Geschichte

150. Geburtstag: Paul Löbe, der Fels in der Brandung der Weimarer Republik

Zwölf Jahre lenkte Paul Löbe fast ununterbrochen die Geschicke des Reichstags und verteidigte ihn geschickt gegen die Angriffe der Nazis. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er sich für die europäische Einigung ein. Vor 150 Jahren wurde der Sozialdemokrat geboren.

von Volker Stalmann · 14. Dezember 2025
Schwarz-Weiß-Aufnahme von Paul Löbe am Redepult vor dem Reichstag

Wie ein Fels in der Brandung: Reichstagspräsident Paul Löbe vor Anhänger*innen vor dem Reichstagsgebäude

Im Plenarsaal des Deutschen Reichstages schlugen die Wellen der politischen Auseinandersetzung wieder einmal hoch. Gegenüber dem Geschrei von Kommunisten und Nationalsozialisten kam die Glocke des Präsidenten nur mühsam an. Dennoch vermochte sich dieser schließlich mit Geschick, überlegener Ruhe und einem Schuss Humor Gehör zu verschaffen.

De deutschen Parlamtarismus in schwerster Zeit Ansehen verliehen

Wie ein Fels in der Brandung: der Sozialdemokrat Paul Löbe, der erste demokratische Reichstagspräsident, der dieses Amt – mit einer Unterbrechung von wenigen Monaten – von 1920 bis 1932 bekleidete. Von mittelgroßer Gestalt und stets im schwarzen Gehrock gekleidet, saß er auf seinem hohen, mit schwerem Schnitzwerk beladenen Amtssessel, äußerlich unscheinbar, unauffällig, ein Mann, der es mit dem „mehr sein als scheinen“ hielt. Ein Kavalier zudem, der den weiblichen Abgeordneten gelegentlich Rosen auf den Platz legte und ihnen in der Regel keinen Ordnungsruf zu erteilen pflegte, auch wenn sie es offensichtlich verdient hätten.

„Man muß ihn erlebt haben“, so schwärmte die Zeitschrift „Deutsche Republik“ 1927. „In der Ruhe, im Sturm, in der Langeweile, im Kampf“ der Parteien. „Nie den Überblick verlierend, die Fäden der Debatte und der Abstimmungen fest führend, entwirrend und verknüpfend“. Fern aller Pose verstand es Löbe als Präsident die Würde des Hauses, die oft von den Radikalen von rechts und links verletzt wurde, wie kein anderer zu wahren und dem deutschen Parlamentarismus auch in schwerster Zeit Ansehen zu verleihen.

Vom Schriftsetzer zum Chefredakteur

Am 14. Dezember 1875 im niederschlesischen Liegnitz als Sohn eines Tischlers geboren, wuchs Paul Löbe in ärmlichen Verhältnissen auf. Neben der Volksschule musste er schon als Zehnjähriger als Brötchenjunge, Zeitungsbote, Kofferträger und Laufbursche Geld verdienen, um das karge Dasein der Familie erträglicher zu gestalten. Nach der Schule ergriff er eine Lehre, wurde Schriftsetzer und fand in der Druckerei der sozialdemokratischen Breslauer „Volkswacht“ Beschäftigung. Da er journalistisch begabt war und bereits als Fünfzehnjähriger in der Zeitung Artikel veröffentlicht hatte, wechselte er im folgenden Jahr in die Redaktion und stieg kurz darauf zum Chefredakteur auf.

„Willkommenskränze begrüßten den Neuling nicht“, so Löbe rückblickend, „dagegen nagelte mir bei meiner Ankunft ein tags zuvor aus dem Gefängnis entlassener Kollege die letzte Scheibe trockenes Schwarzbrot auf den dürftigen Schreibtisch, damit ich mir über meine Zukunft kein falsches Bild machen sollte“. Denn früh machte Löbe Bekanntschaft mit preußischen Haftanstalten, als seine Kritik der politischen Verhältnisse den Staatsanwalt auf den Plan rief. Aber Geldbußen, Haftstrafen und Zensur konnten nicht verhindern, dass er bereits im Kaiserreich zu einem der angesehensten sozialdemokratischen Journalisten avancierte.

Löbe lehnte alle Karriereangebote ab

Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte Paul Löbe zum Führungskreis der SPD und machte in Berlin rasch Karriere: Fraktionsvorsitzender, Vizepräsident der Nationalversammlung und schließlich Reichstagspräsident. Was wurde ihm später nicht alles angeboten: während der Revolution das Amt des Volksbeauftragten, später das des Reichskanzlers und 1925 die Kandidatur zum Reichspräsidenten. Aber jedes Mal lehnte er ab. Es brauche für diese Posten jemanden, der aus härterem Holz sei als er, sagte er damals, einen durchsetzungsstärkeren Machtmenschen, der Löbe eben nicht war. Sein konzilianter und ausgleichender Wesenszug prädestinierte ihn dagegen für das Amt des Parlamentspräsidenten, dem neben der Verhandlungsleitung auch repräsentative Aufgaben zukamen.

Während der Hitlerdiktatur verlor Löbe abermals seine Freiheit: 1933 und nach dem 20. Juli 1944 wegen seiner Verbindung zu Widerstandsgruppen. Dazwischen war er auf seine Anfänge zurückgeworfen und verdiente als Korrektor eines wissenschaftlichen Verlags in Berlin seinen Lebensunterhalt.

Als nach dem Krieg ein erneuter Versuch unternommen wurde, die parlamentarische Demokratie in Deutschland zu errichten, wäre Löbe nicht er selbst gewesen, wenn er nicht wieder mit dabei gewesen wäre. So war sein Wirken als Mitherausgeber der SPD-Zeitung „Telegraf“, als Mitglied des Parlamentarischen Rats, als Alterspräsident und Abgeordneter des ersten Deutschen Bundestages dem Bemühen gewidmet, die Lehren aus der Geschichte der Weimarer Republik zu ziehen und eine erneute Zerstörung des parlamentarischen Systems zu verhindern.

Einsatz für ein geeintes Europa

Nicht unerwähnt bleiben darf Löbes Engagement für ein geeintes Europa, für das er sich bereits in den 1920er Jahren als Präsident der deutschen Abteilung der von Richard Coudenhove-Kalergi ins Leben gerufenen Paneuropa-Union einsetzte. Der Idee der Vereinigten Staaten von Europa blieb er auch nach 1945 verpflichtet, als er Gründungspräsident des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung wurde.

Als Paul Löbe am 3. August 1967 starb, schied mit ihm ein Mann aus dem Leben, der zu den bedeutendsten deutschen Parlamentariern des 20. Jahrhunderts zählte, ein Sozialdemokrat, der nicht nur die parlamentarische Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland zu verankern versuchte, sondern auch wesentlich an deren Wiederaufbau in der Bundesrepublik beteiligt war.

Zum Weiterlesen

Volker Stalmann: Paul Löbe 1875–1967. Sozialdemokrat, Journalist, Reichstagspräsident und Bundestagsabgeordneter, Metropol-Verlag, Berlin 2025, ISBN 978-3-86331-828-4, 29 Euro

Autor*in
Volker Stalmann

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien (KGParl) in Berlin. Er veröffentlichte bereits mehrere Biographien über sozialdemokratische Politiker der Weimarer Republik

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