Wie die SPD das Gemeinwohl wieder in den Mittelpunkt rücken will
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Wenn es um eine sozial gestaltete Finanzpolitik geht, schauen progressive Ökonom*innen aktuell auf Joe Biden und seinen Inflation Reduction Act (IRA). Mehrere hundert Milliarden Dollar will der US-Präsident nicht nur in Dekarbonisierung, Infrastruktur und soziale Dienstleistungen wie Pflege und Bildung investieren, er will damit auch möglichst viele gute Jobs schaffen.
Sigl-Glöckner: Staat muss mit gutem Beispiel vorangehen
Damit werden Subventionen für Unternehmen an gute Beschäftigung geknüpft. „Das heißt, die Beschäftigten müssen mindestens den Durchschnittslohn ihrer Branche verdienen und die Firmen müssen ausbilden. So ist ein gesellschaftliches Interesse gesichert“, erklärt die Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner, die auch Mitglied im wirtschaftspolitischen Beirat der SPD ist. Auch sie wünscht sich die öffentliche Hand als Vorreiter einer Garantie für gute Arbeit durch anständige Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und einem den Aufgaben angemessenen Personalschlüssel.
„Als Sozialdemokratin sage ich, dass es zu einer guten Wirtschaftsordnung gehört, dass jede und jeder von seinem Gehalt gut leben kann. Gerade in den Bereichen, die wir als Gesellschaft sehr wichtig finden, wie Erziehung, Verwaltung, Bildung oder Pflege. Aber genau hier wird seit Jahrzehnten gespart. Der Staat müsste hier mit gutem Beispiel vorangehen. Das würde uns einen Schritt in Richtung einer Wirtschaft führen, die wir alle gut finden.“
Mehr Geld für Kinderbetreuung
Sigl-Glöckner hat konkrete Vorschläge wenn es darum geht, eine Finanzpolitik zu gestalten, „die sich an unseren Werten und Idealen orientiert und nicht angeblichen Marktzwängen unterordnet“. Zum Beispiel würde sie zehn Milliarden Euro pro Jahr in Erziehung und Bildung investieren. Für sie produktive Ausgaben. Warum? „Wenn wir mehr Geld in die Kinderbetreuung stecken, schaffen wir nicht nur gut bezahlte Arbeitsplätze, wir ermöglichen damit vielen Frauen, dass sie am Erwerbsleben teilnehmen können. Damit erhöhen wir das wirtschaftliche Potenzial, verbessern Staatseinnahmen, auch die Rentenkasse profitiert. Gleichzeitig fördern wir Kinder, die in Zukunft bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.“
Die Idee für die Finanzierung liefert die Mitgründerin der Denkwerkstatt „Dezernat Zukunft“ gleich mit: Zehn Milliarden Euro seien laut „Netzwerk Steuergerechtigkeit“ allein 2021 durch Ausnahmen bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer als Subventionen in Form von Steuergeschenken an superreiche Erb*innen geflossen. „Solange das Vermögen im Unternehmen bleibt, kommt es unserer Wirtschaft zugute. Gerade in der Transformation brauchen wir dringend private Investitionen. Aber sobald es als Auszahlung an die beschenkten Erbinnen und Erben geht, also nicht investiert wird, sollte eine signifikante Steuer fällig werden, zum Beispiel 50 Prozent.“
Auch rät sie, das Instrument der Schuldenbremse so anzupassen, dass produktive Ausgaben mehr Spielraum bekommen. „Eigentlich ist die Idee, dass wir so viel Geld ausgeben können, bis die Wirtschaft ausgelastet ist, eine gute. Aber wenn man sagt, dass die Wirtschaft dann ausgelastet ist, wenn ungefähr so viel gearbeitet wird wie in der Vergangenheit, dann ist das Blödsinn. Das bedeutet nämlich, dass die deutsche Wirtschaft als ausgelastet gilt, wenn wie in der Vergangenheit 50 Prozent der Frauen Teilzeit arbeiten, auch wenn wir aus Umfragen wissen, dass viele gerne mehr arbeiten würden.“ – Was wiederum die Wirtschaft stärken würde.
Zu starke Vermögenskonzentration
Die jetzige Koalition habe die Energiekrise besser gemeistert, als viele zu hoffen gewagt hätten, sagt sie. Die Erhöhung des Mindestlohns, Preisbremsen für Strom und Gas, Gaseinkäufe – all das habe dazu beigetragen, die akute Krise zu bewältigen. Doch blieben strukturelle Herausforderungen. Dazu zählt sie den Umbau der Wirtschaft im Zuge der Dekarbonisierung, den Aufbau von Zukunftsindustrien und nachhaltiger Jobs. Aber auch „bestehende Probleme wie die starke Vermögenskonzentration: Wenn ein paar Wenigen so viel gehört, funktioniert der Markt nicht mehr“, ist sie überzeugt.
Klingbeil: Neoliberalismus ist tot
Auch für SPD-Chef Lars Klingbeil gehören Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen auf die Tagesordnung, um den Staat für die Aufgaben der Transformation finanziell gut auszustatten. Bei einer Festveranstaltung zum 160. Gründungsjubiläum der SPD im Mai dieses Jahres erklärt er den Neoliberalismus für tot – „es war ein Irrglaube, dass der Markt alles regelt“ – und plädiert für ein neues Zusammenspiel von Markt und Staat, den er als strategischen Investor begreift. Klingbeil sieht die Möglichkeit, eine neue Wirtschaftspolitik zu prägen, „die Gemeinwohl und die Rolle des Staates wieder in den Mittelpunkt rückt“.
Einige Wochen später greift er diesen Gedanken in der Friedrich-Ebert-Stiftung auf, als er erklärt, dass der Aufbau von Infrastruktur und die gute Bezahlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Geld kosteten. Doch „jeder Euro, der in die Transformation gesteckt wird, ist ein Euro für unsere Zukunft“. Auch Investitionen in den Sozialstaat zählt er dazu. Und die seien jetzt notwendig. „In der Abwägung, ob wir investieren sollten oder die Schuldenbremse einhalten, würde ich mich für die Zukunftsinvestitionen entscheiden“, stellt er klar. Auch bei der jüngsten Mindestlohnerhöhung von 12 auf 12,41 Euro will Klingbeil mehr. Als Instrument führt er die Europäische Mindestlohnrichtlinie an, die Standards für die Berechnung armutsfester Mindestlöhne regelt. Ihre vollständige Umsetzung würde bedeuten, dass in Deutschland der Mindestlohn auf 13,50 bis 14 Euro angehoben werden müsste. „Wir wollen als SPD deutlich machen, dass wir uns höhere Löhne wünschen“, so Klingbeil.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.