Aktuelle Studie: Kann mehr Daseinsvorsorge die Demokratie schützen?
Eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, inwiefern sich regionale Daseinsvorsorge auf die Zustimmung zu Rechtspopulist*innen auswirkt. Bastian Heider, Leiter der Studie, erklärt im Interview, wo die Politik nun ansetzen muss.
IMAGO/Jochen Tack
Wirkt es sich auf die Demokratiezufriedenheit aus, wenn der Bus nur drei Mal am Tag kommt? Eine neue Studie geht dieser Frage nach.
Die Zustimmungswerte stiegen schon seit geraumer Zeit, doch spätestens, als die AfD bei den Bundestagswahlen im Frühjahr dieses Jahres 20,8 Prozent erreichte, war klar: Die erstarkende Zustimmung ist kein Einzelfall-Phänomen rechtsextrem geprägter Regionen, kein ostdeutsches Phänomen. Aber woran liegt das?
Eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel „Antidemokratische Wahlerfolge im ungleichen Deutschland – Demokratieschützende Aspekte der Daseinsvorsorge“ widmet sich einer möglichen Erklärung. Die Hypothese: Dort, wo es weniger regionale Daseinsvorsorge gibt, wählen mehr Menschen die AfD.
Die Studie zeigt: Ganz so einfach ist es nicht, nicht jeder Aspekt der Daseinsvorsorge scheint sich direkt auf die Demokratiezufriedenheit auszuwirken. Doch laut Bastian Heider, Wissenschaftler am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Dortmund (ILS) und Leiter der Studie, bedeutet das nicht, dass es hier keinen Handlungsbedarf gibt.
In Ihrer Studie geht es um die Daseinsvorsorge in Deutschland – was kann man sich genau unter diesem Begriff vorstellen?
Allgemein bezeichnet man als Daseinsvorsorge ja bestimmte öffentliche Güter und öffentliche Dienstleistungen, die vom Staat zur Verfügung gestellt werden. Das kann regional oder lokal sein, wie zum Beispiel Schulen, Krankenhäuser und öffentlicher Nahverkehr. Für unsere Studie haben wir den Begriff aber allgemeiner gefasst, sodass er eher die allgemeine Versorgung vor Ort meint – also nicht nur das, was von öffentlicher Seite zur Verfügung gestellt wird, sondern auch das, was durch private Einrichtungen oder Vereine kommt, wie zum Beispiel Sportvereine oder Ärztinnen und Ärzte.
Bastian Heider
In den meisten Bereichen gibt es deutliche Überschneidungen – gerade, wenn es um die wirtschaftliche Zufriedenheit geht.
Sie machen auch deutlich, dass solche objektiv messbaren Indikatoren der Daseinsvorsorge aber nur bedingt Rückschlüsse auf die Demokratieunzufriedenheit in der Bevölkerung zulassen. In Ihrer Studie geht es dennoch um genau diese beiden Punkte.
Wir haben versucht, uns beides anzuschauen. Es ging eben nicht nur darum, wie es um die Daseinsvorsorge steht, sondern auch darum, wie zufrieden die Menschen subjektiv mit bestimmten Aspekten davon sind. Dafür haben wir uns den aktuellen Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung angeschaut, für den eine repräsentative Anzahl an Menschen in allen Kreisen und kreisfreien Städten zu ihrer Zufriedenheit mit unterschiedlichen Bereichen der Daseinsvorsorge befragt wurden. Die Erkenntnisse darauf haben wir dann versucht, mit dem, was wir objektiv messen konnten, in ein Verhältnis zu setzen.
Dabei wurde klar: In den meisten Bereichen gibt es deutliche Überschneidungen – gerade, wenn es um die wirtschaftliche Zufriedenheit geht. In anderen Bereichen, wie beispielsweise, wenn es um die Verfügbarkeit von medizinischer Versorgung geht, deckt sich aber die objektiv quantifizierbare Daseinsvorsorge nicht mit der subjektiven Zufriedenheit.
Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?
Zum Teil liegt es daran, dass verschiedene Aspekte schwer messbar sind, auch, weil die Daten nur für Kreise und kreisfreie Städte verfügbar sind. Das sind relativ grobe räumliche Einheiten, innerhalb derer es nochmal größere Unterschiede geben kann.
Bastian Heider
Wir messen keine kausalen Effekte, sondern nur Korrelationen – das ist ein wichtiger Unterschied.
Wie würden Sie die Kernaussage der Studie zusammenfassen?
