Debatte zum neuen Wehrdienst: Warum sich SPD und Union nicht einig sind
Eigentlich hatte sich die Bundesregierung auf einen Entwurf für einen neuen Wehrdienst geeinigt. Der Bundestag sollte ihn in dieser Woche erstmals diskutieren. Doch die Debatte wurde verschoben. Woran hakt es?
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Die Bundeswehr fit machen für den Verteidigungsfall: Der neue Wehrdienst von Verteidigungsminister Pistorius nimmt Formen an.
Seit 2011 gilt in Deutschland keine Wehrpflicht mehr. Weil die Bundeswehr deutlich mehr Soldat*innen braucht, um ihren Verpflichtungen im Rahmen des NATO-Bündnisses nachzukommen und verteidigungsfähiger zu sein, plant Schwarz-Rot ein neues Wehrdienstgesetz. Im Koalitionsvertrag steht dazu: „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert.“
Das Bundeskabinett hat Ende August einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht. Der Bundestag sollte den Entwurf in dieser Woche debattieren. Das neue Wehrdienst-Modell soll 2026 greifen. Doch Reibereien zwischen Union und SPD verzögern die Debatte – jetzt steht das Vorhaben erst in der kommenden Woche auf dem Plan.
Was steht im Gesetzesentwurf?
Das von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) geplante Modell beruht auf Freiwilligkeit. Demnach sollen ab 2026 alle Männer zum 18. Geburtstag einen Fragebogen ausfüllen und darin ihr Interesse zum Dienst bei der Bundeswehr angeben. Frauen können den Fragebogen freiwillig ausfüllen. Geeignete Kandidat*innen werden zur Musterung eingeladen. Im nächsten Schritt wird die Musterung ab dem 1. Juli 2027 verpflichtend eingeführt, und zwar für alle Männer ab Jahrgang 2008.
Pistorius will sich mit dem Freiwilligen-Modell zunächst einen Überblick über mögliches Personal verschaffen. Sein Ziel: Bis 2035 sollen Zehntausende Wehrdienstleistende ausgebildet werden, die Reserve soll sich von rund 100.000 auf 200.000 Soldaten erhöhen. Der Bundesverteidigungsminister hat mehrfach betont, dass dieses Ziel über ein Freiwilligen-Modell erreicht werden kann.
Ist eine Wehrpflicht damit ausgeschlossen?
Schon jetzt kann die Bundesregierung die Wehrpflicht wieder einsetzen, wenn ein konkreter Spannungs- oder Verteidigungsfall eintritt, zum Beispiel ein Angriff auf einen NATO-Partner. Der neue Entwurf dehnt diese Möglichkeit aus. Demnach soll die Bundesregierung die Wehrpflicht flexibel aktivieren können, wenn die allgemeine Verteidigungsfähigkeit gefährdet ist, weil sich nicht genügend Freiwillige melden – also auch außerhalb eines konkreten Spannungs- oder Verteidigungsfalls. Laut Entwurf braucht die Bundesregierung dazu die Zustimmung des Bundestags. Die Wehrpflicht würde dann nur für Männer greifen. Um sie auf Frauen auszudehnen, müsste das Grundgesetz geändert werden.
Was kritisiert die Union?
Die Union bemängelt schon länger fehlende Vorgaben zur Frage, wann genau eine Wehrpflicht greifen kann. Sie möchte das Pflicht-Element stärken und einen Automatismus im Gesetz verankern. Sprich: Wenn bis zu einem konkreten Zeitpunkt nicht genügend Soldat*innen rekrutiert werden, soll die Wehrpflicht automatisch greifen.
Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) hat sich mehrfach für eine sofortige Wehrpflicht ausgesprochen. Am Wochenende befeuerte CSU-Chef Markus Söder die Debatte, indem er sich bei der „Bild am Sonntag“ über eine „Wischi-Waschi-Wehrpflicht“ und eine „Fragebogen-Armee“ beklagte. „An der Wehrpflicht führt kein Weg vorbei“, sagte er. Friedrich Merz äußerte seine Bedenken in der ARD-Sendung „Caren Miosga“ am Sonntag. Der Bundeskanzler kündigte zwar an, man halte am Gesetzesentwurf von Pistorius fest: „Wir wollen das jetzt zunächst freiwillig mit der SPD versuchen hinzubekommen“, sagte er. Fügte aber hinzu: „Ich bin skeptisch. Wenn es uns gelingt – umso besser.“
Unabhängig von der Kritik am Wehrdienst erneuerte der Bundeskanzler die Unions-Forderung nach einem verpflichtenden Gesellschaftsjahr für Männer und Frauen, das den Zusammenhalt fördern soll. Nach den Vorstellungen der Union soll man das Dienstjahr entweder bei der Bundeswehr oder bei zivilgesellschaftlichen Organisationen ableisten können. Für das Vorhaben wäre jedoch eine Grundgesetzänderung erforderlich. SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf wies am Montag in Berlin daraufhin, dass eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag unwahrscheinlich ist, da die Partei „Die Linke“ Pflichtdienste kategorisch ablehnt.
Wie reagiert die SPD?
Bundesverteidigungsminister Pistorius (SPD) bezeichnete es als „fahrlässig“, die Debatte zu verschieben. Die Union könne ihre Argumente im parlamentarischen Verfahren in die Debatte einbringen. Der Bundesverteidigungsminister ist dagegen, konkrete Zahlen im Gesetzestext zu verankern, weil derzeit noch die Kapazitäten bei der Ausbildung und in den Kasernen fehlten.
SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf kritisierte am Montag das Verhalten des Koalitionspartners. „Wir haben uns in der Koalition auf einen ganz klaren Weg verständigt, und das ist der freiwillige Wehrdienst“, sagte er. „Ich kann nicht nachvollziehen, wie man immer wieder Debatten aufwärmt, die am Ende die Glaubwürdigkeit der Politik angreifen, und junge Menschen verunsichern.“ Viele Jugendliche hätten auf die Aussagen zum freiwilligen Wehrdienst vertraut, und würden verunsichert, wenn die Pläne immer wieder neu hinterfragt würden. „Das muss jetzt schnellstmöglich in die Umsetzung gehen“, sagte Klüssendorf.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, äußerte sich optimistisch zum Freiwilligen-Modell. „Lassen Sie uns doch erstmal ausprobieren“, sagt er im ARD-„Morgenmagazin“. Das Interesse an der Bundeswehr sei insgesamt gestiegen, und er setze darauf, dass sich das in Zahlen abbilden werde.