Klaus Mertes ist Träger des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises 2012. Am Donnerstagabend wurde der frühere Rektor des Berliner Canisius Kollegs für seinen Einsatz für die Opfer sexuellen Missbrauchs geehrt. Mertes beklagte eine tiefe „Glaubenskrise in der Kirche“.
Am Ende seiner Dankesrede wird der Preisträger laut. „Was ist in unserer Gesellschaft los, wenn das Selbstverständliche zum Außerordentlichen wird? Was ist in der katholischen Kirche los, wenn das Wort Missbrauch einen internen Shitstorm auslöst?“, bricht es aus Klaus Mertes heraus. Und der Jesuitenpater gibt die Antwort gleich mit: „Wir Katholiken vertrauen einander nicht mehr.“
Offenbar ist dieser Vertrauensverlust vor etwas mehr als zwei Jahren geworden. Nachdem einige frühere Schüler des Berliner Canisius-Kollegs dem damaligen Rektor Mertes mitgeteilt hatten, dass sie in den 70er und 80er Jahren an der Schule von Lehrern sexuell missbraucht worden waren, ging dieser an die Öffentlichkeit. Im Januar 2010 schrieb er einen Brief an 600 Schüler, in dem er sich bei allen Opfern entschuldigte. Was folgte war eine öffentliche Debatte über systematischen sexuellen Missbrauch in kirchlichen Bildungseinrichtungen. Die Bundesregierung berief Christine Bergmann als unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs und richtete einen runden Tisch ein.
Die Zugbrücke heruntergelassen
Es sei Mertes gewesen, „der als Vertreter der Institution die Zugbrücke herunterließ“, beschrieb ein ehemaliges Missbrauchsopfer unlängst die Rolle des Paters bei der Aufarbeitung. Und für diese wurde er am Donnerstagabend im Berliner Willy-Brandt-Haus mit dem diesjährigen Gustav-Heinemann-Bürgerpreis der SPD geehrt. „Wir zeichnen Klaus Mertes nicht für seinen Aufdeckermut aus“, stellte der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel klar, „sondern für seinen Einsatz bei der Aufdeckung des Skandals“. Hinzu komme seine praktische Hilfe für Betroffene. „Klaus Mertes hat Verantwortung übernommen für die Verbrechen seiner Mitbrüder.“
Auf diese Weise sei der Schuldirektor „zum Vorbild für den Umgang mit sexuellem Missbrauch in Institutionen insgesamt geworden“, betonte Gabriel. Er habe so dazu beigetragen, die Demokratie lebendig zu halten. Das sah auch ein Großteil der 5000 Internetnutzer so, die auf spd.de für Mertes als Träger des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises gestimmt hatten.
Die Krise überwinden
Die mit 10 000 Euro dotierte Auszeichnung sei jedoch nicht als Abschluss zu verstehen. „Von dieser Preisverleihung muss ein klares Signal an die Opfer von sexuellem Missbrauch ausgehen“, forderte Sigmar Gabriel. Auch über den „Runden Tisch hinaus sei die Politik in der Pflicht, Opfer besser zu schützen“. So sei es wichtig, „öffentlich über Pädophilie zu sprechen“, aber auch das Strafrecht zu reformieren.
Und auch Klaus Mertes wird weiter kämpfen. Das macht sein Ausbruch bei der Preisverleihung deutlich. Die Missbrauchsfälle und den Umgang damit sieht Mertes als Ausdruck einer „Glaubenskrise in der Kirche“, ausgelöst durch einen tiefen Vertrauensverlust. Diese Krise zu überwinden und Vertrauen zurückzugewinnen wird ein langer Weg sein. Ein Weg, auf dem Stärkung Not tut. Der Gustav-Heinemann-Bürgerpreis sei für ihn deshalb „wie ein Stück Brot auf einer langen Wüstenwanderung“.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.