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Der Präsident der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe fordert eine offene Debatte über Leistungseinschränkungen im Gesundheitswesen. Zudem soll über eine Prioritätenliste für medizinische Behandlungen nachgedacht werden. Was würde das für die Patienten konkret bedeuten?

Für Kranke würde das bedeuten: Die einen werden rasch behandelt, andere müssen warten, bis sie nach der sogenannten Prioritätenliste an der Reihe sind. Eine dazu passende Forderung des Marburger-Bund-Präsidenten Dr. Henke lautet, wer mit seiner Krankheit dennoch schneller behandelt werden wolle, der solle sich eben zusätzlich privat versichern. Die sogenannte Prioritätenliste von Professor Hoppe und die Zusatzver­sicherung von Dr. Henke sind wie aus einem Tollhaus. So etwas hat mit der so­lidarischen Krankenversicherung nichts mehr zu tun. Bei diesen Forderungen geht es in Wirklichkeit immer nur um mehr Geld für die sogenannten Leistungserbringer. Die Patienten haben nichts davon, sie würden darunter nur leiden.

Ist das alles nur Panikmache?

Es ist offenbar eine ernst gemeinte Forderung einiger Funktionäre, die eigene Verantwortung für ein gutes und bezahlbares Gesundheitssystem ablehnen und mit der plakativen Forderung nach angeblicher "Ehrlichkeit" eigene materielle Interessen kaschieren. Ich weiß, dass die weit überwiegende Mehrheit der Ärzte das ablehnt.

In welchem Maße bringt die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise den Gesundheitsfonds in finanzielle Schwierigkeiten?

Wir können in der aktuellen Wirtschaftskrise sehr froh sein, dass es den Gesundheitsfonds gibt. Denn der bewahrt die Krankenkassen vor großen Schwierigkeiten. Ohne die solidarische Finanzierung durch den Fonds müssten die Kassen bereits jetzt ihre Beiträge anheben, und diejenigen mit vielen alten Menschen und vielen Mitgliedern mit niedrigen Einkommen wären am härtesten betroffen. Der Fonds sorgt für mehr Gerechtigkeit.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise lässt auch die Einnahmen des Fonds schrumpfen, weil mit zurückgehender Beschäftigung auch die Beiträge weniger werden. Gegenüber unseren wirtschaftlichen Annahmen vom Oktober 2008 werden das knapp drei Milliarden Euro sein - bei über 160 Milliarden Euro Gesamteinnahmen. Deswegen hat der Gesetzgeber festgelegt, dass 2009 die krisenbedingten Beitragsrückgänge durch Steuermittel ausgeglichen werden und dass der Bundeszuschuss 2010 und 2011 um jeweils 1,5 Milliarden Euro ansteigt. Das ist ein Sicherheitsschirm, damit die Versorgung der Patienten gleich gut bleiben kann.

Zunehmend setzen Krankenkassen auf Kooperation untereinander, aber auch zwischen den Kassen und privaten Versicherungsunternehmen. Ein Schritt in Richtung mehr Effizienz?

Richtig ist, dass Krankenkassen mit anderen gesetzlichen Krankenkassen fusionieren, um Verwaltungskosten einzusparen und Patienten besser zu ver­sorgen. Gesetzliche Kassen und private Versicherungsunternehmen können bei Zusatzversicherungen heute schon kooperieren - wobei aber z.B. Datenschutzbestimmungen streng beachtet werden müssen. Private Versicherer in Deutschland verfügen noch über sehr geringe Erfahrungen mit Steuerungselementen und qualitativen Vorgaben - da könnten sie zumindest von manchen gesetzlichen Kassen viel lernen. Eine Koopera­tion als PR-Gag lehne ich ab.

Welche Chancen sehen Sie für eine Umsetzung der Bürgerversicherung nach der kommenden Bundestagswahl?


Die Chancen für eine Bürgerversicherung hängen von den Mehrheiten nach der Bundestagswahl ab. Gibt es eine konservative Mehrheit, geht es in Richtung Privatisierung der Gesundheitsversorgung. Gibt es eine sozialdemokratisch geführte Mehrheit, geht es in Richtung mehr Solidarität. Das heißt: Jeder und jede beteiligt sich nach seiner Leistungsfähigkeit an der Finanzierung der Gesundheitsversorgung. Alle stehen für einander ein, gesetzlich Versicherte und privat Versicherte. Dies hilft, die Mittel aufzubringen, damit alle gut behandelt und mit den modernsten Therapien geheilt werden können. Die Ärzte werden nach Aufwand und nach Qualität bezahlt, und nicht
danach, wo jemand versichert ist. Das wiederum beendet den immer wieder zu sehenden Zwei-Klassen-Service. Das alles ist Bürgerversicherung. Ob dann jemand in der AOK, einer BKK oder privat versichert ist, wird zweitrangig.


Welche Vorteile würde eine solche Bürgerversicherung im Vergleich zur bisherigen Struktur der Krankenkassen bringen?

Die Grundlage für die Finanzierung der gesundheitlichen Leistungen würde breiter, die Bezahlbarkeit sicherer, die Leistungen insgesamt würden gerechter aufgebracht, weil alle sich gleichermaßen beteiligen. Die Bürgerversicherung schafft das, was für uns so unendlich wichtig ist: Sie sichert langfristig eine gute Versorgung und damit eine so wichtige materielle Voraussetzung für persönliche Freiheit.

Autor*in
Fréderic Verrycken

Chefredakteur der DEMO, Fraktionsvorsitzender der SPD in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf

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