Inland

Verbände fordern von neuer Regierung Sofortprogramm für den Klimaschutz

Kurz vor Beginn der Koalitionsverhandlungen für ein Jamaika-Bündnis haben Umwelt- und Entwicklungsverbände einen Katalog mit Sofortmaßnahmen für den Klimaschutz vorgelegt. Die Kernforderung: Ein schneller Ausstieg aus der Kohle.
von Kai Doering · 20. Oktober 2017
Das Kohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburgsoll schon 2028 vom Netz gehen.
Das Kohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburgsoll schon 2028 vom Netz gehen.

Lange galt Deutschland als Musterland beim Klimaschutz, doch mit dem Glanz ist es vorbei. Erst vor wenigen Tagen musste die Bundesregierung eingestehen, dass sie ihre selbstgesteckten Klimaziele wohl deutlich verfehlen wird – und das wenige Wochen vor Beginn der Weltklimakonferenz in Bonn.

Verbände befürchten „klimapolitischen Offenbarungseid“

63 Umwelt- und Entwicklungsverbände fordern deshalb von der künftigen Bundesregierung ein entschlossenes Handeln. Am Freitag haben sie in Berlin ein Klimaschutz-Sofortprogramm für die kommenden zwei Jahre vorgelegt. „Die Weichen für mehr Klimaschutz müssen in der nächsten Legislatur gestellt werden, sonst steigt Deutschland de facto aus dem Pariser Klimavertrag aus“, sagte Kai Niebert, Vorsitzender des Deutschen Naturschutzrings (DNR) bei der Vorstellung des Programms in Berlin.

Geschieht in den kommenden zwei Jahren nichts, werde Deutschland sein Ziel ein Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent bis 2020 um acht Prozentpunkte verfehlen rechnen die Verbände von der Deutschen Umwelthilfe, über „Brot für die Welt“ bis zu Oxfam vor. Dies wäre ein „klimapolitischer Offenbarungseid“.

Die Hälfte der deutschen Kohlekraftwerke soll bis 2020 vom Netz

Dabei seien die Rahmenbedingungen für mehr Klimaschutz in Deutschland eigentlich gar nicht schlecht, sagte DNR-Präsident Niebert. „Er lohnt sich mehr und mehr auch ökonomisch.“ Ein Grund: Die Verstromung von Kohle wird immer teurer. 74 Prozent der Treibhausgasemissionen im Stromsektor werden bei der Verbrennung von Braun- und Steinkohle für die Stromerzeugung freigesetzt. Insgesamt stammen 28 Prozent aller Treibhausgase in Deutschland aus diesem Bereich.

Das Sofortprogramm der Verbände sieht deshalb vor, dass die Hälfte der deutschen Kohlekraftwerke – alle, die vor 1990 ans Netz gegangen sind – in den kommenden zwei Jahren abgeschaltet werden. „Deutschland kann nicht Energiewendeland sein wollen und Kohleland bleiben“, sagte Kai Niebert. Und Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND), ergänzte: „Die Schonfrist für die Kohle ist abgelaufen. Eine Jamaika-Koalition darf nicht ohne die Festlegung eines zeitnahen Kohleausstiegs besiegelt werden, sonst werden auch alle künftigen Klimaziele zur Makulatur.“

Ein „Ablaufdatum“ für den Verbrennungsmotor

Neben der Kohle haben die Verbände auch den Verkehr, die Landwirtschaft sowie den Wärme- und Energiesektor im Blick. So fordern sie von der künftigen Bundesregierung, die Weichen „für eine fundamentale Mobilitätswende“ zu stellen. „Die Mobilität ist das große Sorgenkind des deutschen Klimaschutzes“, sagte Kai Niebert. Der DNR-Präsident ist überzeugt: „In den nächsten Jahren werden wir das Ende des Verbrennungsmotors sehen müssen.“

Im Klimaschutz-Sofortprogramm wird deshalb „ein Ablaufdatum“ für den Verbrennungsmotor gefordert. Auch soll die steuerliche Besserstellung des Dieselkraftstoffs abgeschafft und die Kfz-Steuer an den CO2-Emissionen ausgerichtet werden. In der Landwirtschaft soll die Düngung „auf ein klimaverträgliches Maß“ reduziert und die Massentierhaltung eingeschränkt werden. Auch der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll beschleunigt werden. Das verpflichtende Ziel Deutschlands gegenüber der EU von 18 Prozent Erneuerbarer im Jahr 2020 werde „ohne zusätzliche Maßnahmen“ deutlich verfehlt, befürchten die Verbände.

Weiger: „Müssen zur Dekade des Handelns kommen“

Unterstützung für ihre Forderungen bekommen sie aus der Wissenschaft. „Nur ein sofortiger, schneller Einstieg in den Ausstieg aus der Kohle kann Deutschland noch auf den Klimaschutzpfad führen, dessen Ziel es ist, Gesundheit, Umwelt und Gesellschaft zu schützen und Spielraum für eine sozial und wirtschaftlich verträgliche Gestaltung nach 2020 zu bewahren“, sagt Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

„Nach einer Dekade des Stillstands müssen wir zu einer Dekade des Handelns kommen“, fordert BUND-Chef Hubert Weiger. „Die Zeit für Schönwetter-Reden ist vorbei.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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