Inland

Böllerverbot: „Auf europäischer Ebene sehen wir die ersten guten Erfolge“

Wenige Wochen vor dem Jahreswechsel gibt es wieder eine Debatte über ein Böllerverbot in Deutschland. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, befürwortet das. Nicht zuletzt der Blick zu den europäischen Nachbarn zeige, dass ein Verbot wirkt.

von Jonas Jordan · 8. Dezember 2025
Ein Einsatzfahrzeug der Polizei wird zum Jahreswechsel in Berlin attackiert.

Polizei-Auto in der Silvesternacht 2023/2024 in Berlin: Wir sehen, dass Verbote Wirkung auf die Gesellschaft haben.

In wenigen Wochen endet das Jahr 2025. Wissen Sie schon, wie Sie Silvester feiern werden?

Ich hoffe, ruhig und entspannt mit einem tollen Einstieg ins neue Jahr, mit dem Wissen, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen richtig heftige Nachtschichten haben und ich sie da wahrscheinlich besuche.

Derzeit wird wieder kontrovers über ein Böllerverbot an Silvester diskutiert, die GdP befürwortet es. Warum?

Wir sehen, dass Verbote Wirkung auf die Gesellschaft haben. Weil wir zunehmend eine verunsicherte Gesellschaft haben, sind Regeln sehr wichtig. Auf europäischer Ebene sehen wir die ersten guten Erfolge mit einem solchen Verbot zur Entlastung im Polizei-Bereich, zur Erhöhung der Sicherheit an Silvester. Insofern ist das ein Element, das wir heftig diskutieren müssen in Deutschland.

Jochen
Kopelke

Diese Gefahr, diese enorme Arbeitsbelastung und die dramatischen Entwicklungen mit abgesprengten Händen und Toten durfte es dort nicht mehr geben. All das ist vergleichbar mit Deutschland.

An welchen europäischen Ländern kann sich Deutschland ein Beispiel nehmen?

Wir haben in den Niederlanden gesehen, dass der Druck auf politische Akteure enorm gestiegen ist. Dort haben die Polizistinnen und Polizisten sogar einen Streik angedroht, wenn es nicht zu einem Verbot kommt. Die Menschen in den Blaulichtberufen und in den Krankenhäusern haben gesagt: „Das geht so nicht mehr.“ Diese Gefahr, diese enorme Arbeitsbelastung und die dramatischen Entwicklungen mit abgesprengten Händen und Toten durfte es dort nicht mehr geben. All das ist vergleichbar mit Deutschland.

Der Blick auf die deutsche Grenze ist für Sie künftig noch wichtiger, denn seit kurzem sind Sie Vorsitzender der europäischen Polizistengewerkschaft EU.Pol. Wie kam es dazu?

Europa ist deshalb spannend, weil es vergleichbar ist mit Deutschland. Wir kennen Föderalismus, wir kennen föderale Sicherheit und wenn man die europäische Ebene beschreitet, gibt es ebenso viele Akteure, die mit eigenen Vorstellungen versuchen, gemeinsam etwas zu lösen. Hanseatische Tugenden wie miteinander zu verhandeln, Kompromisse zu finden und Gemeinsamkeiten zu entdecken, funktionieren in Europa. Deswegen habe ich mich sehr gefreut, 100 Prozent der Stimmen in dieser großen neuen Organisation zu bekommen.

Zur Person

Im September 2022 wurde Jochen Kopelke mit 87 Prozent der Stimmen zum Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei gewählt. Mit 38 Jahren war er zu diesem Zeitpunkt der bisher jüngste Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Mitte November wurde er außerdem in Brüssel zum Präsidenten der europäischen Polizistengewerkschaft EU.Pol (European Federation of Police Unions) gewählt und vertritt damit aktuell über 366.000 Polizist*innen in ganz Europa.

Jochen Kopelke ist Bundesvorsitzender der GdP.

Was sind die drei wichtigsten Themen auf europäischer Ebene?

Das drängendste ist die Investition in die innere Sicherheit aller Menschen in Europa, und nicht nur in die äußere Sicherheit und Abwehrfähigkeit eines Krieges. Dieses Verzahnen von innerer und äußerer Sicherheit muss besser gelingen. Das gelingt in Deutschland auch nicht gut und deswegen ist es hier dasselbe Thema. 

