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Bayerischer Juso-Chef Lang: „Der SPD fehlt die große Erzählung“

Die SPD muss nicht nur sich verändern, sondern auch Antworten auf Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft geben, sagt der Vorsitzende der bayerischen Jusos, Benedict Lang. Dafür sollte sie auch „vermeintlich Vorgegebenes in Frage stellen“.

von Kai Doering · 25. Juli 2025
Benedict Lang mit brauner Käppi und im blauen T-Shirt am Tisch sitzend im Gespräch

Juso-Chef Benedict Lang: Das neue SPD-Grundsatzprogramm muss eine klare Erzählung beinhalten.

Bei der Bundestagswahl hat die SPD mit 16,4 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis geholt. In Bayern waren es sogar nur 11,5 Prozent. Woran hat es gelegen?

Das zentrale Problem bei der Bundestagswahl war, dass die SPD zu sehr auf den Status quo gesetzt hat. Die SPD macht seit Jahren kleinteilige Verbesserungsangebote: hier etwas mehr Mindestlohn und dort ein paar Euro mehr bei der Rente. Sie gibt vor allem ein Stabilitätsversprechen ab. Das ist in sehr unruhigen Zeiten mit einem Krieg in Europa und steigenden Preisen auch erst einmal nachvollziehbar.

Das Problem ist aber, dass sich Ungerechtigkeiten immer weiter zuspitzen und die Menschen zunehmend unzufrieden sind. Auf diese Unzufriedenheit mit eine Stabilitätsversprechen zu antworten, ist das falsche Rezept. Die Menschen sehnen sich nach Veränderung. Diesen Wunsch haben andere Parteien deutlich stärker – und letztlich erfolgreicher – aufgegriffen. Zumal viele Menschen in Deutschland gerade nicht mit dem Status Quo zufrieden sind. Dieser Politikstil funktioniert vielleicht 2014, aber nicht mehr 2025. 

Gleichzeitig warnen Soziologen wie Steffen Mau vor einer „Veränderungserschöpfung“ in der Bevölkerung.

Das ist aus meiner Sicht auch kein Widerspruch. Natürlich verändert sich gerade sehr viel, das macht den Menschen auch Angst. Viele haben das Gefühl, dass in unserer Gesellschaft etwas aus den Fugen geraten ist: dass Rentner*innen Pfandflaschen sammeln müssen, dass die alleinerziehende Mutter zwei Jobs machen muss, um sich und ihren Kindern den Lebensunterhalt zu finanzieren. Hinzu kommt die unsichere internationale Lage. Die Menschen glauben am Ende nicht, dass die Dinge wieder in Ordnung kommen, wenn sich nicht grundlegend etwas verändert. 

Konservative und extreme Rechte geben Geflüchteten und Bürgergeldempfängern die Schuld an der Ungerechtigkeit. Das ist natürlich Quatsch. Die Probleme kommen vor allem daher, dass einige wenige sehr viel Geld haben und viele andere sich immer weniger leisten können. Die SPD muss sich die Mühe machen, zu erklären, was die wahren Ursachen sind und klare Antworten darauf formulieren. Zwei Familien besitzen in Deutschland so viel, wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung, das muss jeden Tag jedes SPD-Mitglied überall sagen.

Benedict
Lang

Wir sollten aber als SPD unsere Positionen konsequenter nach außen tragen, auch wenn klar ist, dass wir sie in einer Koalition nie eins zu eins umsetzen können.

Die SPD will seit längerem eine Vermögensabgabe einführen. Auch die Erbschaftssteuer will sie reformieren. Woran liegt es, dass davon bisher kaum etwas umgesetzt worden ist?

Klar, es gibt einen Unterschied zwischen dem, was auf einem Parteitag beschlossen wird und dem, was in einer Regierung mit anderen Parteien umgesetzt werden kann. In der Ampel hat die FDP in diesen Fragen gemauert, nun verweigert sich die Union. Wir sollten aber als SPD unsere Positionen konsequenter nach außen tragen, auch wenn klar ist, dass wir sie in einer Koalition nie eins zu eins umsetzen können.

Ein großes Problem der SPD ist, dass sie zwar viele gute Anliegen vertritt, die kleinteiligen Spiegelstrichforderungen aber nicht verbindet zu einer größeren Botschaft. Statt das Bürgergeld mit der Frage nach der ungerechten Verteilung von Vermögen und Verhandlungsmacht am Arbeitsmarkt zu verbinden, diskutieren wir darüber im deutlich kleineren Kosmos mit dem Thema Lohnabstand zwischen Gering- und noch Geringerverdienenden.

Was würde dieser größere Zusammenhang verändern?

Er würde deutlich machen, wo und vor allem für wen die SPD steht. Hinter vielen unserer Anliegen und politischen Debatten stehen Verteilungsfragen. Statt gesellschaftliche Debatten zu prägen und zu überlegen, wie wir gesellschaftliche Mehrheiten für Veränderung schaffen können, orientiert sich die SPD zu sehr an dem, was ihr im Moment möglich scheint. Das ist aber meist zu wenig und überzeugt die Menschen nicht. Was uns fehlt, ist die große Erzählung im Hintergrund. Und der Mut, vermeintlich Vorgegebenes in Frage zu stellen.

Kann das neue Grundsatzprogramm, das die SPD bis 2027 erarbeiten will, das leisten?

Wenn die Partei es gut macht, schon. Wichtig ist, dass sie nicht versucht, das Programm an das Regierungshandeln anzugleichen. Stattdessen ist es Aufgabe der SPD, das Regierungshandeln dann wieder stärker an das Programm anzugleichen. 

