Wie ein SPD-Ortsverein seine Mitglieder zum Mitmachen bewegt
Dirk Bleicker
Die Passagiere aus Laboe betreten den Schiffsanleger und ziehen ihre Mantelkrägen hoch. An der Kieler Förde bläst einem ein starker Wind ins Gesicht – eine „steife Brise”, wie man hoch oben im Norden sagt. Gegenwind hat zur Zeit auch die SPD, sowohl in einigen Ländern als auch im Bund: Umfragewerte und Wahlergebnisse sind nicht gut, viele Wähler haben der Partei in den vergangenen Jahren den Rücken zugekehrt.
Die SPD Kieler Mitte als inklusiver Ortsverein
Damit das nicht so weiter geht, hat der Ortsverein Kieler Mitte einen Plan geschmiedet: Die Genossen wollen ihre Partei öffnen, um mehr Anhänger zu gewinnen. Einer der Schlüssel dazu: Inklusion. „Wir sind ein gleichberechtigter Ortsverein“, sagt Anna-Lena Walczak, die 2015 das Projekt „Inklusiver Ortsverein“ ins Leben gerufen hat. Ihr Konzept: Die Regeln im Ortsverein werden an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung angepasst.
Dazu gehören Pausen bei Versammlungen oder die frühzeitige Verteilung von Unterlagen vor den Parteisitzungen, damit sich alle „in ihrem Tempo vorbereiten können“ – und jeder vom gleichberechtigten Umgang profitieren kann. Die Botschaft ist klar: „Alle sind willkommen“. Damit sei der OV Kieler Mitte auch für andere Ortsvereine ein Vorbild, wenn es um „Inklusion“ geht. Finanzielle Unterstützung für das Projekt kommt inzwischen vom Innovationsfonds der Bundes-SPD. „Es ist toll zu sehen, dass das unterstützt wird“, freut sich Walczak.
Die Karteileichen zum Leben erwecken
Überhaupt hat es sich der OV Kieler Mitte das Ziel gesetzt, Mitglieder und Sympathisanten wieder stärker ins Parteileben einzubinden. Mit 274 Mitgliedern ist er zwar der größte Ortsverein in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt. Rund 200 Genossen sind jedoch nur auf dem Papier Parteigänger, sie sind kaum gesehen bei den Veranstaltungen und Info-Ständen der SPD. Sie zahlen ihre Beiträge – mehr aber auch nicht. Der Ortsverein Kieler Mitte will deshalb vor allem eines: die vielen „Karteileichen“ wieder zum Leben erwecken.
Dafür muss die Hemmschwelle sinken, die viele davon abhält, sich aktiv ins Parteileben einzubringen, fordert André Schaffer. Der „Abkürzungskram“ im Parteisprech oder typische Wortungetüme wie „Kreisdelegiertenversammlung“ und „Unterbezirksparteitag“ könnten ganz schön abschreckend wirken, findet er. Schaffer bietet neuen Mitgliedern deshalb Hilfe an, nimmt junge Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit zu Sitzungen, erklärt ihnen die Abläufe und Verfahren in der Partei. Das Ziel des „Coachings“ ist die langfristige Bindung der Mitglieder an ihre Partei. Denn: „Das beste Mittel gegen Parteifrust ist der persönliche und gute Kontakt der Mitglieder untereinander“, heißt es beim OV-Vorstand.
Ein „Kampf auf jeder Ebene“
Für eine Stimmung in der Partei, in der sich alle wohlfühlen, möchte auch Helmuth Huss als Ortsvereinsvorsitzender sorgen. Er habe jedoch „immer diese Zweifel“, gibt der 71-Jährige selbstkritisch zu, ob er alles richtig mache als Funktionär. Huss’ „Offenheit ist der zentrale Punkt“, findet Sophia Schiebe, stellvertretende Juso-Vorsitzende in Schleswig-Holstein. Ihr OV-Vorsitzender achte sehr auf die „Dynamik der Sitzungen“ und sorge für ein angenehmes Klima, lobt Sophia Schiebe, die sich im Ortsverein um „Frauen Empowerment“ kümmert. So setzt sie sich für familienfreundliche Terminplanung ein, geht auf Frauen aus parteinahen Organisationen zu und unterstützt ihre Genossinnen dabei, für Parteiämter zu kandidieren.
Das Engagement für mehr Teilhabe sei ein „Kampf auf jeder Ebene“, erklärt Lisa Yılmaz, Mitglied der SPD-Ratsfraktion in Kiel und dort Sprecherin für Migration. Erfolge können die Kieler Genossen bereits verbuchen: Zehn neue Mitglieder haben sie in den vergangenen acht Monaten gewonnen. Darunter ist auch die junge Juristin Sarah Rüegg. Der Grund für ihren Eintritt in die SPD seien die Genossinnen und Genossen aus dem Ortsverein Kieler Mitte gewesen, erzählt sie. Diese seien „Vorbilder“, die sie angespornt hätten, sich parteilich zu engagieren – „Weil die jungen Leute einfach coole Sachen machen“, wie Rüegg sagt.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.