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SPD-Abgeordnete warnt: Religiöse Extremisten gewinnen an Einfluss

Christliche und muslimische Fundamentalisten bedrohen die weltanschauliche Neutralität des deutschen Staates. Das sagt Kathrin Michel, die erste Sprecherin für Säkularität der SPD-Bundestagsfraktion. Die SPD solle stärker auf die konfessionsfreie Mehrheit schauen, fordert sie.

von Lars Haferkamp · 18. September 2025
Umstritten: ein Kreuz im Gerichtssaal. Sollen in Räumen der unabhängigen Justiz religiöse Symbole präsentiert werden oder ist das mit der weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht vereinbar? Darüber wird seit Jahren gestritten. 

Umstritten: ein Kreuz im Gerichtssaal. Sollen in Räumen der unabhängigen Justiz religiöse Symbole präsentiert werden oder ist das mit der weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht vereinbar? Darüber wird seit Jahren gestritten.
 

Rechte und christliche Fundamentalisten haben mit einer massiven Verleumdungskampagne die Wahl der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf in das Bundesverfassungsgericht verhindert. Ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik. Wie bewerten Sie das?

Sehr kritisch. Es zeigt, dass rechtskonservative Populisten und religiöse Fundamentalisten, oft Hand in Hand, immer unverhohlener Einfluss auf demokratische Politik nehmen. Das hat in diesem konkreten Fall dem Bundesverfassungsgericht geschadet, es hat auch dem Bundestag und seinem Ansehen geschadet und damit unserer Demokratie. So etwas darf sich nicht wiederholen. Diese Erkenntnis sollte alle Demokrat*innen einen. 

Öffentliche Unterstützung bekam die Verleumdungskampagne durch den Erzbischof von Bamberg Herwig Gössl, der die Nominierung der Kandidatin durch die SPD als „Skandal“. verunglimpft hat. Kann die SPD sich das gefallen lassen?

Nein, das kann sie nicht. Denn diese Attacke greift die säkulare Grundordnung unserer Demokratie an. Sie ist ein Rückfall in überwunden geglaubtes autoritäres und patriarchales Denken. Die Kandidatin wurde mit einer unzutreffenden religiösen Diffamierung überzogen. Das ist inakzeptabel. Es zeigt: Wir müssen nicht nur über Säkularität reden, wir müssen sie auch verteidigen.

Was bedeutet Säkularität konkret?

Sie bedeutet weltanschauliche Neutralität des Staates. Er bevorzugt keine Weltanschauung und er benachteiligt keine. Er behandelt alle gleich.

Kathrin
Michel

Unter der Regierung Merkel wurde in Sachen Säkularität viel ausgebremst und verschleppt.

Teile der Unionsfraktion haben sich der Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf wegen ihrer angeblich zu liberalen Haltung zur Abtreibung angeschlossen. Sind in der Koalition mit Christdemokraten und Christsozialen überhaupt Fortschritte zu erwarten hinsichtlich der Säkularität in Deutschland?

Das ist eine gute Frage. Unter der Regierung Merkel wurde in Sachen Säkularität viel ausgebremst und verschleppt. Aktuell macht mir Hoffnung, wie dialogbereit sich der neue religionspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Altenkamp, auf dem Parlamentarischen Abend des Zentralrats der Konfessionsfreien gezeigt hat. Darauf kann man aufbauen.

Nimmt der Einfluss religiöser Fundamentalisten in Deutschland zu?

Ja. Zum einen nutzen Kirchenvertreter ihre Privilegien zur Einflussnahme auf die Politik aus. Zum anderen erleben wir, dass sich hinter Gruppen, die sich als Vertreter der Muslime in Deutschland darstellen, tatsächlich Unterstützer von Herrn Erdogan und des politischen Islams verbergen. Da müssen wir gut aufpassen.

Die Debatten um Religiosität und Säkularität nehmen in den letzten Jahren an Schärfe zu. Etwa in der Frage, ob das Tragen eines Kopftuches von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes mit der Neutralität des Staates vereinbar ist. Wie sehen Sie das?

Hier stoßen zwei Prinzipien des Grundgesetzes aufeinander: Das individuelle Recht, seine Religion frei zu wählen und auch sichtbar zu zeigen. Und das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates und damit des öffentlichen Dienstes. Das ist ein Abwägungsprozess, der immer wieder neu verhandelt werden muss. Klar ist: Jede Art von Kopftuchzwang verstößt gegen das Grundgesetz.

Kathrin
Michel

Das Grundgesetz fordert vom Staat weltanschauliche Neutralität. Deshalb haben religiöse Symbole – egal welche – in unseren Gerichtssälen nichts verloren.

