Parteileben

Wie man als SPD-Abgeordneter aufrecht den Bundestag verlässt

Über 30 Abgeordnete der SPD kandidieren nicht wieder für den Bundestag. Helga Kühn-Mengel und Klaus Barthel sind zwei von ihnen. Sie haben mit dem „vorwärts“ über das gesprochen, was sie dabei bewegt.
von Lars Haferkamp · 15. August 2017
Helga Kühn-Mengel kandidiert nicht erneut für den Bundestag
Helga Kühn-Mengel kandidiert nicht erneut für den Bundestag

„Ganz einfach war die Entscheidung nicht“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Helga Kühn-Mengel (70). „Aber irgendwann müssen ja auch Jüngere eine Chance haben, auf höherer Ebene Politik zu gestalten.“ Mit ihrem Verzicht auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag macht Kühn-Mengel nun den Weg dafür frei.

Kühn-Mengel als Anwältin der Patienten

Von 1996 bis 2009 und seit 2013 gehört die Diplom-Psychologin aus Brühl bei Köln dem Parlament an. Und hatte in dieser Zeit viele wichtige Ämter inne. Das prominenteste war das der ersten Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patienten von 2004 bis 2009, in dem sie sich als Anwältin der Patienten gegenüber Politik und Verbänden profilierte. Gegenwärtig ist sie Patientenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied im Ältestenrat.

In ihren Ämtern „konnte ich umsetzen, was mir in der Politik immer am wichtigsten war: Ansprechpartnerin für Menschen zu sein, deren Anliegen einzubringen und nach Lösungen zu suchen“, sagt Kühn-Mengel. Wichtig war ihr, dazu beigetragen zu haben, die Patientenrechte zu stärken und zum ersten Mal Qualitätsmaßstäbe im Gesundheitswesen festzuschreiben.

Fernziel: paritätische Bürgerversicherung

Gern hätte sie in der Gesundheitspolitik noch mehr bewirkt. „Die paritätische Bürgerversicherung in das Gesundheitssystem einzuführen: gerecht finanzierte Versorgung, bei Krankheit und Pflege, unabhängig von Einkommen, Status und Wohnort.“ Das müssen nun ihre Nachfolger in Angriff nehmen.

„Im Wahlkreis bin ich besonders stolz auf den Nationalpark Eifel“, sagt Helga Kühn-Mengel. Ihr Wahlkreis umfasst den Kreis Euskirchen und den südlichen Rhein-Erft-Kreis westlich von Köln. „Hier konnte ich bei der Realisierung mithelfen und bin bis heute Rudolf Scharping dankbar, der als damaliger Verteidigungsminister die ehemals militärisch genutzten Flächen zur Verfügung stellte.“

Weiter engagiert in Arbeiterwohlfahrt und Hospizbewegung

Der schönste Moment ihrer Abgeordnetenzeit war die Vereidigung der Regierung Schröder 1998. „Endlich kamen diejenigen in ein Amt, die nach der langen Kohl-Regierung Kompetenz und neuen Wind in die Politik brachten und deren Arbeit mich seit langem beeindruckte.“ Als Beispiele nennt sie Herta Däubler-Gmelin und Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag will Helga Kühn-Mengel sich weiter ehrenamtlich und sozialpolitisch engagieren: in der Arbeiterwohlfahrt, in der Hospizarbeit und als Vorsitzende eines Vereins für Menschen mit Behinderungen. „So kann ich mein Wissen und mehr Erfahrung weiter einbringen.“

Klaus Barthel: Der AfA-Chef geht

Auch für Klaus Barthel (61), den Bundesvorsitzenden der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), endet in diesem Jahr seine Zeit als Bundestagsabgeordneter. Seit 1994 gehört er dem Parlament an. „23 Jahre im Bundestag sind so schnell vergangen“, sagt er.

Der Politologe aus dem oberbayerischen Kochel am See hat sich innerhalb und außerhalb der SPD einen Namen gemacht als Kämpfer für Arbeitnehmerrechte. Dabei hatten der Parteilinke und die SPD es nicht immer leicht miteinander. Das galt besonders für die Jahre der Agenda 2010 ab 2003. Diesen Teil der Politik der Regierung Schröder hielt er für falsch und votierte in der SPD-Fraktion auch dagegen.

„Irrtümer“ der Agenda 2010 korrigiert

Wenn er zurückblickt auf das in seiner Abgeordnetenzeit Erreichte, nennt er neben dem Atomausstieg und dem deutschen Nein zum Irakkrieg die Einführung des Mindestlohnes und den „Beginn der Rückabwicklung der Irrtümer der Agendapolitik“.

Selbstkritisch räumt er ein: „Leider ist es mir nicht gelungen, in Fraktion und Partei ausreichenden Druck und Mehrheiten dafür zu schaffen, dass das traditionelle Vertrauen der Gewerkschaften und der Arbeitnehmerschaft der SPD gegenüber der SPD nicht beschädigt wird.“ Man sehe jetzt, wie schwer und lang der Weg zurück zum Vertrauen sei. „Aber wir kommen voran.“

Nein zu Hartz IV im Bundestag

Die schönsten Momente im Bundestag waren für Barthel, zweimal einen Sozialdemokraten zum Kanzler wählen zu können. „Das Schwierigste war, ihm in zwei Grundsatzfragen nicht folgen zu können: Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und systemverändernde Einschnitte in die Sozialsysteme zulasten der Schwächeren.“

Gefragt nach einem Ratschlag für seinen Nachfolger im Parlament hätte er diesen: „Den Wählerauftrag und den historischen Auftrag der Sozialdemokratie nicht vergessen, auch nicht im Berliner Kosmos! Du willst aufrecht wieder herauskommen.“

Weiter arbeiten als „Basis-Sozi“

Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag hat Klaus Barthel nun Zeit für die Dinge, die in den vergangenen Jahren oft zu kurz kamen: „Partnerschaft und Freundschaften pflegen, lesen, wandern, garteln ...“ Sein politisches Engagement will er fortsetzen. „Ich bleibe im Kreistag Bad Tölz-Wolfratshausen, AfA-Landesvorsitzender, Präsidiumsmitglied der BayernSPD, und bis 2018 AfA-Bundesvorsitzender.“ Damit bleibt er ein „Basis-Sozi mit Ehrenämtern, wie so viele, von denen unsere Partei lebt.“

 

 

 

 

 

 

 

Autor*in
Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

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