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Wirtschaftskrise: Steinbrück warnt vor Panikmache

von ohne Autor · 17. Dezember 2008
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Herr Minister, der Internationale Währungsfonds prognostiziert, dass 2009 erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg die Wirtschaft sämtlicher Industriestaaten schrumpfen wird. Droht uns eine Weltwirtschaftskrise wie 1929?

2009 wird ein schwieriges Jahr, darauf deuten alle Indikatoren. Aber ich warne vor Panikmache. Im Gegensatz zu 1929 sitzen die wichtigen Akteure an einem Tisch und ergreifen entschlossen Gegenmaßnahmen.

Zum Beispiel in Washington auf der Weltfinanzkonferenz der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen. Was hat dieser Gipfel gebracht?

Er hat das Mandat gebracht, einen neuen Rahmen für die Weltfinanzmärkte zu erarbeiten, sozusagen neue Verkehrsregeln für die weltweiten Finanzströme. Wichtig ist, dass die Einhaltung dieser Regeln dann auch tatsächlich durch eine schlagkräftige internationale Organisation überwacht wird.

Europa will eine stärkere Finanzaufsicht und -kontrolle, Amerikaner und Briten haben das jahrelang abgelehnt. Gibt es hier ein Umdenken bei den Angelsachsen?

Es gibt klare Signale, gemeinsam den Finanzmärkten international einen regulatorischen und institutionellen Rahmen zu geben. Denn Briten und Amerikaner fürchten um die Integrität ihrer Märkte. Beide Länder brauchen dringend neues Vertrauen. Die Briten, weil ihre Wirtschaft in besonders hohem Maße von den Finanzgeschäften in der City of London abhängt.
Die Amerikaner, weil sie zwei Drittel der weltweiten Sparleistungen benötigen, um ihre Defizite abzudecken. Dazu kommt noch: In den USA gibt es keine beitragsfinanzierte Rente wie in Deutschland, sondern nur eine kapitalmarktgebundene. Stürzen die Kurse, verlieren die Amerikaner ihre Rente. Das erhöht den Handlungsdruck beträchtlich.

Wie ist die Situation der deutschen Wirtschaft? Die Prognosen der letzten Wochen klingen ja immer düsterer...

Wir sind leider umzingelt von - oft selbst ernannten - Experten, die täglich neue Hiobs-Botschaften in die Öffentlichkeit pusten. Das ist nicht hilfreich, um es einmal ganz zurückhaltend zu formulieren. Expertisen, die uns täglich ohnehin Bekanntes unter die Nase reiben, nach dem Motto "Herr Lehrer, ich weiß was, im Keller ist das Licht aus", bedeuten keinen Erkenntnisgewinn. Sie verbessern weder die Stimmung noch die Lage.

Ist Deutschland besser als andere Staaten für den Abschwung gerüstet?


In mancher Hinsicht ja. Es war richtig, unsere Universalbanken zu erhalten und nicht auf das hoch gelobte und nun grandios gescheiterte Modell der Investmentbanken der Wall Street zu setzen. Unsere Bausparkassen, oft belächelt, haben sich bewährt; auch weil sie sich nicht im amerikanischen Verbriefungsmarkt engagiert haben. Unser dreisäuliges Kreditwesen aus öffentlich-rechtlichen Banken, Genossenschaftsbanken und privaten Geschäftsbanken hat sich als robuster erwiesen als die Systeme anderer Länder.
Darüber hinaus hilft es uns, dass wir eine hohe Sparquote von 11,3 Prozent haben. In den USA gibt es keine positive, sondern eine negative Sparquote von minus 1 Prozent. Und es ist wichtig, dass wir in Deutschland einen starken industriellen Sektor erhalten haben und nicht wie Großbritannien einseitig auf Finanzdienstleistungen gesetzt haben.

Die Bundesregierung hat ein Bankenrettungspaket in Höhe von 500 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Müsste dazu nicht auch ein Stück Selbstkritik der verantwortlichen Banker kommen, nach dem Motto: "Wir haben uns nur an den Profiten ergötzt, ohne zu fragen, wie sie zu Stande kommen. Das war ein Fehler."

Ja. Ich sehe bei vielen Verantwortlichen einen wichtigen Paradigmenwechsel. Etwa die Erkenntnis, dass auf Dauer eine 25-prozentige Rendite ohne hohe Risiken und eine Beschädigung des Marktumfeldes nicht möglich ist und dass hohe Vergütungen nicht automatisch zu hohen Leistungen führen.
Auch die Erkenntnis, dass sich der Markt nicht selbst diszipliniert und dass es nicht dem Allgemeinwohl dient, wenn sich der Staat völlig aus der Wirtschaft heraushält. Die Tendenz der letzten Jahre, alles zu verteufeln, was mit Staat und mit verbindlichen Spielregeln zu tun hat, ist zu Ende. Die alte neoliberale Leier "der Staat ist unfähig und soll sich raushalten, seine Reformen sind zu langsam und nicht radikal genug" höre ich nicht mehr. Und das ist gut so.