Eine Kernaussage ist auf jeden Fall, dass es zwischen dem Zustand der Daseinsvorsorge und dem Grad der Demokratiezufriedenheit gewisse Zusammenhänge gibt. Das gilt vor allem für alle Indikatoren, die mit Bildung zu tun haben. Aber auch Kinderbetreuung, soziale Infrastruktur oder Breitbandausbau, scheinen eine gewisse Rolle zu spielen, wenn es darum geht, rechte Wahlerfolge zu erklären. Obwohl natürlich herausgestellt werden muss, dass wir keine kausalen Effekte messen, sondern nur Korrelationen – das ist ein wichtiger Unterschied. Andere Zusammenhänge waren weniger klar, als wir es aus vergleichbaren Studien aus anderen Ländern kennen. Insgesamt ist es einfach ein komplexes Zusammenspiel von unterschiedlichsten Faktoren.
Was wir über die Daseinsvorsorge hinaus ganz allgemein sehen konnten, ist, dass Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Perspektiven eine sehr große Rolle spielen und, dass allgemeine Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland in allen Analysen zur Erklärung von AfD-Wahlergebnissen sehr dominant sind. Auch die Gründe, warum die Menschen in Ost- und Westdeutschland die AfD wählen, können sehr unterschiedlich ausfallen. So spielen beispielsweise wirtschaftliche Unterschiede im Osten eine sehr viel geringere Rolle als im Westen.
Was folgt daraus?
Die Schlussfolgerung ist, dass Daseinsvorsorge oder Investitionen in Daseinsvorsorge gewisse demokratiestützende Effekte haben, beziehungsweise die Wahlerfolge von rechten Parteien eindämmen können. Aber letztlich muss das alles mit anderen politischen Maßnahmen zusammen gedacht werden – allein eine Stärkung der Daseinsvorsorge wird das Problem nicht lösen.
Eine der anderen Handlungsempfehlungen, die in der Studie genannt werden, ist, Erfolge zu kommunizieren.
Wir haben auch in anderen Studien bereits gesehen, dass es zum Beispiel in Ostdeutschland vor allem in den wachstumsstarken 2010er Jahren schon gewisse Aufholerfolge gab, was die Einkommen anging, was die Arbeitslosigkeit anging, oder auch den Breitbandausbau. Das ist da allerdings in der Bevölkerung nicht so wirklich angekommen – dort dominiert ein Narrativ des abgehängten Ostens. Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Niedergang in Folge der Wiedervereinigung ist in Ostdeutschland quasi eine kollektive historische Erfahrung. Die Aufholerfolge, die danach kamen, und die wir mit unseren Daten auch messen können, werden subjektiv aber gar nicht wahrgenommen.
Da müssten neue Wege gefunden werden, um dieses Gefühl von Selbstwirksamkeit in der Bevölkerung wieder herzustellen und zu zeigen, dass regional oder lokal eben auch etwas vorangeht und es Erfolge gibt.
Bastian Heider
Soziale Infrastruktur kann durchaus einen hemmenden Effekt auf Rechtspopulismus und die Erfolge entsprechender Parteien haben.
In welchen anderen Bereichen müsste gehandelt werden?
Wir sehen in unserer Studie, dass der Bildungsbereich sehr wichtig ist. Es ist allgemein bekannt, dass der Bildungserfolg von Kindern weiterhin stark vom Bildungsstatus der Eltern abhängt. Das heißt, gerade in sozioökonomisch schwächeren Regionen, dort, wo die Herausforderungen zum Beispiel durch Integrationsaufgaben oder wirtschaftliche Transformation besonders groß sind, müsste Bildung stärker gefördert werden und müssten Schulen gezielt mit finanziellen Mitteln unterstützt werden. So erhöht man nämlich auch die wirtschaftlichen Perspektiven in der Bevölkerung.
Gibt es auch Bereiche, in denen jede*r Einzelne zur Daseinsvorsorge beitragen kann?
Das ist aus unserer Sicht schwer für jeden Einzelnen zu beantworten. Man kann aber schon sehen, dass auch die soziale Infrastruktur und soziales Zusammenleben eine große Rolle spielen. Und damit das gegeben ist, braucht es zum Beispiel lebendige Ortszentren, braucht es Orte des sozialen Austauschs wie zum Beispiel offene Vereine.
Da ist aber nicht nur die Zivilgesellschaft gefragt. Die Politik muss solche Orte und den sozialen Zusammenhalt letztlich auch fördern und Räume dafür schaffen. Wenn das funktioniert, können solche Orte durchaus einen hemmenden Effekt auf Rechtspopulismus und die Erfolge entsprechender Parteien haben.