Beschluss vor 25 Jahren: Gleichberechtigung auch in der Bundeswehr
Am 27. Oktober 2000 ändert der Bundestag das Grundgesetz, damit Frauen in der Bundeswehr freiwillig Dienst an der Waffe leisten dürfen. Vorausgegangen war ein wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs.
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Ein Bild, das lange undenkbar war: Vor 25 Jahren änderte der Bundestag das Grundgesetz, damit auch Frauen in der Bundeswehr dienen dürfen.
Im Berliner Reichstagsgebäude ist die Stimmung entspannt. Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen und die Opposition von CDU/CSU und FDP sind sich einig. Nach namentlicher Abstimmung verkündet Bundestagsvizepräsidenten Anke Fuchs (SPD) das Ergebnis: „Abgegebene Stimmen 543. Mit Ja haben gestimmt 512, mit Nein haben gestimmt 5, Enthaltungen 26.“ Mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit nimmt der Bundestag am 27. Oktober 2000 die Änderung von Paragraf 12a des Grundgesetzes an. Von nun an dürfen Frauen in der Bundeswehr Dienst an der Waffe leisten.
Ein 65 Jahre langer Weg zur Gleichstellung
Blick zurück. Seit der Gründung der Bundeswehr 1955 dürfen Frauen in der zivilen Bundeswehrverwaltung arbeiten, nicht jedoch in den Streitkräften. Das Grundgesetz verbietet es. Laut Paragraf 12a dürfen Frauen „auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten“. In den 1960er Jahren, als Gleichberechtigung und Emanzipation zu wichtigen gesellschaftlichen Themen werden, regt sich erstmals Kritik.
1973 richtet die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Enquête-Kommission „Frau und Gesellschaft“ ein, um Reformen anzustoßen. Verteidigungsminister Georg Leber treibt die Öffnung der Bundeswehr für Frauen voran. Gründe sind die Gleichberechtigung und der Personalmangel, denn es fehlen 1.300 Sanitätsoffiziere. Von 1975 an dürfen Ärztinnen und Apothekerinnen als Sanitätsoffiziere und Mitglieder des Musikkorps in die Bundeswehr eintreten. Sie erhalten die soldatische Grundausbildung, dürfen aber nur zur Selbstverteidigung und zum Schutz von Patienten Waffen einsetzen.
Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ebnet den Weg
Bis Mitte der 1990er Jahre bleibt dies so. Die gesellschaftliche Entwicklung ist jedoch weiter fortgeschritten. 1995 befürworten 44 Prozent der 16- bis 29-Jährigen und 30 Prozent der Gesamtbevölkerung, dass Frauen freiwillig an Waffen ausgebildet werden. 1996 spricht sich Gerhard Schröder als erster Spitzenpolitiker für den freiwilligen Einsatz von Frauen in Kampfverbänden aus.
Im selben Jahr bewirbt sich die 19-jährige Anlagentechnikerin Tanja Kreil bei der Bundeswehr als Soldatin und wird abgelehnt – wegen Paragraf 12a des Grundgesetzes. Mit Unterstützung des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV) klagt sie gegen die Entscheidung. Der Europäische Gerichtshof entscheidet am 11. Januar 2000, dass Frauen zum Waffendienst zugelassen werden müssen.
Nach dem Luxemburger Urteil fordert die stellvertretende SPD-Vorsitzende Renate Schmidt eine Grundsatzdebatte über die Wehrpflicht, bis hin zur Möglichkeit einer allgemeinen Dienstpflicht auch für Frauen. Die verteidigungspolitischen Experten der SPD-Bundestagsfraktion Peter Zumkley und Verena Wohlleben plädieren für die vollständige Öffnung aller militärischen Laufbahnen der Bundeswehr für Frauen.
Am April 2001 traten die ersten Soldatinnen ihren Dienst an
Die Grünen verbinden das Urteil mit der Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht, da ein freiwilliger Dienst von Frauen bei gleichzeitiger Wehrpflicht für Männer dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche. Die CDU/CSU besteht darauf, dass die Wehrpflicht ausschließlich sicherheitspolitisch begründet sei und nicht mit Gleichberechtigungsfragen vermischt werden dürfe. Die FDP feiert dagegen die Abschaffung des „letzten geschlechtsspezifischen Berufsverbots“.
Alle Parteien im Bundestag bis auf die PDS einigen sich schließlich auf eine Grundgesetzänderung: Sie ermöglicht es Frauen, freiwillig in allen militärischen Laufbahnen zu dienen. Eine Wehrpflicht für Frauen bleibt ausgeschlossen. Der Bundesrat stimmt der Verfassungsänderung am 1. Dezember 2000 zu. Im April 2001 treten die ersten Soldatinnen ihren Dienst an.
Heute sind etwa 13 Prozent der 185.000 Soldaten weiblich. Von den über 24.300 Soldatinnen sind mehr als 7.000 im Offiziersrang. Es bleibt ein wichtiges Ziel von Verteidigungsminister Boris Pistorius ist, den Frauenanteil in der Bundeswehr weiter zu erhöhen.