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Juristin zu AfD-Verfahren: „Parteiverbot ist ein zweifelhaftes Mittel“

Über ein AfD-Verbot wird schon lange diskutiert. Auf ihrem Parteitag hat die SPD einstimmig beschlossen, einen Antrag für ein entsprechendes Verfahren vorzubereiten. Juristin Sophie Schönberger erklärt, warum sie das für keine gute Idee hält.

von Lea Hensen · 16. Juli 2025
Demonstranten fordern am SPD-Bundesparteitag ein AfD-Verbot.

Demonstranten fordern am SPD-Bundesparteitag ein AfD-Verbot.

Die SPD hat beschlossen, einen Antrag für ein AfD-Verbotsverfahren am Bundesverfassungsgericht vorzubereiten. Wie schätzen Sie als Juristin die Erfolgsaussichten ein?

Ich kann nicht einschätzen, ob das Verfahren erfolgreich wäre. Anhand dessen, was das Gutachten des Verfassungsschutzes aufführt, der die AfD als rechtsextrem einstuft, habe ich juristisch große Zweifel, ob es für ein Verbot ausreicht. Ähnlich hat sich der ehemalige Verfassungsrichter Peter Müller geäußert, der 2017 federführend war, als das NPD-Verbot scheiterte. Man sollte die Anforderungen nicht unterschätzen, es geht um sehr komplexe juristische Fragen.

Warum reichen die Argumente nicht aus, die der Verfassungsschutz in seinem Gutachten darlegt?

Das Gutachten geht auf eine andere Frage ein. Der Verfassungsschutz prüft nicht die Erfolgsaussichten für ein Verbotsverfahren, sondern prüft nach eigenen Maßstäben, ob eine Partei gesichert rechtsextrem ist. Da geht es um einen anderen rechtlichen Maßstab.

Das NPD-Verbot scheiterte, weil die Richter die Partei nicht für ausreichend einflussreich hielten. An welcher Stelle haben sie bei der AfD Zweifel?

Die objektive Gefährlichkeit ist bei der AfD aufgrund ihres hohen Zuspruches nicht das Problem. Eine Partei muss darauf ausgerichtet sein, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu gefährden und dieses Ziel in „kämpferisch-aggressiver Weise“ verfolgen. Der Verfassungsschutz attestiert der AfD eine „die Menschenwürde missachtende, extremistische Prägung“. Für ein Parteiverbot wäre aber auch von Bedeutung, dass die Partei die parlamentarische Demokratie nicht anerkennt. Ich bin mir nicht sicher, ob man das flächendeckend nachweisen kann. Man sollte nicht unterschätzen, dass der zulässige Meinungskorridor vor dem Bundesverfassungsgericht sehr breit ist.

Sophie
Schönberger

Wir sollten uns aber auch fragen, welchen Effekt das hat, wenn wir jahrelang über ein Verbotsverfahren reden, aber es nie dazu kommt.

Erfahrungen durch vergleichbare Parteiverbote fehlen

Befürworter*innen eines Verbotsverfahren sagen, wenn das Grundgesetz die Möglichkeit bietet, und der Verfassungsschutz diese Partei als gesichert rechtsextrem einstuft – wieso sollte man es nicht versuchen? 

Ich kann das Bedürfnis sehr gut verstehen, aber gehen wir mal vom Bestfall aus: Das Verbotsverfahren ist erfolgreich. Die Partei wird aufgelöst, die Strukturen zerschlagen. Und dann? Wir können die Auswirkungen eines Verbots nicht absehen. Die bislang einzigen Parteiverbote in Deutschland – 1952 von der Sozialistischen Reichspartei (SRP) und 1956 von der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) – kamen unter völlig anderen Bedingungen zustande. Beide Parteien waren damals viel kleiner als die AfD heute. International war die Wohlfahrtspartei, 1998 von der Türkei verboten, in Größe und Potenzial mit der AfD vergleichbar. Das Verbot hatte auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Bestand. Allerdings sollte es zu denken geben, dass der damalige Vize-Vorsitzende der Partei, nämlich Recep Tayyip Erdoğan, heute türkischer Präsident ist.

Was befürchten Sie für den Fall, dass das Verbot scheitert?