Das zweite Thema sind unsere Arbeitsbedingungen. Die europäische Arbeitszeitverordnung gibt uns Polizistinnen und Polizisten unseren Arbeitszeitrahmen. Der Bundesinnenminister ordnet hingegen einfach Zwölf-Stunden-Schichten an und wir haben zu liefern, während die europäische Gesetzgebung etwas anderes sagt. Wir stellen fest, dass die Arbeitszeit und die Arbeitsbelastung in Europa massiv auseinanderklaffen, während wir dieselbe Polizeiarbeit machen.

Das dritte Thema bleiben der Ausbau, die Fähigkeiten und der Gleichklang europäischer Sicherheitsarbeit. Was in den Niederlanden funktioniert, muss auch in Spanien gehen. Da, wo wir in Italien gut mit der Mafia umgehen und sie bändigen, muss man gucken, wie der Drogenschmuggel über die Häfen durch ganz Europa funktioniert. Das Lernen, das Verzahnen, das Vernetzen des Wissens ist das, was uns in der Polizei voranbringt. Deswegen haben wir uns einem gemeinsamen Feind verschrieben, und zwar dem Datenschutz. Den wollen wir deutlich reduzieren, um die Sicherheit und Polizeiarbeit zu verbessern.

Was bedeutet das konkret?

Wir erheben in den unterschiedlichen Nationalstaaten und den dortigen Sicherheitsbehörden ganz viele Informationen über bestimmte Täter-Strukturen. Wir haben mit Europol einen zentralen Informationspunkt. Da wird Wissen gesammelt, so aufbereitet und von A nach B gebracht, dass die jeweils andere Behörde mehr Informationen hat, besser reagieren und insbesondere zielgerichteter ermitteln kann. Dafür gibt es auch einen finanziellen Topf. Es gibt sogenannte Joint-Investigation-Teams. Die sind finanziell von der Europäischen Kommission und vom Parlament hinterlegt. Das sind sehr effektive, finanzierte Instrumente zur Verbrechensbekämpfung.

Zugleich stellen wir fest, wenn die Informationen bei A bekannt sind, dann gibt es über den AI Act, über Data Protection und über bestimmte Rechtsvorschriften immer Hürden, sodass nicht alle Informationen, die bewertet wurden, die nutzbar sind, auch weitergeleitet werden können von Europol (die europäische Polizeibehörde, Anm.d.Red.). Das zeigt sich besonders im digitalen Raum. Und wir wissen, dass die Kriminalität sich immer digitaler gestaltet. Würde man dort mehr Raum zum Datentransfer lassen, mehr Informationen über Täter-Strukturen, einzelne Täter oder erste Informationen zulassen, dann haben die, die am Boden die Arbeit machen, die die Türen auframmen und die Täter festnehmen, mehr Informationen und können viel gerichtsverwertbarer vorgehen.

Folge 21 - mit Jochen Kopelke
SPDings – der „vorwärts“-Podcast

SPDings – der „vorwärts“-Podcast, Folge 21 mit Jochen Kopelke

Seit September 2022 ist Jochen Kopelke Vorsitzender der weltgrößten Polizeigewerkschaft und zugleich der jüngste GdP-Vorsitzende aller Zeiten. In der aktuellen Folge wirbt er für mehr Respekt für Polizist*innen und zeigt klare Kante gegen Rechtsextremismus, der auch aus seiner Sicht die größte Bedrohung für die Demokratie in Deutschland ist.

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Was braucht Europol ansonsten noch, um wirklich eine europäische Polizei werden zu können?

Die Grundsatzfrage ist: Ist Europol eine Zentralstelle, die Informationen weitergibt oder ist es eine operative Polizei-Einheit, die da einschreitet, wo andere zu schwach sind? Wenn man Europol zu einer operativen Einheit ausbaut, dann merken die Nationalstaaten und dann merken die Bürgerinnen und Bürger, dass es mehr Sicherheit gibt. 

Das sehen wir am Beispiel von Frontex (die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, Anm.d.Red.). Frontex ist eben nicht mehr nur ein koordinierendes Außengrenzschutzsystem, sondern arbeitet mittlerweile operativ und ist damit existenziell für das Thema Grenzsicherung in ganz Europa. Bei Europol ist das anders. Deswegen brauchen wir eine bessere Finanzierung, damit Europol operativer werden kann. Denn die die Stärken der Polizeien liegen im Ermitteln auf der Straße und nicht in den Büros.