Abgesehen davon habe ich die Hoffnung, dass wir die großen Fragen der Umverteilung im Rahmen des Programmprozesses diskutieren und verankern werden. Wenn uns das gelingt, kann am Ende auch ein Programm mit viel Rückhalt in der Partei stehen.

Würde ein linkerer Kurs der SPD aus ihrer Sicht guttun?

Diese Frage ist aus meiner Sicht falsch gestellt. Das neue Grundsatzprogramm muss eine klare Erzählung beinhalten. Es muss ein Versprechen abgeben, dass die SPD an der Seite der Menschen steht, mutig ist und für mehr Gerechtigkeit kämpft – und zwar nicht abstrakt, sondern ganz konkret. Das ist viel wichtiger als die Frage, ob das Programm danach von Politikwissenschaftlern als „links“ oder als „Mitte“ beschrieben wird.

Benedict
Lang

Entscheidend ist, dass wir als SPD nicht nur darüber reden, uns zu verändern, sondern dass wir das jetzt auch tatsächlich machen, jeder in seinem Wirkungsbereich.

Die bayerische SPD ist in Sachen Wahlniederlagen schon leidgeprüft. Bei der jüngsten Landtagswahl kam sie nur auf 8,4 Prozent der Stimmen. Was kann die gesamte Partei daraus lernen?

Was man von der bayerischen SPD lernen kann, sind sicher Leidensfähigkeit und unbegrenzter Optimismus. In einer Situation, in der sich die bayerische SPD schon seit längerem befindet, braucht man Mitglieder, die für die Sache brennen. Wir alle wissen, dass es letztlich um existenzielle Fragen geht.

Es gibt Regierungsbezirke wie Niederbayern, in denen neben CSU und Freien Wählern auch die AfD sehr stark ist. Und da sind es vor allem Genoss*innen vor Ort, die den antifaschistischen Kampf bestreiten.

In Bayern ist die Identität, dass Arbeiter*innen das Land stark gemacht haben, sehr ausgeprägt. Das könnte die bayerische SPD noch stärker für sich nutzen und so auch Identität unabhängig von kulturellen Fragen schaffen. Denn auch wenn Bayern ein wirtschaftlich starkes Land ist, ist es auch ein sehr ungleiches Land.

Im September kommt die Bayern-SPD zu ihrem nächsten Parteitag zusammen und wählt auch einen neuen Vorstand. Welche Erwartungen haben Sie daran?

Die vielen verschiedenen Positionen in unserer Partei müssen zusammengebracht werden. Es ist wichtig, dass wir die Vielfalt der Bayern-SPD und die Vielfalt der Mitglieder als Stärke sehen und versuchen, die verschiedenen Projekte zu einem gemeinsamen Projekt zusammenzuführen. Dafür ist einerseits die Beteiligung der Mitglieder entscheidend, andererseits ist es notwendig, offen und ehrlich zu sein, auch wenn das weh tut: Zu viele reden hinter vorgehaltener Hand darüber, was schlecht läuft, statt offen Kritik zu üben.

Außerdem sollten wir nicht immer darauf warten, dass die Parteispitze etwas vorschlägt. Wir sollten in der Breite Dinge anstoßen und vorantreiben. Viel gute Arbeit in der Bayern-SPD passiert vor allem vor Ort. Aber diese Arbeit ist oft sehr kleinteilig oder geht in unterschiedliche Richtungen. Da wäre es wichtig, mehr an einem Strang zu ziehen und zu einer gemeinsamen Identität als Bayern-SPD zu kommen. Aber: Geschlossenheit kann man nicht verordnen, man muss sie sich erarbeiten.

Was ist also Ihr Vorschlag, wie die SPD aus der Krise kommt? 

Entscheidend ist, dass wir als SPD nicht nur darüber reden, uns zu verändern, sondern dass wir das jetzt auch tatsächlich machen, jeder in seinem Wirkungsbereich. Das muss der Anspruch aller 370.000 Mitglieder sein.

Wir brauchen nicht auf eine Person warten, die uns aus dem Elend erlöst. Um es mit der „Internationalen“ zu sagen: Das können wir nur selbst gemeinsam tun. Und deshalb ist es so wichtig, bei aller kritischen Auseinandersetzung immer zu sehen, dass wir am Ende alle im selben Boot sitzen und dass uns von unseren politischen Gegnern wesentlich mehr trennt als von den anderen SPD-Mitgliedern.

Wie kommt die SPD aus der Krise?

Nach der verheerenden Niederlage bei der Bundestagswahl stellt sich die SPD neu auf, unter anderem mit einem neuen Grundsatzprogramm. Wir sprechen mit verschiedenen Sozialdemokrat*innen, welche Veränderungen sie sich wünschen.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am So., 27.07.2025 - 09:07

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Im Grundtenor stimme da zu, aber Erzählung reicht nicht. Seit 25 Jahren erfahren die Menschen keine Verbesserung ihrer Situation durch die Politik der SPD - da schwindet Vertrauen, bis hin zu aktuell 13% Wählerzustimmung.
Glaubwürdige Sozialdemokraten, auf kommunale Ebene finden sich immer wieder welche (siehe Wahlergebnisse), sind selten geworden.
Geprägt wird das Bild der SPD durch diejehnigen die sich "ihre" Politik bei der "Progressiven Allianz" abhohlen, oder die sich durch ihre "postpolitischer Verwendung" selbst outen. Da braucht es einen gründlichen Selbstreinigungseffekt.