Inland

Kirchliches Arbeitsrecht: Wen dürfen Kirchen ablehnen und wen nicht?

Die Diakonie Deutschland e.V. wollte eine Sozialpädagogin nicht einstellen, weil sie nicht Mitglied der Kirche war. Ihre Klage führte nun zu einem Urteil beim Bundesverfassungsgericht. 

 

von Christian Rath · 23. Oktober 2025
Haus mit der Aufschrift Diakonie

Die Diakonie ist der Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirchen. Er beschäftigt rund 600.000 Menschen.

Mit rund 1,8 Millionen Beschäftigten sind die evangelische und katholische Kirche mit ihren Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas nach dem öffentlichen Dienst die größten Arbeitgeber in Deutschland. Für sie gilt ein kirchlicher Sonderstatus im Arbeitsrecht. Der beginnt schon mit der Bewerbung.

So auch im Fall der konfessionslosen Sozialpädagogin Vera Egenberger. Sie hatte sich 2012 um eine Projektstelle bei der Diakonie beworben. Es ging um die Erstellung eines Antirassismus-Berichts. Egenberger war zwar fachlich gut qualifiziert, wurde aber nicht einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Pädagogin fühlte sich deshalb als Konfessionslose diskriminiert und verlangte 10.000 Euro Schadensersatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). 

Seit 13 Jahren wird nun darüber gestritten, ob die zur Evangelischen Kirche gehörende Diakonie für diese Stelle eine Kirchenmitgliedschaft voraussetzen durfte oder nicht. Dahinter stand die grundsätzliche Frage, wie weit das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen geht. 

Kirchenmitgliedschaft zwingend?

In Deutschland war lange Zeit das Selbstverständnis der Kirchen maßgeblich dafür, welche Anforderungen sie an ihre Beschäftigten stellen dürfen. Müssen die Mitarbeiter Kirchenmitglieder sein? Dürfen sie sich scheiden lassen? Führt ein Kirchenaustritt zur Entlassung? Eine gerichtliche Überprüfung war grundsätzlich nicht vorgesehen. Das gab auch die sehr kirchenfreundliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor.

Für einen anderen Wind sorgte jedoch 2018 der Europäische Gerichtshof (EuGH). In Anwendung des EU-Antidiskriminierungsrechts entschied der EuGH, dass staatliche Gerichte im Konfliktfall prüfen müssen, ob die Kirchenmitgliedschaft für eine konkrete Arbeit bei einem kirchlichen Träger „objektiv geboten“ ist. 

Einige Monate später urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass Vera Egenberger Anspruch auf Entschädigung hat. Für das Abfassen eines Antirassimus-Berichts sei keine Kirchenmitgliedschaft erforderlich. 

EU-Recht hat Vorrang

Dagegen erhob die Diakonie Verfassungsbeschwerde. Seitdem lag der Fall in Karlsruhe. Zunächst war der streitlustige Richter Peter Müller zuständig (ehemaliger CDU-Ministerpräsident des Saarlands), der sich mit dem EuGH anlegen wollte. Damit konnte er sich im Gericht jedoch nicht durchsetzen. Inzwischen ist Müller ausgeschieden und die eher ausgleichende Richterin Christine Langenfeld (auch von der CDU nominiert), hat den Fall übernommen - und entschärft.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kam nun zum Schluss, dass der EuGH seine Kompetenzen nicht verletzt hat, dass EU-Recht Vorrang hat und dass sich die Luxemburger Vorgaben zum kirchlichen Arbeitsrecht hervorragend in die Karlsruher Rechtsprechung einbauen lassen. 

Zwei-Stufen-Test zum Selbstbestimmungsrecht

Danach gilt der bereits 2014 vom BVerfG eingeführte Zwei-Stufen-Test künftig in folgender Form: Zunächst muss die Kirche plausibel darlegen, warum für eine Stelle besondere kirchliche Anforderungen verlangt werden. Ob dieser „Zusammenhang“ wirklich besteht, sollen staatliche Arbeitsgerichte wirksam prüfen können. In der zweiten Stufe sollen die Gerichte dann eine „Gesamtabwägung“ zwischen den Rechten der Kirche und den Rechten der Beschäftigten vornehmen. 

In dieser Abwägung soll das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen „besonderes Gewicht“ haben. Die Richter verweisen aber - anders als früher - auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Je größer die Bedeutung der Stelle für die religiöse Identität der Religionsgemeinschaft ist, desto eher kann von Beschäftigten eine Kirchenmitgliedschaft gefordert werden. Und umgekehrt: Je weniger Relevanz die jeweilige Position für die „Verwirklichung des religiösen Ethos“ hat, desto eher müssen die Gerichte dem Diskriminierungsschutz den Vorzug geben. Auch dieser Schutz habe „hohe verfassungsrechtliche Bedeutung“, so Karlsruhe.

Sonderarbeitsrecht bei mangelndem Personal

Das Verfassungsgericht hob nun das Urteil des BAG auf, das Egenberger Entschädigung zugesprochen hatte. Das BAG habe das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht genügend beachtet. So könne es in einem Antirassismus-Bericht auch um die Einstellungspraxis der Kirchen selbst gehen und dann sei verständlich, dass die Diakonie eine kirchennahe Autor*in suche. Das BAG muss nun neu entscheiden und wird dann wohl eine Entschädigung ablehnen. 

Der Streit um das kirchliche Sonderarbeitsrecht wurde in den letzten Jahren auch dadurch entschärft, dass die Kirchen für immer weniger Tätigkeiten eine Kirchenmitgliedschaft verlangen - auch weil sie sonst gar nicht genügend Personal für ihre Krankenhäuser und Kitas finden würden.

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