Brosius-Gersdorf verzichtet auf Kandidatur: „Das hinterlässt Spuren“
Kurz vor der Sommerpause ließ die Union die Wahl der Richter*innen am Bundesverfassungsgericht platzen, weil ihnen die von der SPD nominierte Kandidatin nicht passte. Die SPD hielt trotzdem an Frauke Brosius-Gersdorf fest. Nun hat die Juristin eine schwere Entscheidung getroffen.
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Frauke Brosius-Gersdorf will nicht mehr als Verfassungsrichterin kandidieren.
Ihre Kandidatur hatte einen Koalitionsstreit verursacht – nun hat die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf selbst entschieden, nicht mehr als Verfassungsrichterin zur Wahl zu stehen. „Mir wurde aus der CDU/CSU-Fraktion – öffentlich und nicht-öffentlich – in den letzten Wochen und Tagen sehr deutlich signalisiert, dass meine Wahl ausgeschlossen ist“, schrieb die von der SPD nominierte Rechtsprofessorin in einer persönlichen Mitteilung am Donnerstag. „Teile der CDU/CSU-Fraktion lehnen meine Wahl kategorisch ab.“
Brosius-Gersdorf und zwei weitere Kandidati*innen hätten eigentlich zu Richter*innen am Bundesverfassungsgericht gewählt werden sollen. Weil dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig ist, hatten sich CDU/CSU und SPD im Vorfeld auf die Kandidat*innen geeinigt. Doch kurz vor der Wahl im Juli äußerten Teile der Unionsfraktion Vorbehalte gegenüber der Kandidatin der SPD. Als Grund wurden ihre Aussagen zum Abtreibungsrecht genannt, die eine rechte Hetzkampagne verzerrt und verfälscht verbreitet hatte. Plagiatsvorwürfe gegen die Juristin wurden wenig später zurückgenommen. In Folge des Koalitionsstreits wurde die Wahl der Verfassungsrichter*innen verschoben.
Brosius-Gersdorf begründete ihren Rückzug damit, dass durch den Konflikt ein Aufschnüren des „Gesamtpakets“ für die Richterwahl drohe. Sie wolle nicht die Wahl der beiden Kandidat*innen gefährden. „Auch muss verhindert werden, dass sich der Koalitionsstreit wegen der Richterwahl zuspitzt und eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar sind“, schrieb sie.
SPD stand bis zuletzt hinter der Kandidatin
Die SPD-Bundestagsfraktion hatte bis zuletzt hinter ihrer Kandidatin gestanden. Das hebt Brosius-Gersdorf in ihrer Mittelung hervor. „Für sie ist es eine Prinzipienfrage, dem Druck unsachlicher und diffamierender Kampagnen nicht nachzugeben“, heißt es da.
Lars Klingbeil bedauerte am Donnerstag die Entscheidung der Kandidatin. „Das, was Frau Brosius-Gersdorf in den letzten Wochen an Anfeindungen erleben musste, ist in keiner Weise akzeptabel“, schrieb der SPD-Parteichef in einer Erklärung. „Diejenigen, die am Ende nicht zu ihrem Wort innerhalb der Koalition gestanden haben, müssen dringend aufarbeiten, was passiert ist“, sagte er in Richtung der Union.
Auch SPD-Fraktionschef Matthias Miersch bedauerte den Rückzug und betonte die „exzellente fachliche Qualifikation, große persönliche Integrität und klare demokratische Haltung“ der Kandnidatin. Die Kampagne gegen sie sei „beispiellos“ und hinterlasse Spuren. Die SPD hatte die Union mehrfach aufgefordert, das Gespräch mit der Kandidatin zu suchen, um Zweifel aus dem Weg zu räumen. Nicht einmal das sei zugelassen worden, beklagte der SPD-Fraktionschef.
„Auch das hinterlässt Spuren“, so Miersch. „Dass eine solche Persönlichkeit sich nun aus dem Verfahren zurückzieht, ist ein alarmierendes Signal – nicht nur für die politische Kultur, sondern auch für die Unabhängigkeit unserer Institutionen.“ Die SPD werde nun eine neue Kandidatin aufstellen und erwarte, dass sich der Koalitionspartner künftig an Absprachen halte.
Erste Reaktionen auf den Rücktritt
Scharfe Kritik an der CSU übte die Landesvorsitzende der BayernSPD Ronja Endres. „Die CSU kapituliert vor rechter Hetze und trägt damit zur Aushöhlung demokratischer Verfahren bei. So ist verantwortungsvolles Regieren nicht möglich“, erklärte Endres in einer Mitteilung. „Brosius-Gersdorf wurde zur Zielscheibe einer inszenierten Fake-News-Offensive. Dass die Union darauf hereinfällt oder sich davon treiben lässt, ist ein Armutszeugnis.“
Derya Türk-Nachbaur reagierte emotional auf den Verzicht der Kandidatin. „Der Rückzug von Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf ist mehr als nur eine persönliche Niederlage – er ist ein bitterer Sieg der Neuen Rechten auf dem Rücken einer integren und hochgeschätzten Wissenschaftlerin“, schrieb die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. Die Aussagen der Juristin seien bewusst verdreht, skandalisiert und instrumentalisiert worden. „Noch verstörender: Teile der Union haben dieses Spiel mitgespielt – teils aus Kalkül, teils aus Führungsschwäche“, schrieb Türk-Nachbaur. Das habe das Vertrauen in demokratische Institutionen beschädigt. „Das ist nicht nur bedauerlich – das macht wütend!“
Brosius-Gersdorf kritisiert Journalisten
Auch Brosius-Gersdorf geht in ihrer Erklärung darauf ein, dass die Unionsfraktion kein klärendes Gespräch zugelassen habe. Die Juristin übt deutliche Kritik an Medien, die falsche Narrative über sie verbreiteten. Einzelne Journalisten – die Juristin betont: „nicht: Journalistinnen“ – hätten als „Speerspitze“ eines „ehrabschneidenden Journalismus“ gegen sie agiert.
Es sei neu und bedrohlich, wie teils KI-generierte Desinformations- und Diffamierungskampagnen bis „zur Herzkammer unserer Demokratie, dem Parlament“ durchdrangen. „Lässt sich die Politik auch künftig von Kampagnen treiben, droht eine nachhaltige Beschädigung des Verfahrens der Bundesverfassungsrichterwahl“, so die Juristin. „In Zukunft sollte das Verfahren zur Richterwahl mit mehr Verantwortungsbewusstsein praktiziert werden.“
Viele Menschen hätten sie zum Durchhalten aufgefordert. „Durchhalten macht aber nur Sinn, wenn es eine reelle Wahlchance gibt, die leider nicht mehr existiert.“