Die Bundesregierung setzt beim Bankenrettungspaket auf Freiwilligkeit. Woher kommt die Erwartung, dass ausgerechnet die, die uns in diese Krise geritten haben, uns daauch wieder herausführen?

Ihr blankes Überlebensinteresse. Diejenigen, die jahrelang das hohe Lied der Deregulierung gesungen haben, sprechen nun von Verstaatlichung von Banken. Ein Begriff, den sie früher nicht in den Mund genommen hätten, ohne sich hinterher die Zähne zu putzen. Unser Rettungspaket wird mittlerweile gut angenommen, von öffentlichen wie privaten Banken.

Viele Bürger haben das Gefühl: Für versagende Großbanker gibt der Staat auf einen Schlag 500 Milliarden Euro - für Otto-Normal-Verbraucher, für Bildung, für Bedürftige aber ist kein Geld da.


Ich verstehe, dass die Zahl von 500 Milliarden schwer zu erklären und zu verstehen ist. Vor allem dann, wenn man sie mit seiner eigenen finanziellen Situation in Beziehung setzt. Fakt aber ist: 400 Milliarden sind zunächst eine Garantieübernahme des Bundes, 100 Milliarden eine Kreditermächtigung. Wie viel davon tatsächlich zu Lasten des Steuerzahlers geht, wird man erst in vier oder fünf Jahren wissen.

Aber was tut der Staat für den so genannten "kleinen Mann"?

Vieles, aber es gerät leider zu schnell in Vergessenheit. Mit der Absenkung des Arbeitslosenbeitrages von 6,5 auf 2,8 Prozent in dieser Wahlperiode entlasten wir Arbeitnehmer und Arbeitgeber um jeweils 15 Milliarden Euro. Mit der verbesserten steuerlichen Absetzbarkeit der Krankenkassenbeiträge gibt es eine Entlastung von rund neun Milliarden Euro. Mit dem Investitionsprogramm der Bundesregierung mobilisieren wir gut 50 Milliarden Euro an Investitionen. Das sind doch keine Kleinigkeiten.

Was kann das Investitionsprogramm bewirken? Und was kann es nicht?


Es wird helfen, ganz sicher. Aber ich warne vor Illusionen: Keine nationale Regierung kann mit nationalen Programmen gegen eine Weltwirtschaftskrise steuern. Wir können ihre Auswirkungen mildern, und das tun wir.

62 Prozent der Deutschen fordern laut ARD-Deutschlandtrend, der Staat sollte stärker in die Wirtschaft eingreifen. 51 Prozent meinen, der Staat sollte sich an wichtigen Unternehmen beteiligen. Sollte er das?

Angesichts der massiven Verunsicherung der Menschen ist es normal und verständlich, wenn solche Forderungen erhoben werden. Das kann sich aber auch wieder ändern, wenn wir durch die Krise hindurch sind. Wir Sozialdemokraten sollten bei unseren Grundsätzen bleiben. "So viel Markt wie möglich und so viel Staat wie nötig", haben wir schon 1959 auf unserem Parteitag in Bad Godesberg beschlossen. Dieser sozialdemokratische Grundsatz hat sich - gerade in der aktuellen Krise - wieder einmal als richtig erwiesen.

Bleibt es bei der bisherigen Politik der Privatisierung staatlicher Unternehmen?

Das ist nicht generell zu beantworten. Entscheidend ist die Zweckmäßigkeit. In einigen Fällen ist sie gegeben, in anderen nicht. Jeder Fall muss einzeln und konkret entschieden werden. Ich warne davor, aus der Privatisierungsfrage eine Grundsatzphilosophie zu machen. Dazu neigen wir Deutsche manchmal, auch wir Sozialdemokraten. Hier sollten wir uns vielleicht ein Beispiel an den Amerikanern nehmen. Die fragen schlicht: Was ist das Problem? Und wie ist es zu lösen? Das scheint mir sinnvoller, als theoretische Grundsatzdebatten zu führen.

Reichen die gegenwärtigen Maßnahmen aus, damit solch eine Krise sich nicht noch einmal wiederholt?

Aus den Fehlern der Vergangenheit wird jetzt gelernt, aber niemand kann in die Zukunft schauen. Ich hoffe, am Ende der Krise wird eine neue Finanzmarktarchitektur stehen. Neue Regeln, die Fehlentwicklungen, wie wir sie jetzt beklagen, besser gegensteuern.

Wie kann die SPD deutlich machen, dass diese Krise gerade sozialdemokratische Antworten verlangt?

Indem wir das Modell der sozialen Marktwirtschaft aufgreifen und fortentwickeln. Dieses Modell hat in den ersten Jahrzehnten unserer Republik eine erfolgreiche Balance zwischen Staat und Wirtschaft geschaffen. Die Neoliberalen in Union und FDP wollten es auf dem Mülleimer der Geschichte entsorgen. Sie haben auf Marktwirtschaft pur gesetzt.

Und die SPD?

Wir Sozialdemokraten sind unseren Grundsätzen treu geblieben, auch gegen den neoliberalen Zeitgeist. Unsere Antworten haben jetzt wieder Konjunktur. Das ist unsere große Chance im kommenden Bundestagswahlkampf. Nutzen wir sie.

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