Gewalt gegen Frauen: Das plant Justizministerin Stefanie Hubig
Das Bundeskabinett hat zuletzt die elektronische Fußfessel für Gewalttäter auf den Weg gebracht. Angesichts jährlich steigender Gewaltfälle gegen Frauen sieht die Bundesjustizministerin weitere Lücken beim Gewaltschutz. Wie will sie diese angehen?
Ute Grabowsky/photothek.net
Eine elektronische Fußfessel soll Frauen zukünftig stärker vor Gewalttätern schützen. Aber reicht das?
In Deutschland wird fast jeden Tag eine Frau getötet, und Gewalt gegen Frauen nimmt weiter zu. Das Bundeskriminalamt (BKA) registriert jährlich mehr als 250.000 Gewaltfälle. Mit einem neuen Gesetzesentwurf will die Bundesregierung den Gewaltschutz stärken. Familiengerichte sollen künftig in Hochrisikofällen eine elektronische Fußfessel anordnen können, die Betroffene bei Annäherung des Gewalttäters warnen soll. Doch Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hat noch weitere Vorhaben auf ihrer To-Do-Liste, um Frauen stärker vor Gewalt zu schützen.
Viele von Gewalt Betroffene gehen nicht zur Polizei. Durch welche konkreten Maßnahmen könnten Bundesregierung und Länder Gewaltopfer darin bestärken, Hilfe zu suchen?
Wir werden den Kampf gegen häusliche Gewalt nur gewinnen, wenn wir die Täter konsequent zur Verantwortung ziehen – und das muss uns gemeinsam mit denen gelingen, die von der Gewalt betroffen sind. Betroffene häuslicher Gewalt sollen wissen: Der Staat steht an ihrer Seite – wir lassen sie nicht allein. Gewalt geht uns alle an. Klar ist: Wir brauchen eine Vielzahl von Maßnahmen, um gewaltbetroffene Personen besser zu unterstützen.
Für viele, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, ist ein Gerichtsprozess ein großer Kraftakt. Der Staat muss sicherstellen, dass Opfer häuslicher Gewalt im Strafverfahren umfassende, verlässliche Unterstützung erhalten. Ich denke da an professionelle psychosoziale Prozessbegleitung. Die kann einen entscheidenden Unterschied machen, weil sie Ängste mindert und Betroffene während des gesamten Verfahrens stärkt. Deswegen will ich, dass Betroffene in gravierenden Fällen von häuslicher Gewalt künftig einen Anspruch auf kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung haben.
Außerdem will ich das familiengerichtliche Verfahren anpassen. So will ich den Schutz gewaltbetroffener Personen weiter verbessern und dafür sorgen, dass Gerichte für die Berücksichtigung häuslicher Gewalt im Verfahren sensibilisiert sind.
Familiengerichte sollen eigentlich von sich aus prüfen, ob Hinweise auf Gewalt vorliegen, auch wenn Gewaltvorwürfe nicht explizit vorgebracht werden. Oft geschieht das nicht. Gibt es Pläne, um Richter*innen stärker dazu zu befähigen?
Im Zentrum familiengerichtlicher Entscheidungen steht immer das Kindeswohl. Und Kinder leiden bei Gewalt gegen das andere Elternteil mit. Familiengerichte müssen im Einzelfall die richtige Entscheidung treffen. Wir müssen aus meiner Sicht im Gesetz noch einmal verstärkt klar machen, dass Familiengerichte in Kindschaftssachen bei Anzeichen häuslicher Gewalt ermitteln und berücksichtigen müssen, inwieweit das Kind und der andere Elternteil von Gewalt betroffen sind und wie sie geschützt werden können.
Es ist außerdem wichtig, dass wir klarstellen: Familiengerichte sollen bei Anzeichen von Gewalt zwischen Eltern davon absehen, auf ein Einvernehmen zwischen den Eltern hinzuwirken. Das entlastet den gewaltbetroffenen Elternteil.
Mein Haus erarbeitet den Gesetzentwurf dazu mit Hochdruck. Er soll in den nächsten Monaten ins Verfahren gehen. Und das ist auch gut so. Wir müssen den Schutz gewaltbetroffener Personen weiter verbessern und dafür sorgen, dass Gerichte für die Berücksichtigung häuslicher Gewalt im Verfahren noch stärker sensibilisiert sind.
