vorwärts.de: Wo steht die Partei im Jahr zwei nach der Niederlage bei der Bundestagswahl?
Sascha Vogt: Wir haben im vergangenen Jahr gute Entscheidungen getroffen - aber leider auch wichtige Entscheidungen wie etwa zur Rente mit 67 oder in der Steuerpolitik
aufgeschoben. Wir brauchen im Laufe des Jahres Klarheit, wofür die SPD steht. In zentralen Bereichen sehe ich da noch erheblichen Diskussionsbedarf. Wenn wir es nicht schaffen, da für Klarheit zu
sorgen, wird es schwierig für die Bundestagswahl und darüber hinaus. 1998 haben wir den Fehler gemacht, dass wir in bestimmten Bereichen keine wirkliche Programmatik verfolgt haben und nicht
wussten, wohin wir wollen. Das sollte uns nicht noch einmal passieren.
Zumindest bei Hartz IV hat sich die Partei positioniert. Sind Sie mit dem Kompromiss zufrieden?
Da es um einen Kompromiss ging, war eine reine SPD Position nicht durchzusetzen. Gerade der Mindestlohn für die Leih- und Zeitarbeit ist sicher ein Erfolg. Wir Jusos hätten uns aber gerade
beim Regelsatz eine deutlichere Korrektur nach oben gewünscht. Da war mit Union und FDP aber nicht zu reden. Letztlich mussten wir für uns die Frage beantworten, ob wir weiter blockieren und
damit das Verfahren in die Länge ziehen oder ob wir in der Lage sind, einen Kompromiss zu schließen. Trotzdem sollten wir nicht den Eindruck entstehen lassen, dass die SPD mit der Lösung
zufrieden ist. Wir sollten vielmehr, auch schon mit Blick auf das Regierungsprogramm 2013, deutlich machen, dass wir unbedingt einen höheren Hartz-IV-Regelsatz einführen müssen.
Wie hoch sollte der sein?
Die Sozialverbände gehen von 420 Euro aus. Das erscheint mir plausibel.
In Ihrer Bewerbungsrede für den Juso-Vorsitz im vergangenen Jahr haben Sie gefordert, die SPD brauche wieder einen "sozialen Kompass". Hat sie den mittlerweile wiedergefunden?
Ich denke, die SPD ist noch immer dabei, ihn zu suchen. Auf dem letzten Parteitag haben wir im Bereich der Arbeitsmarktpolitik Entscheidungen getroffen, die in die richtige Richtung gehen,
zum Beispiel zur Regulierung der Leiharbeit. In anderen Bereichen müssen wir dagegen weiter nach dem Kompass suchen, etwa bei der Rente oder der Bürgerversicherung. Da brauchen wir Klarheit.
Das vergangene Jahr war gekennzeichnet von Protesten - gegen Stuttgart 21 genauso wie gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Wo waren die Jusos?
Mittendrin. Bei den Anti-Atom-Protesten hier in Berlin waren bestimmt 2000 Jusos dabei. Anderes als die SPD waren wir auch rund um die Castor-Transporte aktiv. Die Jusos in Stuttgart
engagieren sich in der Bewegung gegen Stuttgart 21. Und wir waren im Februar in Dresden, um dort den größten Nazi-Aufmarsch Europas zu verhindern. Wir haben uns nichts vorzuwerfen.
Wünschen Sie sich mehr Unterstützung von der Partei?
Es würde der SPD gut zu Gesicht stehen, an der einen oder anderen Stelle deutlicher Farbe zu bekennen. Beim Nazi-Aufmarsch in Dresden etwa hat sich die Partei sehr schwer getan, sich dazu
zu bekennen, dass man eine solche Veranstaltung auch mal blockieren muss - und sei es mit Mitteln des zivilen Ungehorsams. Ähnliches gilt für die Anti-Castor-Demo in Gorleben, wohin sich nur sehr
wenige Genossinnen und Genossen verirrt haben. Natürlich ist es ungemütlicher, sich im Winter auf die Schienen zu setzen, als in Berlin im Sonnenschein durchs Regierungsviertel zu spazieren. Aber
wenn sie es ernst meint, muss die SPD stärker Flagge zeigen.
Die Bundesregierung schwimmt - sei es bei Hartz IV, der Wehrpflicht oder jetzt dem Atomausstieg. Warum profitiert die SPD nicht davon?
Die Themen, die zurzeit im Vordergrund stehen, kommen vor allem den anderen Parteien zugute. Wem etwa der Atomausstieg wichtig ist, der geht zu den Grünen. Zum anderen muss man aber auch
sehen, dass wir erst seit zwei Jahren in der Opposition sind und uns erst wieder neu zusammenraufen müssen. Ein Erneuerungsprozess geht nicht von heute auf morgen. Wenn wir es schaffen, in diesem
Jahr an einigen Stellen für Klarheit zu sorgen, wird die SPD auch wieder attraktiver, weil die Menschen wissen, was sie bekommen, wenn sie uns wählen.
Ein rot-rot-grünes Bündnis scheint auch wieder in weite Ferne gerückt zu sein.
Die SPD war schon mal weiter als in den vergangenen Wochen. Wir sollten mit der Linkspartei weiterhin ganz entspannt umgehen und ganz pragmatisch schauen, wie wir es zum einen schaffen, bei
der Bundestagswahl selbst ein gutes Ergebnis einzufahren und zum anderen geeignete Koalitionspartner zu finden, um unsere Ziele auch umsetzen zu können. Dabei sollten wir uns stets bewusst
machen, dass Koalition nicht heißt, dass wir das Programm der Linken eins zu eins umsetzen. Bevor wir über mögliche Koalitionen reden, muss allerdings die Linkspartei selbst erstmal klären, ob
sie regieren möchte oder nicht. Und wenn wir die absolute Mehrheit holen, sind wir ohnehin nicht auf Koalitionspartner angewiesen - weder auf zwei noch auf einen.
Interview: Kai Doering
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