Die Vermutung liegt nahe, dass ein gescheitertes Verbot die AfD in ihrer Opferrolle stärkt. Sie würde es wahrscheinlich als Blanko-Scheck dafür lesen und verbreiten, verfassungskonform zu sein – obwohl ein gescheitertes Verfahren ja auch nur bedeuten könnte, dass die Nachweise nicht ausreichten. Wir sollten uns aber auch fragen, welchen Effekt das hat, wenn wir jahrelang über ein Verbotsverfahren reden, aber es nie dazu kommt. Ich finde es auch problematisch, dass der Verfassungsschutz in den Fragen der Einstufung so stark nach außen kommuniziert.

Über Gründe des hohen Zuspruchs zur AfD sprechen

Auch ohne Verbot wird die AfD immer stärker. Sehen Sie Gefahren für den Fall, dass das Verbot gelingt? 

Die AfD könnte sich an das EGMR in Straßburg wenden. Was dann geschieht, ist schwer einzuschätzen. Das Gericht hat bereits mehrere Parteiverbote in der Türkei gekippt. Wie sich die AfD tatsächlich verhält, wenn sie verboten wird, kann aber niemand vorhersagen. Bei einem Parteiverbot sind Ersatzorganisationen jedenfalls auch verboten, aber man müsste definieren, was ist eine Ersatzorganisation und was nicht. Die Anhänger*innen und Wähler*innen der AfD haben sich in sehr starkem Maße von unserem demokratischen Grundkonsens entfernt. Ihre Grundüberzeugung, so jedenfalls meine Prognose, ändert sich nicht durch ein Verbot. Ich fürchte, dass sie sich noch stärker vom System abwenden.

Was wäre also Ihr Lösungsansatz?

Auch ich habe leider kein Patentrezept. Das Instrument des Parteiverbots ist jedenfalls ein zweifelhaftes Mittel, gerade, wenn eine Partei so groß ist wie die AfD. Statt viele Debatten über ein mögliches Verbot zu führen, sollten wir darüber sprechen, warum sich so viele Menschen von der Demokratie abwenden. Soziologische Studien zeigen, dass das ein sehr emotionaler Prozess ist, gegen den man schwer mit rationalen Mitteln ankommt. Und Deutschland ist mit dieser Entwicklung nicht alleine.

Positive Erfahrung der Demokratie hat sich abgenutzt

Was ist Ihre These: Warum wenden sich so viele Menschen von der Demokratie ab?

Das sind unterschiedliche Faktoren. Sicherlich hat es mit einer großen Unsicherheit zu tun, die in den vergangenen Jahren durch die Corona-Krise, eine schwächelnde Wirtschaft und eine schwierige weltpolitische Lage entstanden ist. Die Geschichte zeigt uns: Demokratie geht nicht immer nur bergauf, sondern funktioniert in Wellen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die nichtdemokratische Erfahrung noch präsenter, das Positive der Demokratie war für die Menschen erlebbar. Das hat sich inzwischen abgenutzt, global gesehen befindet sich die Demokratie auf einem Abwärts-Trend. Aber auch anthropologisch gesehen ist Demokratie eine wackelige Angelegenheit. Es sind urmenschliche Instinkte, anderen die Verantwortung zuzuschieben und es nicht auszuhalten, wenn alle eine gleichwertige Stimme haben. 

Wie sollten sich andere Parteien zur AfD verhalten?

Es sprechen viele gute Argumente dafür, jede parlamentarische Zusammenarbeit mit der AfD abzulehnen. Aber man muss auch sehen, dass es in der politischen Realität dann zu Blockaden kommen kann. Was meines Erachtens nicht funktioniert, ist der Versuch, der AfD die Themen wegzunehmen. Konservative Parteien haben diese Strategie immer wieder angewendet, dabei zeigt die Forschung klar: Wer die negativen Gefühle bedient, mit denen die AfD spielt, stärkt den rechten Rand und schwächt ihn nicht.

Zur Person

Sophie Schönberger ist Inhaberin des Lehrstuhls Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht an der Universität Düsseldorf und Co-Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung.

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Autor*in
Lea Hensen
Lea Hensen

ist Redakteurin des „vorwärts“.

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