Ebenso umstritten ist, dass in deutschen Gerichtssälen das Kreuz als Symbol des christlichen Glaubens hängt. Sollten Staat und Justiz hier nicht neutral sein?

Unbedingt. Das Grundgesetz fordert vom Staat weltanschauliche Neutralität. Das sollte auch sichtbar sein. Deshalb haben religiöse Symbole – egal welche – in unseren Gerichtssälen nichts verloren. 

Seit Jahren gibt es die Forderung, den Einzug der Kirchensteuer nicht mehr vom Staat ausführen zu lassen, sondern dies den Kirchen selbst zu überlassen, auch um andere Konfessionen nicht zu benachteiligen. Wie soll es hier künftig weitergehen?

Die Kirchensteuer ist ein Relikt aus vordemokratischer Zeit. Alle Religionsgemeinschaften sollten den Einzug von Abgaben ihrer Mitglieder selbst verantworten. Sonst stehen wir bald vor der Frage, analog zur Kirchensteuer auch eine Synagogen- oder Moscheesteuer einzuziehen. Und das will ich nicht.

Seit der Auflösung geistlicher Fürstentümer in Deutschland im Jahr 1803 zahlt der Staat als Kompensation Leistungen an die Kirchen, zur Zeit sind es jährlich rund 500 Millionen Euro. Wie lang soll diese Praxis fortgesetzt werden?

Wir müssen diese Praxis beenden. So fordert es ja auch das Grundgesetz. Die Politik hat viel zu lange einen Bogen um dieses Thema gemacht. 

Hat die SPD-Fraktion dazu eine klare Position?

Nein, leider noch nicht. Die herbeizuführen betrachte ich als eine wichtige Aufgabe als erste Sprecherin der Fraktion für Säkularität und Humanismus. Es hat so viele Jahre gebraucht, bis die Fraktion diese Position überhaupt geschaffen hat. Das zeigt, was für ein großes Stück Arbeit hier vor mir liegt, den säkularen Kompass in der Fraktion zu stärken.

Die Gesprächs-
partnerin

Kathrin Michel ist die erste Sprecherin für Säkularität und Humanismus der SPD-Bundestagsfraktion.

Kathrin Michel ist Sprecherin für Säkularität und Humanismus der SPD-Bundestagsfraktion.

Die SPD-Fraktion hat einen Beauftragten für Kirchen und Religionsgemeinschaften, Sie sind aber nur Sprecherin. Sind der Fraktion Religiöse wichtiger als Säkulare?

Die Sprecherin hat weniger Rechte als der Beauftragte, das ist richtig. Und um genau dieses Zeichen nicht zu geben, dass der Fraktion Religiöse wichtiger sind als Konfessionsfreie, setze ich mich für Gleichberechtigung und Gleichstellung in weltanschaulichen Fragen ein. Ich sehe mich hier als Brückenbauerin.

47 Prozent der Deutschen sind aktuell konfessionslos. Nur 45 Prozent gehören den christlichen Kirchen an. Und nur fünf Prozent gelten als praktizierende Gläubige. Berücksichtigt die SPD diese Fakten ausreichend?

Sie sollte diese Realität manchmal stärker zur Kenntnis nehmen und in ihre Politik einfließen lassen. Die Wahl in mein Fraktionsamt sehe ich als ersten wichtigen Schritt der Bundestagsfraktion in diese Richtung. 

Wäre es nicht gerade in einer Zeit, in der weltweit religiöses Extremismus und religiöse Konflikte zunehmen, wichtig – auch für die SPD –, Säkularität zu stärken?

Absolut. Das möchte ich antreiben und unterstützen. Säkularität ist kein Nischenthema. Sie ist eine ganze wichtige Säule der Demokratie. Nur ein säkularer Staat kann sicherstellen, dass niemand zu einem Glauben gezwungen wird oder wegen seiner Weltanschauung benachteiligt wird, wie wir es leider in immer mehr Staaten erleben müssen. Säkularität stärkt auch den sozialen Frieden, denn sie verhindert jede Form von Privilegien oder von Diskriminierung in weltanschaulichen Fragen. Ich wünsche mir, dass das in der SPD noch stärker erkannt wird.

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1 Kommentar

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Fr., 19.09.2025 - 13:59

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USA- sehr gefährlich. Nicht nachvollziehen kann ich, wie sie den wenigen , noch dazu regelmäßig psychisch kranken, weil von uns unbehandelt gelassen, Islamisten gleichgesetzt werden können. Darüber sollte noch mal nachgedacht werden