine, der während der gemeinsamen Pressekonferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz und Brasiliens Präsident Lula deutlich wurde. Dieser mag einige europäische Beobachter*innen irritiert haben, ist jedoch bei genauerem Hinsehen kaum verwunderlich. Denn schon während seiner ersten Präsidentschaft von 2003 bis 2010 setzte Lula neben den Partnerschaften mit der EU und den USA auch auf enge Kooperation der sogenannten BRICS-Staaten, der größten Entwicklungs- und Schwellenländer, zu denen neben Brasilien auch Russland, Indien, China und Südafrika zählen.
Aktuell argumentiert Lula, Brasilien sei ein Land des Friedens, wolle sich auf keine Seite schlagen und daher auch keine Munition zur Unterstützung der Ukraine liefern. Dennoch könnte Brasilien auf längere Sicht gemeinsam mit China als Mittler eine entscheidende Rolle im Krieg zwischen Russland und der Ukraine spielen. Auf diesen Punkt ging auch Lula ein und nahm China mit Blick darauf explizit in die Pflicht.
2. Klimawandel
Während der Präsidentschaft von Lulas Vorgänger, dem rechtsextremen Jair Bolsonaro, ist die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes in Brasilien massiv vorangeschritten, mit erheblichen Konsequenzen für den Kampf gegen den Klimawandel. Nun ist Brasilien wieder an Bord, was die gemeinsamen Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel angeht. Das machte schon Lulas Teilnahme an der Klimakonferenz in Ägypten im November nach der gewonnenen Präsidentschaftswahl deutlich. Dort gab er ambitionierte Ziele aus und kündigte an, den Klimagipfel 2025 in Brasilien abhalten zu wollen. Deutschland unterstützt Brasilien bei seinen Klimaschutzbemühungen durch Gelder des Entwicklungsministeriums unter Leitung von Svenja Schulze (SPD) in Höhe von 200 Millionen Euro für neue Projekte in den Bereichen Waldschutz und Aufforstung.
Brasiliens Nachbarland Chile könnte im Kampf gegen den Klimawandel ebenfalls eine große Rolle spielen. Olaf Scholz hat dem neuen chilenischen Präsidenten Gabriel Boric in diesem Kontext sogar den Co-Vorsitz des von ihm geplanten internationalen Klimaclubs angeboten.
3. Transformation
In wenigen Jahrzehnten soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent werden. So lautet der Plan von Olaf Scholz und vieler anderer europäischer Staats- und Regierungschef*innen. Dafür werden jedoch auch wichtige Rohstoffe und Güter aus anderen Regionen der Welt benötigt. Die chilenische Regierung zeigte sich nun durchaus offen für Kooperationen bei der Produktion von grünem Wasserstoff oder im Bereich des Bergbaus. Hier geht es vor allem um den Abbau von Lithium, das beispielsweise für die Herstellung von Batterien für Elektro-Autos benötigt wird. Der Abbau von Lithium soll auch bei der Kooperation mit Argentinien eine Rolle spielen, das große Vorräte dieses Rohstoffes besitzt.
4. Freihandel
Schon seit längerer Zeit wird über ein mögliches Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten – dazu zählen Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay – diskutiert, um die wirtschaftlichen Beziehungen zu verbessern und auszubauen sowie den Handel zu vereinfachen. Nun könnte es mit Blick darauf ganz schnell gehen. Lula sagte zu, das Abkommen noch in der ersten Jahreshälfte abschließen zu wollen. Damit entstünde ein Markt mit mehr als 700 Millionen Menschen, der fast 20 Prozent der Weltwirtschaft und 31 Prozent der weltweiten Warenexporte abdeckt.
5. Verteidigung der Demokratie
Nicht zuletzt spielt Lateinamerika als enger Partner auch eine große Rolle, weil wir derzeit eine neue Welle linker Regierungen auf dem Subkontinent erleben. Neben Lula und Boric auch der argentinische Präsident Alberto Ángel Fernández, der kolumbianische Präsident Gustavo Petro oder Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador. Dennoch tobt auch in Lateinamerika ein Kampf zur Verteidigung der Demokratie und gegen stärker werdende rechtsextreme Tendenzen. Das machten nicht zuletzt der Mordanschlag auf die argentinische Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner und der Sturm auf den Kongress in Brasilia deutlich.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo