Inland

Überfüllte Notaufnahmen: Diese Verbesserungen soll die Reform bringen

22. December 2025 15:08:00

Die Bundesregierung bereitet eine Reform der Notfallversorgung vor. Tanja Machalet, SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit, warnt davor, die ursprünglichen Ziele aufzuweichen und fordert mehr Tempo seitens des Bundesgesundheitsministeriums.

Notaufnahme an einem Klinikum in Berlin

Notaufnahme der Evangelischen Elisabeth Klinik in Berlin.

Stundenlanges Warten auf eine Behandlung und Beschäftigte am Limit: Wen es, zumal am Wochenende, in die Notaufnahme eines Krankenhauses verschlägt, der erhält einen intensiven Eindruck von der Überlastung des Gesundheitssystems. Die Reform der Notfallversorgung soll die Lage entschärfen. Tanja Machalet (SPD), die Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag, setzt große Hoffnungen in das auf den früheren Gesundheitsminister Karl Lauterbach zurückgehende Vorhaben, sieht aber auch Verbesserungsbedarf. 

Laut Statistischem Bundesamt hat die Menge an Behandlungen in Notaufnahmen im vergangenen Jahr einen Rekordwert erreicht. Die Zahl der Besuche kletterte um fünf Prozent auf 13 Millionen. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass die von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) geplante Reform der Notfallversorgung dazu beitragen kann, den Ansturm besser zu bewältigen?

Bislang gibt es keinen vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf, über den wir im Parlament beraten könnten, sondern lediglich einen Referentenentwurf. Dieser folgt im Wesentlichen dem Gesetzentwurf von Warkens Amtsvorgänger Karl Lauterbach. Im weiteren Verfahren müssen wir uns die Steuerungsfunktion für die Notfallzentren genauer anschauen. In die Notaufnahme sollten nur die Menschen gehen müssen, die dort hingehören. Es geht darum, über eine - gegebenenfalls auch digitale - Ersteinschätzung zu entscheiden, ob Hilfesuchende in die Notaufnahme oder auf eine Krankenhausstation kommen oder an eine Hausarztpraxis verwiesen werden. Ursprünglich war hierfür eine einheitliche Rufnummer vorgesehen. In dem Referentenentwurf wird dieser Punkt wieder aufgeweicht.

Viele Notaufnahmen sind überfüllt, weil gerade an Wochenenden, wenn die meisten Arztpraxen geschlossen sind, Menschen mit Bagatellfällen dort hinkommen. Kann die geplante Reform dem einen Riegel vorschieben?

Es ist wichtig die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung zu stärken. Gerade Eltern kleiner Kinder sind verständlicherweise schnell verunsichert, wenn der Nachwuchs hohes Fieber hat, auch wenn es keinen Grund zur Sorge gibt. Das wissen die Eltern aber oft nicht. Auch dafür ist eine digitale oder telefonische Ersteinschätzung sinnvoll. 

Gleichzeitig müssen wir auch die Erste-Hilfe-Kompetenz in der Gesellschaft verbessern. Und wenn wir über die Notfallversorgung sprechen, müssen wir auch die ehrenamtlichen Strukturen in der Notfallversorgung, wie etwa die Responder-Gruppen oder auch digitale Möglichkeiten einbeziehen.

„Länder wie Dänemark zeigen, dass sich ein zentralisiertes Notfallsystem mit einer digitalen Ersteinschätzung bewährt“

Kann eine bundesweit einheitliche Rufnummer für sämtliche Notfallzentren wirklich funktionieren? Kritiker*innen warnen vor endlosen Warteschleifen und überlasteten Servern.

Natürlich muss sichergestellt sein, dass die Technik funktioniert. Es gibt mehrere Systeme, die nicht ohne Weiteres miteinander funktionieren. Dadurch hakt es auch an Kreis- oder Landesgrenzen. Andere Länder wie Dänemark zeigen hingegen, dass sich ein zentralisiertes Notfallsystem mit einer digitalen Ersteinschätzung bewährt. 

Auch der chronische Personalmangel trägt zur Überfüllung der Notfallzentren bei. Wo sollte man bei diesem Problem ansetzen?

Wenn durch eine bessere Steuerung weniger Leute in die Notaufnahme kommen, ist der Personalmangel dort weniger spürbar. Ziel der Reform ist es, die Personalressourcen effektiver zu nutzen. Auch diesen Punkt hat der Referentenentwurf im Blick.

Laut dem Referentenentwurf sollen die Integrierten Notfallzentren weiterhin erhalten bleiben und zum Teil ausgebaut, an einigen Stellen aber auch neu geschaffen werden. Wie müssen wir uns die künftigen Strukturen vorstellen?

An diesem Punkt ist der Entwurf etwas schwammig. Klar ist: Neben der digitalen und telefonischen Ersteinschätzung brauchen wir die Anlaufstelle vor Ort, wo Menschen ihre Beschwerden schildern können und wo entschieden wird, wie mit ihnen weiter zu verfahren ist. So ist es auch in der Reform vorgesehen. Die Not- und Erstversorgung wohnortnah sicherzustellen, ist zudem eines der Ziele der Krankenhausreform.