Familiengerichten wird immer wieder vorgeworfen, Gewaltvorwürfe bei Sorgerechtsstreitigkeiten nicht ausreichend zu beachten – teilweise werde zugunsten des Vaters entschieden, obwohl die Mutter Gewaltvorwürfe erhebt. Wo sehen Sie die größten Schnittstellenprobleme und wer ist dafür verantwortlich, diese zu beheben?
Wenn ein Vater die Mutter schlägt, muss das bei einer gerichtlichen Entscheidung über das Sorge- und Umgangsrecht mit Kindern zwingend berücksichtigt werden. Die Kinder leiden ja mit. Ganz überwiegend berücksichtigen Familiengerichte häusliche Gewalt schon heute, wenn sie über das Sorge- und Umgangsrecht entscheiden. Auch ein vollständiger Ausschluss des Sorge- und Umgangsrechts bei häuslicher Gewalt ist schon heute möglich. Aber es fehlen glasklare Vorgaben im geltenden Familienrecht. Das werden wir ändern. Mein Haus arbeitet mit Hochdruck an dem Gesetzentwurf. Ich gehe davon aus, dass wir ihn bald ins Verfahren geben können. Das Vorhaben hat für mich hohe Priorität.
Wo gibt es Probleme in der Vernetzung zwischen Behörden? Wie könnte man Gewaltfälle besser erfassen?
Wir haben im Kabinett beschlossen, dass Familiengerichte die Möglichkeit bekommen sollen, zur Gefährdungsanalyse in Kindschafts- und Gewaltschutzverfahren Auskünfte aus dem Waffenregister zu erhalten. Und bei elektronischen Fußfesseln sollen die Familiengerichte die Polizei und auch weitere Stellen hinzuziehen können, die dabei helfen können, die Gefahr durch den Täter einzuschätzen.
Psychische Gewalt bekommt in familiengerichtlichen Verfahren oft wenig Aufmerksamkeit. Mit welchen konkreten Maßnahmen könnte man das ändern?
Häusliche Gewalt muss in allen Formen berücksichtigt werden. Es spielt keine Rolle, ob die Gewalt psychisch oder körperlich ausgeübt wird. Es ist wichtig, dass die Familiengerichte auch dafür sensibilisiert sind. Mein Eindruck ist, dass das an vielen Stellen schon der Fall ist. Zugleich müssen wir die gesetzlichen Regeln nachschärfen, um das ganz eindeutig festzuschreiben.
In Italien ist Femizid seit neuestem ein eigener Straftatbestand. In Deutschland wird geschlechtsspezifische Tötung als Mordmerkmal diskutiert. Warum ist Deutschland diesen Schritt bisher noch nicht gegangen? Würden Sie eine gesetzliche Verankerung als Mordmerkmal unterstützen?
Zunächst einmal: Wenn ein Mann eine Frau tötet, nur weil sie sich von ihm getrennt hat, kann das schon heute als Mord bestraft werden. Das ist auch richtig so: Wer aus männlichem Besitzdenken tötet, muss hart bestraft werden. Keine Frau „gehört“ ihrem Mann. Eine Änderung des Mordparagrafen ist anspruchsvoll. Das ist ein bisschen so wie eine OP am offenen Herzen. Zum geltenden Mordtatbestand gibt es eine ausgefeilte, über Jahrzehnte entwickelte Rechtsprechung. Jede Änderung des Gesetzes will sehr gut überlegt sein, damit sie nicht das Gegenteil bewirkt von dem, was beabsichtigt ist.
Gleichzeitig ist klar: Unser Staat muss mehr tun, um Femizide zu verhindern. Deshalb haben wir im Kabinett auf meinen Vorschlag hin beschlossen, die elektronische Fußfessel im Gewaltschutzgesetz einzuführen. Und deshalb werden wir das Strafrecht da ändern, wo es notwendig sind, um Frauen besser zu schützen.
Dieses Interview wurde schriftlich geführt.