Jochen
Kopelke

Wenn ich als EU.Pol-Vorsitzender losmarschiere, muss ich manchmal aufpassen, dass ich meinen Mund nicht zu voll nehme mit dem Wissen, das ich aus Deutschland habe.

Gibt es Konfliktpunkte zwischen Ihrer neuen europäischen Funktion und dem GdP-Vorsitz?

Ja. Deswegen muss man sauber unterscheiden, in welcher Rolle ich wo tätig bin. Wenn man auf europäischer Ebene unterwegs ist, muss man immer an alle Nationalstaaten und damit auch unsere Polizeigewerkschaften denken. Das bedeutet, immer im Kopf haben zu müssen, wie die tatsächliche Situation im jeweiligen Nationalstaat ist. 

Ein Beispiel: In Spanien geht es den Polizistinnen und Polizisten richtig schlecht. Die kämpfen ums Überleben, und zwar in der Frage der Absicherung im Polizeiberuf, in der Arbeitszeitgestaltung, aber auch in der Bezahlung. In Deutschland ist das anders, weil wir ganz andere rechtliche Möglichkeiten haben. Wir haben als Gewerkschaft über die Personalvertretung und Mitbestimmungsrechte andere Möglichkeiten, den Alltag von Polizistinnen und Polizisten mitzugestalten, zu verbessern, aber auch Schlimmstes zu verhindern. Das ist in Deutschland viel ausgeprägter, viel effektiver, viel wirksamer als auf europäischer Ebene. Wenn ich als EU.Pol-Vorsitzender losmarschiere, muss ich manchmal aufpassen, dass ich meinen Mund nicht zu voll nehme mit dem Wissen, das ich aus Deutschland habe.

Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen in Deutschland – wie sieht Ihr Wunschzettel als GdP-Vorsitzender aus? 

Natürlich sind die Polizeibehörden und die Verfassungsschutzbehörden nicht so ausgestattet, dass sie dieser neuen Bedrohung – hybride Gefahren, Kriegsangst, Drohnen, Schattenflotten – gewachsen sind. Wir haben auch immer noch nicht die Fähigkeiten, um die vielen Cybergefahren abzuwehren, den Menschen im Internet mehr Sicherheit zu bieten oder auf der Straße überall Recht durchzusetzen. Deswegen brauchen wir 20.000 Polizeikräfte mehr in Deutschland. 

Wir brauchen aber auch die Sicherheit, dass die Leute lange bei uns arbeiten. Polizeiarbeit ist von Beständigkeit geprägt, uns gehen die Leute aber von Bord. Deswegen brauchen wir bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung, damit die Leute bei uns bleiben, damit das Wissen bei uns bleibt, damit die Effektivität bleibt. Das stellen wir überall in Europa fest. 

Was heißt das für die europäische Polizeiarbeit?

In Europa liegt die Chance, angesichts dieser enormen Arbeitslast überhaupt noch effektiv sein zu können. Uns fehlen 15.000 Polizisten im Inland, weil die an der deutschen Grenze stehen. Warum kann man nicht die Europäische Grenzschutzagentur so stärken, dass wir die deutschen Polizisten von der deutschen Grenze wieder abziehen, einen Teil an die europäische Grenze stellen, die Qualität dort erhöhen und dadurch einen Effekt im Inland, im Innern Europas erzielen? Das erleben alle Polizisten in Europa, denn überall gibt es mittlerweile wieder Binnengrenzkontrollen. Um die polnisch-belarussische-Grenze zu sichern, ist alles, was auch nur Polizei heißt, an die Grenze verlegt worden. Dort findet keine Präventionsarbeit, keine Ermittlungsarbeit, keine Verkehrssicherheitsarbeit mehr statt. Das stört Polizistinnen und Polizisten, die dafür den Beruf ergriffen haben. 

Gleichzeitig sehen wir: Wenn wir uns gegenseitig helfen und der, der es kann, vorangeht, dann erzielen wir Ermittlungserfolge, dann bekämpfen wir Schleuserkriminalität. Deswegen verbinden wir gerade alle unsere Themen, nämlich die aus der Region Deutschland, bis hin nach Europa, weil wir Polizisten merken, wir müssen viel mehr zusammenstehen, weil sich das sonst alles nicht mehr bewältigen lässt.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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