Die Gesprächspartnerin

Tanja Machalet gehört seit dem Jahr 2021 dem Deutschen Bundestag an. Im Mai 2025 übernahm die aus Rheinland-Pfalz stammende SPD-Politikerin den Ausschuss für Gesundheit.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Tanja Machalet

Welche Punkte vermissen Sie in dem Referentenentwurf? 

Beim Thema Notfallversorgung sollte man aus meiner Sicht auch die Apotheken mitdenken und in die Ersteinschätzung einbinden. Wenn jemand weiß, dass eine Notaufnahme überfüllt ist, ist es sinnvoll, zunächst in einer Apotheke nach Hilfe und Rat zu fragen. Auch eine Apothekerin oder ein Apotheker kann gewisse Symptome und den Behandlungsbedarf einschätzen.

Ein Gesetzentwurf der Grünen, der ebenfalls auf Karl Lauterbachs Plänen fußt, geht davon aus, dass sich durch eine umfassende Reform der Notfallversorgung bis zu fünf Milliarden Euro pro Jahr einsparen ließen. Sind Sie ebenso optimistisch?

Mit den vom Ministerium geplanten Änderungen ist es fraglich, ob sich dieses Einsparziel erreichen lässt. Noch ist offen, ob sich die zentralisierte Steuerungsfunktion so gut wie ursprünglich angedacht händeln lassen wird. Was wir zwingend vermeiden wollen, sind neue Doppelstrukturen. Wenn der Gesetzentwurf endlich da ist, werden wir uns diesen Punkt sehr genau anschauen.

Tanja Machalet erwartet Beratung über Gesetzentwurf im Februar

Wie ist der weitere Zeitplan für die Reform der Notfallversorgung?

Ich gehe davon aus, dass das Kabinett im Februar über einen Gesetzentwurf beraten wird. Frühestens im Mai wird sich der Bundestag mit dem Vorhaben befassen. Die SPD-Fraktion hat beim Bundesgesundheitsministerium immer wieder angemahnt, sich dieser Sache anzunehmen. Die Verzögerung ist auch damit zu erklären, dass es bei den Ländern unterschiedliche Auffassungen über die Finanzierung des Rettungsdienstes gibt.

Apropos Rettungsdienst: Die Björn-Steiger-Stiftung hat im Frühjahr massive Missstände moniert und Verfassungsklage eingereicht. Die Notfallrettung in Deutschland befinde sich auf dem Niveau eines Entwicklungslandes, so die Kritik. Was sagen Sie dazu? 

Das klingt sehr drastisch und pauschal. Die Lage der Rettungsdienste ist von Ort zu Ort und von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden. Natürlich lässt sich über die Personalsituation sprechen. Für die Mitarbeitenden ist es oft schwierig, die Zeitvorgaben einzuhalten. Das zeigt, dass wir die Strukturen schon im Vorfeld, also bevor der Rettungswagen da ist, stärken müssen. Also die Versorgung vor der Versorgung verbessern. Dazu gehören eine bessere Erste-Hilfe-Kompetenz in der Bevölkerung und eine stärkere Gesundheitskompetenz. Ersteres ließe sich möglicherweise über verbindliche und regelmäßige Erste-Hilfe-Kurse erreichen. Mal ehrlich, wann war Ihr letzter Erste-Hilfe-Kurs? 

Tanja Machalet: „Strukturen müssen widerstandsfähiger und krisenfester werden“

Jedes Bundesland hat ein eigenes Rettungsdienstgesetz. Wäre auch hier mehr Vereinheitlichung und Zentralisierung sinnvoll? 

Diese Diskussion läuft gerade. Es steht die Frage im Raum, inwiefern der Bund den Ländern Vorgaben machen darf. Ich bin für etwas mehr Zentralisierung, gerade auch mit Blick auf den Katastrophenschutz und Bedrohungen von außen. Regionale oder Struktur-Besonderheiten müssen aber auch weiterhin eine Rolle spielen. In vielen Bereichen müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir unsere Strukturen widerstandsfähiger und krisenfester machen können. 

Und wenn Sie sich zum Schluss noch etwas wünschen könnten, was wäre es? 

Mir ist noch wichtig, dass wir auch Menschen im Blick haben, die keinen Versicherungsschutz haben. Hier geht es nicht nur um Menschen, die ohne Obdach und festen Lebensmittelpunkt sind. Es betrifft viel mehr Menschen, als man denken würde und kann zu sehr großen Versorgungsproblemen führen. 

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Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mo., 22.12.2025 - 16:14

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nach Notdienstleistungen ein besseres Angebot gegenüberstellen, also den Sozialstaat ausbauen. Geld ist genug da, wir sind ein reiches Land, und die Reichen müssen endlich mal zur Kasse gebeten werden

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